Digital-Regeln, Datenschutz-Durchsetzung

EU vereinfacht Digital-Regeln und verschärft Datenschutz-Durchsetzung

23.11.2025 - 23:51:11

Brüssel/Berlin – Die Europäische Union krempelt ihre Digitalregulierung um: Eine neue „Digital Omnibus”-Initiative der Kommission soll Unternehmen bis 2029 rund 5 Milliarden Euro an Bürokratiekosten ersparen. Gleichzeitig verschärft der Rat die Handhabe gegen Datenschutzverstöße. Die Maßnahmen, die diese Woche beschlossen wurden, treffen auf geteiltes Echo – zwischen Wirtschaftslob und Grundrechtssorgen.

Für deutsche Mittelständler und DAX-Konzerne könnte das Paket Erleichterung bringen. Doch Datenschützer wie der Österreicher Max Schrems warnen vor dem „größten Angriff auf digitale Bürgerrechte seit Jahren”. Was steckt hinter den Reformen – und wer profitiert wirklich?

Das Herzstück der Reform ist die Konsolidierung zersplitterter EU-Vorschriften. Kommissionsvizepräsidentin Henna Virkkunen stellte am 19. November ein Paket vor, das den Data Governance Act, die Open-Data-Richtlinie und die Verordnung zum freien Datenverkehr in einem einzigen Data Act zusammenführt. Ziel: Doppelmeldungen abschaffen, die Unternehmen bisher quälten.

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Besonders entlastend wirkt der geplante „Single-Entry Point” für Cybersicherheitsvorfälle. Bislang mussten Firmen Datenpannen parallel unter DSGVO, NIS2-Richtlinie und dem Digital Operational Resilience Act (DORA) melden – oft mit leicht unterschiedlichen Anforderungen. Künftig genügt eine einzige Meldung nach dem Prinzip „einmal berichten, mehrfach teilen”.

Für die aufstrebende KI-Branche bringt die Reform ebenfalls Aufschub: Die Anwendung der AI-Act-Regeln für Hochrisiko-Systeme wird um bis zu 16 Monate verschoben – möglicherweise bis Ende 2027. Begründung: Die notwendigen technischen Standards seien noch nicht fertig. Der deutsche Maschinenbauverband VDMA begrüßte die Verzögerung als „Gewinn für Rechtssicherheit”. Digitalrechtler sehen das skeptischer.

Schluss mit Cookie-Terror?

Für Verbraucher verspricht die Reform ein Ende der nervigen Klick-Orgien: Die EU will das DSGVO-Regelwerk so anpassen, dass Websites automatisierte Browser-Einstellungen zu Tracking-Cookies respektieren müssen. Wer seinen Browser so konfiguriert, dass er Tracking ablehnt, soll mindestens sechs Monate lang nicht mehr mit Pop-ups bombardiert werden.

Zudem soll der „Alle ablehnen”-Button genauso prominent platziert werden wie „Alle akzeptieren” – und mit einem einzigen Klick funktionieren. „Wir geben Bürgern die Kontrolle über ihre Online-Entscheidungen zurück”, erklärte ein Kommissionssprecher. „Das Ziel ist weniger Ärger, ohne die Privatsphäre zu schwächen.”

Klingt gut – doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Kritiker befürchten, dass die Vereinfachungen vor allem großen Plattformen in die Hände spielen, die über ausgereifte technische Infrastruktur verfügen.

Datenschutzbehörden bekommen schärfere Zähne

Während die Kommission auf Vereinfachung setzte, verschärfte der Rat die Durchsetzungsmechanismen. Neue Verfahrensregeln sollen die Zusammenarbeit nationaler Datenschutzbehörden (DPAs) bei grenzüberschreitenden Fällen straffen – eine direkte Reaktion auf jahrelange Verzögerungen bei Verfahren gegen Tech-Giganten in Irland und Luxemburg.

Die neuen Regeln harmonisieren die Zulässigkeitskriterien für Beschwerden: Eine Beschwerde aus Lissabon wird künftig nach denselben Maßstäben behandelt wie eine aus Dublin. Entscheidend sind auch strikte Fristen: Untersuchungen dürfen maximal 15 Monate dauern, in besonders komplexen Fällen weitere 12 Monate.

Das ist ein klarer Schlag gegen die berüchtigte Trägheit mancher DPAs. Irland, wo viele US-Konzerne ihren EU-Hauptsitz haben, stand jahrelang in der Kritik, Verfahren zu verschleppen. Kann die Reform diesem Muster ein Ende setzen?

Industrielob trifft auf Datenschutz-Alarm

Die Reaktionen auf die Doppelstrategie fallen gespalten aus. Wirtschaftsverbände jubeln: Der VDMA und andere Branchenorganisationen loben die KI-Verzögerung als notwendige Atempause. „Rechtssicherheit braucht Zeit für komplexe technische Standards”, heißt es.

Doch Datenschützer laufen Sturm. Max Schrems, der österreichische Aktivist und Ehrenvorsitzende der Organisation noyb, bezeichnete den „Digital Omnibus” als „Deregulierungsagenda im Gewand der Vereinfachung”. Besonders kritisch sieht er den Vorschlag, „berechtigtes Interesse” als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im KI-Training zuzulassen.

„Das ist der größte Angriff auf die digitalen Rechte der Europäer seit Jahren”, warnte Schrems. Die Kommission priorisiere die Forderungen von US- und chinesischen Tech-Giganten über die Grundrechte der Bürger. Die Europäische Verbraucherorganisation (BEUC) sekundierte: Man fürchte einen „Datenschutz-Rollback”, der das Vertrauen in digitale Dienste untergrabe.

Draghi-Report als Taktgeber

Die Reformen sind kein Zufall. Sie folgen dem Draghi-Report zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit, der eindringlich vor einem weiteren Zurückfallen gegenüber den USA und China warnte. Die Kommission scheint entschlossen, die Regulierungslast zugunsten wirtschaftlicher Agilität zu senken – ein politischer Kurswechsel mit Ansage.

Der „Digital Omnibus”-Vorschlag geht nun ins Europäische Parlament und den Rat. Dort dürfte es hoch hergehen: Die sozialdemokratische S&D-Fraktion im Parlament hat bereits Widerstand gegen Maßnahmen angekündigt, die die DSGVO „aushöhlen” könnten. Besonders die KI-Datennutzung verspricht Zündstoff für die kommenden Monate.

Die neuen Durchsetzungsregeln des Rates treten dagegen relativ zügig in Kraft: 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt werden sie Gesetz, 15 Monate später greifen sie voll. Für Unternehmen und Verbraucher zeichnet sich 2026 als Jahr tiefgreifender Umwälzungen in der europäischen Digitalwirtschaft ab.

Was bedeutet das konkret? Weniger Formulare, schnellere Verfahren – aber auch neue Spielräume für Datensammler. Die Balance zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Grundrechten bleibt die Kernfrage dieser Reform.

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