KI-Verordnung, Aufschub

EU lockert KI-Verordnung: Aufschub und Datenschutz-Kompromisse

19.11.2025 - 17:51:11

Brüssel wagt den Spagat: Die EU-Kommission will ihre strengen KI-Regeln entschärfen, um Europas Tech-Branche nicht abzuhängen. Doch der Plan, Fristen zu verschieben und Datenschutzhürden zu senken, löst heftige Kontroversen aus. Steht der Schutz der Bürger auf dem Spiel?

Mit ihrem heute vorgestellten „Digital Omnibus”-Paket reagiert die Brüsseler Behörde auf monatelangen Druck aus der Industrie. Das Versprechen: weniger Bürokratie, mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die Realität: ein komplexes Reformvorhaben, das die erst 2024 beschlossene KI-Verordnung bereits wieder auf den Prüfstand stellt. Zwischen Innovationsförderung und Grundrechtsschutz entbrennt eine Debatte, die weit über Europa hinausstrahlt.

Der wohl umstrittenste Punkt: Strengere Auflagen für Hochrisiko-KI werden um 16 Monate verschoben – von August 2026 auf Dezember 2027. Betroffen sind ausgerechnet sensible Bereiche wie biometrische Überwachung, Personalbewertung, Kreditprüfungen und der Einsatz in kritischer Infrastruktur.

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Die Begründung der Kommission klingt pragmatisch: Unternehmen bräuchten mehr Zeit, um technische Standards umzusetzen und die nötigen Tools zu entwickeln. „Vereinfachung ist keine Deregulierung”, betonte ein Kommissionsbeamter im Briefing. Doch was für die Industrie nach Entlastung klingt, alarmiert Datenschützer. Sie befürchten, dass Bürgerinnen und Bürger während der Gnadenfrist schutzlos riskanten KI-Anwendungen ausgesetzt bleiben.

DSGVO-Reform öffnet Tür für Big Tech

Noch brisanter ist der geplante Eingriff in die Datenschutz-Grundverordnung. Künftig soll die Verarbeitung personenbezogener Daten für KI-Training als „legitimes Interesse” gelten – eine Formulierung mit weitreichenden Folgen.

Konzerne wie Google, Meta oder OpenAI könnten damit europäische Nutzerdaten zum Trainieren ihrer Modelle nutzen, ohne jedes Mal explizit um Erlaubnis zu fragen. Was bisher eine rechtliche Grauzone war, würde plötzlich zur offiziellen Geschäftsgrundlage. Für die Unternehmen bedeutet das Rechtssicherheit und Wettbewerbsvorteile. Für Bürgerrechtsorganisationen ist es ein Dammbruch: Die strengen EU-Datenschutzstandards, jahrelang als Vorbild gefeiert, könnten so empfindlich verwässert werden.

Testlabore als Innovationsturbo

Nicht alle Vorschläge sind umstritten. Die geplante Ausweitung regulatorischer Sandkästen stößt weitgehend auf Zustimmung. In diesen kontrollierten Testumgebungen können Unternehmen – besonders Start-ups und Mittelständler – innovative KI-Systeme unter behördlicher Aufsicht entwickeln und erproben.

Bis August 2026 muss jeder Mitgliedstaat mindestens einen solchen Sandkasten einrichten. Ab 2028 soll ein EU-weiter Testbereich folgen. Das Ziel: schnellere Markteinführungen bei gleichzeitiger Qualitätskontrolle. Kleine und mittlere Unternehmen sollen bevorzugten Zugang erhalten – ein Versuch, nicht nur die Tech-Giganten zu begünstigen.

Zentralisierung der Kontrolle

Parallel zur Lockerung einzelner Regeln will Brüssel die Aufsicht bündeln. Das neu geschaffene EU AI Office soll deutlich mehr Befugnisse erhalten und künftig nicht nur Allzweck-KI-Modelle überwachen, sondern auch deren nachgelagerte Anwendungen kontrollieren.

Diese Zentralisierung soll verhindern, dass 27 verschiedene nationale Behörden die KI-Verordnung unterschiedlich auslegen. Ein einheitlicher Vollzug wäre tatsächlich im Interesse aller – von Start-ups bis zu DAX-Konzernen wie SAP oder Siemens, die auf klare Rahmenbedingungen angewiesen sind.

Milliarden-Ersparnis oder fauler Kompromiss?

Die Kommission rechnet vor: Bis 2029 könnten Unternehmen durch die Vereinfachungen bis zu fünf Milliarden Euro an Verwaltungskosten sparen. Allein bei der technischen Dokumentation sollen KMU jährlich 225 Millionen Euro weniger ausgeben müssen.

Doch lässt sich der Wert von Grundrechtsschutz in Eurobeträgen ausdrücken? Kritiker sehen hinter den Zahlen vor allem eines: Lobbyerfolge der Tech-Industrie, die seit Monaten gegen zu starre Regulierung mobilisiert. Die Verzögerung bei Hochrisiko-Systemen und die DSGVO-Aufweichung seien keine Vereinfachungen, sondern handfeste Zugeständnisse an Silicon-Valley-Konzerne.

Showdown in Parlament und Rat

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Der „Digital Omnibus” muss nun durch das Europäische Parlament und den Rat der Mitgliedstaaten. Dort zeichnet sich bereits Widerstand ab, besonders von datenschutz- und verbraucherorientierten Abgeordneten.

Wie diese Auseinandersetzung ausgeht, wird zeigen, welche Prioritäten die EU tatsächlich setzt: Soll Europa zum attraktiven Innovationsstandort werden – oder bleibt es der Kontinent, der bei KI-Regulierung den höchsten Schutzstandard setzt? Die kommenden Monate dürften diese Grundsatzfrage klären. Und die Antwort wird weit über Europas Grenzen hinaus Signalwirkung entfalten.

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