EU-Richtlinie zwingt Unternehmen zu radikaler Gehalts-Offenlegung
18.11.2025 - 12:24:12Deutsche Firmen müssen ab Juni 2026 Gehaltslücken offenlegen und erweiterte Auskunftspflichten erfüllen. Nur 28 Prozent der Unternehmen sind auf die EU-Richtlinie vorbereitet.
Die Zeiten intransparenter Gehälter sind in Deutschland bald vorbei. Ein Expertenbericht für die Bundesregierung legt offen, wie drastisch sich die Spielregeln für Arbeitgeber ändern werden – und die meisten Firmen sind darauf nicht vorbereitet.
Am 7. November 2025 übergab eine unabhängige Expertenkommission ihren 88-seitigen Abschlussbericht an das Bundesfamilienministerium. Der Inhalt hat es in sich: Bis Juni 2026 muss Deutschland die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz in nationales Recht umsetzen. Was folgt, dürfte Personalern schlaflose Nächte bereiten. Neue Auskunftsrechte, verpflichtende Berichte über Gehaltslücken und eine Beweislastumkehr in Diskriminierungsfällen werden das bestehende Entgelttransparenzgesetz grundlegend umkrempeln.
Die zentrale Forderung der EU: gleiches Geld für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Klingt simpel, bedeutet aber für Unternehmen ab 100 Mitarbeitern einen enormen administrativen Aufwand. Sie müssen künftig offenlegen, wie groß die geschlechtsspezifische Gehaltslücke in ihrer Organisation ist. Liegt die Differenz bei mindestens fünf Prozent und lässt sie sich nicht mit objektiven Faktoren erklären, wird es ernst: Dann steht eine gemeinsame Entgeltanalyse mit der Arbeitnehmervertretung an.
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Schon in der Stellenanzeige: Gehalt auf den Tisch
Transparenz beginnt künftig bereits vor der Einstellung. Arbeitgeber müssen entweder in der Stellenausschreibung oder spätestens vor dem Vorstellungsgespräch die Gehaltsspanne für die ausgeschriebene Position nennen. Die Frage nach dem bisherigen Verdienst? Verboten.
Und damit nicht genug: Beschäftigte erhalten deutlich erweiterte Auskunftsrechte. Sie können künftig Informationen über das durchschnittliche Gehaltsniveau von Kolleginnen und Kollegen verlangen, die gleichwertige Tätigkeiten ausüben – aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Nach Vorschlag der Kommission soll diese Auskunft einmal jährlich verlangt werden können, erstmals wohl 2027. Damit das auch funktioniert, müssen Arbeitgeber ihre Belegschaft jährlich über dieses Recht informieren.
Wenn der Chef beweisen muss: Die Beweislastumkehr kommt
Der wohl gravierendste Einschnitt für Unternehmen: die Umkehr der Beweislast. Liefert eine Beschäftigte Indizien für eine geschlechtsbezogene Entgeltdiskriminierung, muss künftig der Arbeitgeber nachweisen, dass keine Benachteiligung vorlag. Nicht die Klägerin muss ihre Diskriminierung beweisen, sondern das Unternehmen seine Unschuld.
Diese Regelung ist keine abstrakte Theorie. Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits im Februar 2023 (Az. 8 AZR 450/21) geurteilt, dass ein simpler “Paarvergleich” genügt: Verdient ein männlicher Kollege in vergleichbarer Position mehr, liegt die Vermutung einer Diskriminierung nahe. Die Begründung, der Kollege habe eben besser verhandelt? Zählt nicht. Die EU-Richtlinie zementiert diese arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung nun gesetzlich.
Wirtschaft warnt vor “Bürokratiemonster”
Der Handelsverband Deutschland (HDE) schlägt Alarm. Die Umsetzung der Richtlinie drohe ein “neues Bürokratiemonster” zu werden. Das 2017 verabschiedete Entgelttransparenzgesetz biete bereits einen ausreichenden Rechtsrahmen. Die zusätzlichen Anforderungen würden Unternehmen unnötig belasten – und das in wirtschaftlich ohnehin schwierigen Zeiten.
Tatsächlich zeigt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Mercer ein alarmierendes Bild: Nur 28 Prozent der deutschen Firmen fühlen sich auf die neuen Anforderungen vorbereitet. Die überwältigende Mehrheit muss also dringend handeln: Gehaltsstrukturen analysieren, Berichtsmechanismen entwickeln, Personal- und Führungskräfte schulen. Die Bundesregierung steht vor dem Spagat, EU-Vorgaben zu erfüllen und gleichzeitig die Praxistauglichkeit für den Mittelstand zu sichern.
Countdown läuft: Bis Juni 2026 muss das Gesetz stehen
Das Familienministerium wird nun auf Basis des Expertenberichts einen Gesetzentwurf ausarbeiten. Rechtsexperten erwarten die Vorlage Anfang 2026. Die EU-Frist endet am 7. Juni 2026 – danach drohen Deutschland Vertragsverletzungsverfahren.
Für Arbeitgeber tickt die Uhr. Die verbleibende Zeit bis 2026 ist keine Schonfrist, sondern ein knappes Vorbereitungsfenster. Wer jetzt nicht proaktiv interne Gehaltsanalysen durchführt und Strukturen schafft, riskiert ab Inkrafttreten des Gesetzes erhebliche rechtliche und finanzielle Konsequenzen. Nachzahlungsforderungen und Sanktionen könnten teuer werden – deutlich teurer als rechtzeitige Vorbereitung.
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