EU-KI-Gesetz: Brüsseler Kehrtwende unter US-Druck?
18.11.2025 - 05:09:12Die weltweit strengste KI-Regulierung steht auf der Kippe. Schon morgen will die EU-Kommission weitreichende Änderungen am Artificial Intelligence Act präsentieren – noch bevor das Gesetz überhaupt richtig greift. Was steckt hinter dem plötzlichen Reformeifer?
Das „Digital Omnibus”-Paket soll das digitale Regelwerk der EU vereinfachen. Doch die geplanten Anpassungen gehen offenbar weit über technische Korrekturen hinaus. Interne Dokumente deuten auf Zugeständnisse an Tech-Konzerne hin, die das Fundament des erst 2024 verabschiedeten Gesetzes erschüttern könnten. Die Kommission steht nun vor einer Zerreißprobe: Soll sie ihre Vorreiterrolle bei ethischer KI verteidigen oder dem Ruf nach mehr Wettbewerbsfähigkeit folgen?
Die Fronten zwischen den EU-Ländern verlaufen tief. Dänemark, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, fordert eine „grundlegende Überarbeitung” und „echte Vereinfachung” des digitalen Regelwerks. Welche Vorschriften sollen bleiben, welche überarbeitet, welche abgeschafft werden? Diese Fragen treiben Kopenhagen um.
Deutschland kontert scharf. In einem „Non-Paper” warnt Berlin die Kommission ausdrücklich vor fundamentalen Eingriffen in die Kernstruktur des KI-Gesetzes. Die Integrität der Regelung müsse gewahrt bleiben, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Die Niederlande versuchen derweil einen Mittelweg: Den regulatorischen Aufwand senken, ja – aber die übergeordneten Ziele nicht verwässern.
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Besonders brisant: Ein geleakter Entwurf des Omnibus-Pakets enthält eine DSGVO-Änderung, die den Schutz sensibler Personendaten beim KI-Training aufweichen könnte. Kritiker warnen, dies schaffe Rechtsunsicherheit und gebe Tech-Giganten faktisch einen Freifahrtschein für den Umgang mit sensiblen Daten. Kleinere Unternehmen hingegen dürften mit den schwammig definierten „angemessenen” Schutzmaßnahmen kämpfen.
Silicon Valley macht Druck
Zufall oder Kalkül? Die geplanten Lockerungen folgen einer monatelangen Lobbykampagne amerikanischer Tech-Konzerne. Im Oktober startete die Computer and Communications Industry Association (CCIA) – zu deren Mitgliedern Apple, Meta und Amazon zählen – eine öffentliche Kampagne für ein „einfacheres” digitales Regelwerk.
Dazu kommen Berichte über direkte Gespräche zwischen EU-Funktionären und der Trump-Administration über Anpassungen an den digitalen Regulierungen. Die Kommission weist die Vorwürfe zurück: „Die USA werden nicht über unsere Vereinfachungsagenda entscheiden. Es ist unser souveränes Recht zu legislieren”, betont ein Sprecher. Doch das Timing weckt Misstrauen bei Abgeordneten.
Der Druck kommt auch aus Europa selbst. Im Juli unterzeichneten 56 EU-basierte KI-Firmen – darunter Frankreichs Mistral AI und Deutschlands Aleph Alpha – einen offenen Brief. Ihre Warnung: Hohe Compliance-Kosten würden lokale Innovation ersticken. Allerdings gehen manchen Branchenverbänden die vorgeschlagenen Änderungen nicht weit genug.
Umsetzung im Zeitraffer
Während die Reformdebatte tobt, läuft die stufenweise Implementierung des ursprünglichen Gesetzes weiter. Das KI-Gesetz trat am 1. August 2024 offiziell in Kraft. Seit 2. Februar 2025 gilt bereits das Verbot von KI-Systemen mit „inakzeptablen Risiken” – etwa Social Scoring oder manipulative Techniken.
Seit August 2025 gelten spezifische Pflichten für Anbieter von Allzweck-KI-Modellen. Die Mehrheit der Vorschriften wird ab August 2026 vollständig anwendbar sein, für bestimmte Hochrisiko-Systeme gilt eine Übergangsfrist bis August 2027.
Doch die nationale Umsetzung hakt gewaltig. Eine Kommissions-Umfrage offenbart: Mehr als die Hälfte der EU-Staaten rechnet nicht damit, ihre nationalen Durchsetzungsgesetze vor 2026 fertigzustellen. Kann die EU ihren eigenen Zeitplan einhalten?
Das neue EU-KI-Büro nimmt Fahrt auf
Inmitten des legislativen Durcheinanders etabliert sich das frisch gegründete Europäische KI-Büro als zentraler Akteur. Die Behörde überwacht die Regeln für Allzweck-KI-Modelle und unterstützt nationale Aufsichtsbehörden.
Erste Projekte laufen bereits: Ein „Digital Twin”-Vorhaben soll beim Wiederaufbau der Ukraine helfen. Parallel arbeitet das Büro an einem Verhaltenskodex zur Kennzeichnung KI-generierter Inhalte – ein heikles Thema angesichts von Desinformation und Deepfakes.
Prüfstein für Europas Tech-Strategie
Die aktuelle Auseinandersetzung ist mehr als eine technische Debatte über Paragrafen. Sie entscheidet über die Ausrichtung europäischer Technologiepolitik für die kommenden Jahre. Das KI-Gesetz sollte globaler Maßstab werden – eine menschenzentrierte, rechtebasierte Regulierung von Zukunftstechnologie.
Befürworter der Vereinfachung argumentieren: Ohne Anpassungen verliert die EU den Anschluss im globalen KI-Wettlauf. Digitale Menschenrechtsorganisationen kontern: Eine Verwässerung unter Industrie- und Außendruck – noch bevor die volle Wirkung überhaupt bewertet werden konnte – höhle den Kernzweck aus. Rechtsunsicherheit und Schutzlücken für Bürger wären die Folge.
Welchen Kurs wird Brüssel einschlagen? Die Antwort darauf zeigt, ob die EU an ihrer strikten Tech-Regulierung festhält oder zu einem innovationsfreundlicheren – und möglicherweise nachgiebigeren – Ansatz schwenkt.
Was kommt jetzt?
Morgen fällt der Startschuss. Die Veröffentlichung des „Digital Omnibus”-Pakets setzt einen Verhandlungsmarathon zwischen Europäischem Parlament und EU-Rat in Gang. Angesichts der polarisierten Positionen dürfte dieser Prozess turbulent werden.
Parallel läuft die Arbeit am technischen Unterbau für die Compliance weiter. Die europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC arbeiten unter Hochdruck an harmonisierten Standards. Diese sollen Unternehmen einen klaren Pfad aufzeigen, wie sie die Anforderungen des KI-Gesetzes erfüllen können.
Für Firmen weltweit bedeuten die kommenden Monate: erhöhte Unsicherheit. Sowohl die politischen Debatten in Brüssel als auch der technische Standardisierungsprozess erfordern engmaschiges Monitoring. Denn letztlich wird dieser Prozess definieren, wie KI-Compliance auf dem europäischen Markt konkret aussieht.
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