EU-Parlament, Massive

EU-Parlament: Massive Aufweichung der Nachhaltigkeitspflichten beschlossen

17.11.2025 - 23:29:12

Brüssel gibt nach: Künftig müssen deutlich weniger Unternehmen über Nachhaltigkeit und Lieferketten berichten. Was als Entlastung des Mittelstands verkauft wird, könnte den Green Deal aushöhlen. Mit 382 zu 249 Stimmen hat das EU-Parlament am 13. November die Weichen gestellt – und die Wirtschaftslobby jubelt. Doch was bedeutet das konkret für deutsche Unternehmen?

Die Zahlen sind beeindruckend: Statt wie bisher geplant bei 250 Beschäftigten greift die Berichtspflicht künftig erst ab 1.750 Mitarbeitern und 450 Millionen Euro Jahresumsatz. Experten schätzen, dass dadurch über 90 Prozent der ursprünglich erfassten Firmen aus dem Anwendungsbereich fallen. Ein massiver Rückzieher, der die europäische Nachhaltigkeitsstrategie fundamental verändert.

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sollte eigentlich Transparenz schaffen – über Klimaauswirkungen, Arbeitsbedingungen und Umweltrisiken. Nach der nun beschlossenen Reform betrifft sie fast nur noch DAX-Konzerne und deren internationale Pendants.

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Noch drastischer fällt die Änderung bei den Lieferkettenpflichten aus: Die CSDDD gilt künftig erst ab 5.000 Beschäftigten und 1,5 Milliarden Euro Weltumsatz. Zum Vergleich: Selbst ein Mittelständler wie Trumpf mit rund 18.000 Mitarbeitern würde damit unter den Radar fallen, wenn sein Umsatz knapp darunter läge.

Das Parlament ging dabei sogar über die Vorschläge von Kommission und Ministerrat hinaus. Ursprünglich war ein Schwellenwert von 1.000 Beschäftigten im Gespräch – zu wenig, befand die Mehrheit aus konservativen und rechten Fraktionen.

Weniger Datenpunkte, mehr Spielraum

Doch nicht nur der Anwenderkreis schrumpft, auch der Inhalt wird abgespeckt. Die Berichtsstandards (ESRS) sollen vereinfacht werden: Weniger Datenpunkte, weniger beschreibende Texte, mehr Fokus auf harte Zahlen. Klingt effizient – oder nach gezieltem Zurückfahren der Ansprüche?

Besonders brisant: Der sogenannte Trickle-Down-Effekt wird ausgebremst. Große Konzerne dürfen von ihren kleineren Zulieferern künftig keine Informationen mehr fordern, die über freiwillige Standards hinausgehen. Auch branchenspezifische Vorgaben werden optional statt verpflichtend.

Für die deutsche Automobilindustrie etwa könnte das bedeuten: Ein BMW oder Volkswagen muss zwar weiter umfassend berichten – darf aber seine Mittelstands-Zulieferer nicht mehr zu detaillierten Angaben zwingen. Transparenz in der Lieferkette? Künftig Fehlanzeige.

Wirtschaft jubelt, Umweltschützer alarmiert

Die Wirtschaftsverbände hatten monatelang Druck gemacht. Zu viel Bürokratie, zu hohe Kosten, Wettbewerbsnachteile gegenüber China und den USA – die Argumente saßen. BDI und DIHK sprechen nun von einem “wichtigen Signal” und einem “längst überfälligen Realitätscheck”.

Auf der anderen Seite stehen Umweltorganisationen und linke Fraktionen, die von einer “Katastrophe für den Green Deal” sprechen. Ihre Sorge: Wenn 90 Prozent der Unternehmen nicht mehr berichten müssen, verpufft die Wirkung der Richtlinien. Menschenrechte in asiatischen Textilfabriken? Umweltzerstörung durch Rohstoffabbau? Bleibt künftig weitgehend im Dunkeln.

Die grüne Europaabgeordnete Anna Cavazzini brachte es auf den Punkt: “Wir schaffen die Transparenz ab, bevor sie richtig begonnen hat.”

Was kommt als Nächstes?

Bereits am 18. November starten die Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Ministerrat und Kommission. Da sich der Rat bereits im Juni auf eine ähnliche Linie festgelegt hatte, gilt eine Einigung bis Jahresende als wahrscheinlich.

Danach haben die Mitgliedstaaten zwölf Monate Zeit zur Umsetzung in nationales Recht. Für deutsche Unternehmen bedeutet das: Wer bereits in teure Berichtssysteme investiert hat, könnte auf den Kosten sitzenbleiben. Wer abgewartet hat, darf sich bestätigt fühlen.

Besonders pikant wird es für Firmen knapp über den alten und knapp unter den neuen Schwellenwerten. Sie müssen ihre gesamte ESG-Strategie überdenken – von der IT-Infrastruktur bis zur Personalplanung. Doch für die große Mehrheit des deutschen Mittelstands lautet die Botschaft aus Brüssel: Durchatmen erlaubt. Zumindest vorerst.

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