EU-Sanktionen, Journalisten

EU-Sanktionen gegen Journalisten: Rechtsgutachten wirft heikle Fragen auf

23.11.2025 - 02:29:12

Ein brisantes Rechtsgutachten prominenter Juristen stellt die Legitimität von EU-Sanktionen gegen Medienschaffende infrage. Die am Wochenende bekannt gewordene Analyse könnte weitreichende Folgen für Brüssels Sanktionspolitik haben.

Was genau macht „Desinformation” aus – und wann darf die EU deswegen Menschen bestrafen? Mit dieser Kernfrage beschäftigt sich ein Rechtsgutachten, das Prof. Dr. Ninon Colneric, frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH), gemeinsam mit Prof. Alina Miron von der Universität Angers erstellt hat. Im Auftrag der EU-Abgeordneten Michael von der Schulenburg und Ruth Firmenich (BSW) untersuchten die Juristinnen das umstrittene „17. Sanktionspaket” vom 20. Mai 2025.

Ihr Urteil fällt eindeutig aus: Die Sanktionen gegen Journalisten wie Thomas Röper, Alina Lipp und Hüseyin Doğru entbehren einer soliden rechtlichen Grundlage. Der Desinformationsbegriff der EU sei „gefährlich vage” und erfülle nicht die rechtsstaatlichen Standards, die bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie Kontosperrungen und Reiseverboten zwingend erforderlich seien.

„Die aktuelle Regelung zu restriktiven Maßnahmen erfüllt nicht die Mindeststandards von Transparenz und Verhältnismäßigkeit”, heißt es in dem Gutachten. Die EU habe faktisch Berufsverbote ohne vorherige Anhörung verhängt – ein Rubikon sei überschritten worden.

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Moskau-Reise sorgt für politischen Wirbel

Die Veröffentlichung erfolgt just in einer turbulenten Phase für die Auftraggeber des Gutachtens. Schulenburg und Firmenich stehen wegen ihrer Moskau-Reise im Mai 2025 zum 80. Jahrestag des Kriegsendes massiv in der Kritik.

Am 18. November bestätigte Firmenich gegenüber Medien, dass der US- und EU-sanktionierte Oleg Woloschin logistische Aspekte der Reise organisiert hatte – etwa Theaterkarten. Die Abgeordnete verteidigte dies als notwendige Unterstützung für eine diplomatische Mission zur Förderung des Dialogs. Die Kosten seien privat beglichen worden.

Die BSW-Delegation nutzt das neue Rechtsgutachten nun als Gegenoffensive. Die Sanktionen gegen Journalisten und die weitreichenden Kontaktverbote würden notwendige Kommunikationskanäle abschneiden und abweichende Sichtweisen kriminalisieren – unter dem Deckmantel der Propagandabekämpfung.

Brüssel verschärft Sanktionskurs weiter

Während das Gutachten die Rechtmäßigkeit infrage stellt, baut die EU ihr Sanktionsregime kontinuierlich aus. Am 21. November verkündete der Rat der Europäischen Union neue Strafmaßnahmen gegen zehn weitere Personen – diesmal wegen Menschenrechtsverletzungen und der Unterdrückung der Zivilgesellschaft in Russland.

Die neuen Listungen betreffen hochrangige Vertreter des russischen Justizvollzugssystems und der Justiz. Ihnen wird unter anderem Verantwortung für die Misshandlung von Gefangenen vorgeworfen, darunter der Fall der ukrainischen Journalistin Viktoria Roschina.

„Die Sanktionen umfassen das Einfrieren von Vermögenswerten. EU-Bürgern und Unternehmen ist es untersagt, den Betroffenen finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen”, teilte der Rat mit. Dieser Schritt unterstreicht Brüssels Entschlossenheit, Sanktionen als außenpolitisches Hauptinstrument einzusetzen – trotz wachsender rechtlicher und politischer Gegenwehr.

Pressefreiheit versus Sicherheitsinteressen

Der Konflikt zwischen Sicherheitsimperativen und Grundrechtsschutz dürfte sich verschärfen. Das Rechtsgutachten legt nahe, dass die Journalisten-Sanktionen vor dem EuGH anfechtbar sein könnten.

Folgt der Gerichtshof der Argumentation seiner ehemaligen Richterin Colneric, könnte dies Brüssel zu einer grundlegenden Neuausrichtung im Umgang mit „Desinformation” und „Einflussaktivitäten” zwingen. Die Meinungsfreiheit – ein Eckpfeiler europäischer Identität – werde durch Maßnahmen kompromittiert, die Worte wie Waffen behandeln, ohne zwischen staatlicher Destabilisierung und geschützter journalistischer Tätigkeit zu unterscheiden.

Für Unternehmen und Compliance-Abteilungen bedeuten diese Entwicklungen wachsende Komplexität. Die EU erweitert ihre Kriterien für die Listung von „nicht-staatlichen Akteuren” und „Proxies” kontinuierlich. Potenzielle Gerichtsprozesse gegen diese Sanktionen schaffen zusätzliche Rechtsunsicherheit – auch für deutsche DAX-Konzerne mit internationalen Geschäftsbeziehungen.

Was kommt jetzt?

Beobachter erwarten, dass das Rechtsgutachten die Grundlage für Nichtigkeitsklagen Betroffener in Luxemburg bilden wird. Im Europaparlament dürfte die Debatte an Schärfe gewinnen – die BSW-Gruppe kündigt bereits an, das „Zensurnetzwerk” aus Brüssel anzufechten.

Die EU-Kommission hat sich bis Sonntag noch nicht zu den konkreten Erkenntnissen des Colneric/Miron-Gutachtens geäußert. Doch klar ist: Die Frage, wo legitime Sicherheitsinteressen enden und Grundrechtsverletzungen beginnen, wird die europäische Politik auch in den kommenden Monaten beschäftigen.

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