EU-Sanktionen, Strafverfahren

EU-Sanktionen: 6.000 Strafverfahren markieren Ende der Schonfrist

29.12.2025 - 13:12:12

Die EU geht mit ungekannter Härte gegen Sanktionsverstöße vor. Neue Daten zeigen einen massiven Anstieg strafrechtlicher Ermittlungen in ganz Europa, angeführt von Deutschland.

Brüssel/Berlin – Die Europäische Union hat die Schonfrist für Unternehmen beendet. Wie aktuelle Daten vom Montag, 29. Dezember 2025, belegen, rollt eine beispiellose Ermittlungswelle über den Kontinent. Allein in Deutschland laufen derzeit rund 6.000 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Russland-Sanktionen. Diese Zahl, die Branchenkenner als historisch bezeichnen, signalisiert einen fundamentalen Wandel: Aus einer verwaltungsrechtlichen Übung ist ein prioritäres Feld der Strafverfolgung geworden.

Der drastische Anstieg ist kein deutsches Phänomen. Parallelberichte aus Polen und dem Baltikum zeigen ein koordiniertes, EU-weites Vorgehen gegen Sanktionsumgehung. Treiber dieser Entwicklung ist die vollständige Umsetzung der EU-weit harmonisierten Sanktionsrichtlinie. Sie ermöglicht es den Behörden nun nicht nur vorsätzliche Umgehung, sondern auch „grob fahrlässiges“ Handeln in Lieferketten strafrechtlich zu verfolgen.

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Das Ausmaß der aktuellen Welle überrascht viele Marktbeobachter. Die 6.000 deutschen Verfahren sind vermutlich nur die Spitze eines europäischen Eisbergs. Im Fokus stehen Verstöße gegen die Restriktionen gegenüber Russland und Belarus, insbesondere beim Export von Dual-Use-Gütern und kritischen Technologien.

In Polen melden Zoll- und Staatsanwaltschaften einen parallelen Anstieg von Beschlagnahmungen und Kontrollen. Im Visier steht dabei zunehmend das sogenannte „Origin Laundering“: Dabei werden Waren aus sanktionierten Jurisdiktionen in Drittländer umgeleitet und umdeklariert, um ihre wahre Herkunft zu verschleiern.

Die hohen Fallzahlen korrelieren direkt mit der aggressiven Haltung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) und nationaler Behörden. Erst in der vergangenen Woche kündigte die EPPO Festnahmen in Polen im Zusammenhang mit Beschaffungsbetrug an. Die schiere Masse der Fälle zeigt: Die europäischen Strafverfolger arbeiten sich systematisch durch den Rückstau verdächtiger Transaktionen und Zollmeldungen der vergangenen zwei Jahre.

Kampf gegen das „Origin Laundering“

Der Fokus der Ermittler liegt klar auf den trickreichen Umleitungsrouten. Dabei werden Güter für Russland scheinbar in „sichere“ Länder Zentralasiens oder des Nahen Ostens geliefert, von wo aus sie dann weitergeleitet werden.

Berichte von Logistik-Experten zeigen, dass sich zunehmend auch Spediteure und Logistikdienstleister im Fadenkreuz der Ermittlungen wiederfinden. Die Behörden akzeptieren Handelsdokumente nicht mehr einfach. Stattdessen fordern sie lückenlose Nachweise, dass weder die Waren noch ihre Komponenten von sanktionierten Entitäten stammen.

Die Folgen für den Transportsektor sind erheblich. In Polen und Deutschland sind mehrwöchige Festhaltungen von Lkws und Fracht zur Überprüfung an der Tagesordnung. Aufgedeckt werden Netzwerke, die sich auf gefälschte Ursprungszeugnisse spezialisiert haben. Die Konsequenz: Strafrechtliche Verfolgung trifft nicht nur Exporteure, sondern auch Mittelsmänner, die trotz offensichtlicher Warnsignale den Transport ermöglichten.

Richtlinie 2024/1226: Der rechtliche Brandbeschleuniger

Die Explosion der Ermittlungen ist eine direkte Folge der Umsetzung der EU-Richtlinie 2024/1226. Sie setzte den Mitgliedstaaten eine Frist bis Mai 2025, um Verstöße gegen Sanktionen einheitlich als Straftat zu definieren. Zuvor war die Rechtslage fragmentiert; manche Länder behandelten Vergehen als reine Ordnungswidrigkeit.

Seit Ende 2025 ist die Rechtslage eindeutig härter. Die Richtlinie verpflichtet alle Mitgliedstaaten, Verstöße zu kriminalisieren und Mindeststrafen – einschließlich Freiheitsstrafen von mindestens fünf Jahren für schwere Vergehen – festzulegen. Die 6.000 Fälle in Deutschland spiegeln auch die rückwirkende Überprüfung von Geschäften aus den Jahren 2024 und 2025 wider, die nun nach den verschärften nationalen Gesetzen verfolgt werden.

Den Druck erhöhte die EU-Kommission massiv: Im Juli 2025 mahnte sie 18 Mitgliedstaaten formell ab, weil sie die Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt hatten. Dieser Druck scheint die gesetzgeberischen und ermittlerischen Aktivitäten im zweiten Halbjahr 2025 beschleunigt zu haben.

Lieferketten-Haftung: Unwissenheit schützt nicht mehr

Die folgenreichste Neuerung für Unternehmen ist die Absenkung der Strafbarkeitsschwelle. Das neue Regime zielt explizit auf „grobe Fahrlässigkeit“ ab. Die Ausrede „Das habe ich nicht gewusst“ gilt nicht mehr.

Analysen zeigen: Die Sorgfaltspflicht ist keine freiwillige Compliance-Übung mehr, sondern eine strikte gesetzliche Verpflichtung. Importeure machen sich strafbar, wenn sie ihre gesamte Wertschöpfungskette nicht lückenlos überprüfen. Exporteure riskieren Strafverfolgung, wenn sie an Zwischenhändler verkaufen, ohne sicherzustellen, dass die Waren nicht in sanktionierte Gebiete weitergeliefert werden.

Diese erweiterte Haftung betrifft auch Führungskräfte. Nach den neuen nationalen Gesetzen haften Vorstände und leitende Angestellte persönlich für systematische Compliance-Versäumnisse. Der Fokus hat sich verschoben: Nicht mehr nur Geldstrafen gegen das Unternehmen, sondern strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Personen, deren Kontrollversagen die Verstöße ermöglichte.

Ausblick: Hochkarätige Prozesse und vertiefte Kooperation

Für 2026 ist absehbar, dass die aktuelle Ermittlungswelle in eine Serie aufsehenerregender Anklagen und Prozesse münden wird. Die 6.000 deutschen Verfahren werden als Testfeld für die neuen Rechtsdefinitionen von „Umgehung“ und „Fahrlässigkeit“ dienen.

Unternehmen müssen sich auf weiter zunehmende Maßnahmen gegen die „Schattenflotte“ an Logistikern und Finanzintermediären einstellen. Die Zusammenarbeit zwischen der EPPO und nationalen Behörden wird sich voraussichtlich vertiefen, was im ersten Quartal 2026 zu weiteren grenzüberschreitenden Razzien und Vermögenseinzügen führen könnte.

Die Botschaft aus Brüssel und Berlin ist unmissverständlich: Die Ära nachsichtiger Durchsetzung ist vorbei. Sanktionen-Compliance ist jetzt eine Frage des Strafrechts.

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