EU verzögert KI-Gesetz: Brüssel bremst sich selbst aus
22.11.2025 - 08:29:12Europa schwenkt um: Statt strengerer Regeln gibt es nun mehr Zeit für Unternehmen. Die EU-Kommission verschiebt zentrale Vorschriften ihres AI Act um anderthalb Jahre – und kündigt gleichzeitig ein umfassendes Vereinfachungspaket an. Kann das den Rückstand auf die USA wettmachen?
Diese Woche markiert eine Zäsur in der europäischen Technologiepolitik. Am Mittwoch präsentierte die Kommission ihren „Digital Omnibus” – ein Maßnahmenpaket, das die Umsetzung der schärfsten KI‑Vorschriften bis Dezember 2027 aufschiebt. Zeitgleich beschworen Kanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Berlin eine neue Ära: „Erst innovieren, dann regulieren” lautet die Devise.
Die Botschaft ist eindeutig: Europa will seine digitale Souveränität nicht länger durch Überregulierung gefährden. Doch der Kurswechsel kommt nicht ohne Preis – Datenschützer sprechen bereits von einem „massiven Rollback” erkämpfter Grundrechte.
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Die Verzögerung betrifft ausgerechnet das Herzstück des AI Act: Hochrisiko-Systeme in kritischen Bereichen wie Gesundheit, Personalwesen und Infrastruktur müssen ihre Konformitätsprüfungen nun erst zwei Jahre später durchlaufen. Als Begründung nennt Brüssel fehlende harmonisierte Standards – ein verwaltungstechnisches Eingeständnis, dass die eigenen Zeitpläne unrealistisch waren.
Der „Digital Omnibus” geht jedoch weit über die KI‑Regeln hinaus. Auch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und der Data Act sollen entschlackt werden. Bis 2029 sollen europäische Unternehmen dadurch rund fünf Milliarden Euro an Verwaltungskosten einsparen, verspricht die Kommission.
„Europa hat bisher nicht voll von der digitalen Revolution profitiert”, erklärte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis. Die Unternehmen sollten „weniger Zeit mit Papierkram und mehr mit Innovation” verbringen. Hinter dieser Rhetorik steht eine unbequeme Wahrheit: Die Produktivität der EU liegt mittlerweile bei nur noch 76 Prozent des US-amerikanischen Niveaus.
Berlin-Gipfel: Merz und Macron gegen Big Tech
Während Brüssel auf Deregulierung setzte, inszenierte Berlin am Dienstag einen industriepolitischen Gegenentwurf. Beim „Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität” warnten Merz und Macron eindringlich vor der Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen Tech-Konzernen.
„Europas Zukunft wird im digitalen Raum entschieden”, betonte Kanzler Merz. Macron wurde noch deutlicher: „Wenn wir den Amerikanern und Chinesen alle Champions überlassen, haben wir vielleicht die besten Regeln der Welt – aber wir regulieren nichts mehr.”
Als Leuchtturmprojekt präsentierten die Regierungschefs eine Kooperation zwischen dem französischen KI-Hoffnungsträger Mistral und dem deutschen Softwareriesen SAP. Gemeinsam wollen sie „Europas ersten vollständig souveränen KI‑Stack” aufbauen – eine Alternative zu US-gehosteten Cloud-Modellen. Beide Regierungen kündigten an, solche europäischen Lösungen künftig bei öffentlichen Ausschreibungen zu bevorzugen.
Die Botschaft: Europa will nicht länger nur Schiedsrichter sein, sondern wieder Spieler auf dem Feld.
Trump-Druck und transatlantische Spannungen
Der Zeitpunkt des EU-Schwenks ist kein Zufall. Seit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus wächst der Druck aus Washington, die europäischen Digitalgesetze zu „zähmen”. Insider berichten von Warnungen vor möglichen Handelskonsequenzen – ein deutliches Signal, das in Brüssel offenbar Wirkung zeigte.
Wirtschaftsverbände begrüßten die Ankündigung vorsichtig. Der Branchenverband CCIA mahnte jedoch: „Die Vereinfachung darf hier nicht enden.” Die Industrie fordert weitere Lockerungen, insbesondere bei grenzüberschreitenden Datentransfers.
Auf der anderen Seite formiert sich scharfer Widerstand. Datenschützer und Bürgerrechtsorganisationen werfen der Kommission vor, fundamentale Rechte dem Wirtschaftswachstum zu opfern. Besonders umstritten: Geplante Änderungen bei der DSGVO könnten es Tech-Konzernen erleichtern, persönliche Daten ohne explizite Zustimmung für KI‑Training zu nutzen.
Was das für Unternehmen bedeutet
Für Compliance-Verantwortliche bringt der „Digital Omnibus” zunächst Entlastung: Die drohende Deadline im August 2026 ist vom Tisch. Bis Ende 2027 bleibt Zeit, sich auf die Hochrisiko-Vorschriften vorzubereiten – theoretisch jedenfalls.
Praktisch bleibt die Rechtslage volatil. Das Gesetzespaket muss noch durch Parlament und Rat, wo erbitterte Debatten zu erwarten sind. Die Fraktion der Bürgerrechtler im Europaparlament dürfte jeden Versuch bekämpfen, Datenschutzstandards aufzuweichen.
Die versprochenen „souveränen” Lösungen von SAP und Mistral sollen Ende 2026 marktreif sein – ausgerechnet dann, wenn die verschobenen Regeln scharf werden. Ob die deutsch‑französische Allianz tatsächlich eine tragfähige Alternative zu den etablierten US‑Anbietern bieten kann, bleibt eine offene Frage. Zugang zu globalem Kapital und modernster Hardware haben die europäischen Champions jedenfalls nicht.
Paradigmenwechsel mit Fragezeichen
Diese Woche markiert das Ende von Europas Selbstverständnis als „regulatorische Supermacht”. Jahre lang positionierte sich die EU mit dem AI Act als globaler Vorreiter ethischer KI‑Regulierung. Nun zeigt sich: Wirtschaftliche Stagnation und der wachsende Produktivitätsabstand zu den USA erzwingen eine Neujustierung.
Die Frage bleibt: Kann Europa mit diesem Spagat erfolgreich sein – strenge Regeln nach außen, großzügige Freiräume für die eigenen Champions? Oder riskiert Brüssel, zwischen allen Stühlen zu sitzen: zu reguliert für echte Innovation, zu industriefreundlich für glaubwürdigen Grundrechtsschutz?
Die kommenden Monate werden zeigen, ob der deutsch‑französische Motor stark genug ist, um diese Widersprüche aufzulösen. Sicher ist nur: Die alte Gewissheit, dass Europa durch Regulierung führt, gehört der Vergangenheit an.
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