EU-KI-Gesetz: Brüssel verschiebt zentrale Fristen bis 2027
23.11.2025 - 06:50:12Die Europäische Kommission rudert zurück: Kernbestimmungen des KI-Gesetzes für Hochrisiko-Systeme könnten erst Ende 2027 greifen. Während Unternehmen aufatmen, herrscht bei der bereits gültigen „KI-Kompetenzpflicht” weiter Verwirrung.
Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Die diese Woche angekündigte Verschiebung verschafft Tausenden Firmen Luft – doch die Schulungspflicht für Mitarbeiter gilt bereits seit Februar. Ein Spagat zwischen Pragmatismus und Rechtssicherheit.
Am Donnerstag präsentierte die Kommission ihr „Paket zur digitalen Vereinfachung”. Kernstück: Die Durchsetzung der Vorschriften für Hochrisiko-KI-Systeme soll auf den 2. Dezember 2027 verschoben werden – bei Systemen unter anderen EU-Harmonisierungsgesetzen womöglich sogar bis August 2028. Ursprünglich war Mitte 2026 als Stichtag geplant.
Die Botschaft aus Brüssel ist unmissverständlich: Die Industrie hat erfolgreich Alarm geschlagen. Das im Gesetz verankerte Risikomodell stuft KI-Anwendungen in vier Kategorien ein – von unannehmbarem Risiko bis minimal. Wer unter „Hochrisiko” fällt – etwa Systeme für Personalentscheidungen, kritische Infrastruktur oder Kreditvergabe –, muss aufwendige Konformitätsprüfungen durchlaufen.
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Kann die EU-Regulierung überhaupt mit dem Tempo der Technologie mithalten? Die jüngsten Änderungsvorschläge deuten auf Zweifel hin. Besonders kleine und mittlere Unternehmen sollen entlastet werden:
- Wegfall der Registrierungspflicht für Anbieter, die ihre Annex-III-Systeme selbst als „nicht hochriskant” einstufen
- Vereinfachte Qualitätsmanagement-Vorgaben für Start-ups
- Bevorzugter Zugang zu Regulierungs-Sandboxen für kleinere Betriebe
Die seit Februar 2025 geltenden Verbote für KI mit „unannehmbarem Risiko” bleiben unangetastet. Doch der Aufschub bei Hochrisiko-Systemen verschafft Unternehmen Zeit, ihre Algorithmen zu prüfen – ein willkommener Aufschub angesichts des Mangels an zertifizierten Prüfstellen.
Die KI-Kompetenzpflicht: Gilt bereits, bleibt aber diffus
Während über künftige Fristen debattiert wird, ist Artikel 4 längst Realität. Seit dem 2. Februar 2025 müssen Anbieter und Betreiber sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter über „ausreichende KI-Kompetenz” verfügen. Neun Monate später zeigt sich: Die Umsetzung verläuft holprig.
Ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21. November macht deutlich: Die Anforderungen bleiben „recht vage”. Weder gibt es detaillierte Dokumentationspflichten noch direkte Bußgelder für fehlende Schulungen. Die Folge? Großkonzerne richten aufwendige „KI-Akademien” ein, während mittelständische Betriebe ratlos bleiben.
Was heißt „ausreichend”? Artikel 4 verlangt, dass Schulungen sich an folgenden Faktoren orientieren:
- Technischem Wissensstand der Belegschaft
- Einsatzkontext der KI-Systeme
- Betroffenen Personengruppen
Rechtsexperten warnen allerdings: Zwar drohen keine isolierten Strafen für Schulungslücken, doch fehlende Nachweise könnten bei Schadensfällen zum Bumerang werden. Die Kommission signalisierte diese Woche, mehr Verantwortung auf Mitgliedstaaten zu verlagern – die Grundpflicht für Unternehmen bleibt jedoch bestehen.
Allzweck-KI: Sommervorgaben treffen auf Vereinfachungsdruck
Der aktuelle Kurswechsel kommt nur Monate nach umfangreichen Leitlinien. Im Juli 2025 veröffentlichte die Kommission den Code of Practice für Allzweck-KI (GPAI) – gedacht als Orientierungshilfe für Verpflichtungen, die seit 2. August 2025 gelten.
Die Sommervorgaben definierten die Schwelle für „systemische Risiken” (Modelle mit kumulativer Rechenleistung über 10²⁵ FLOPs) und konkretisierten Transparenzregeln. Doch der November-Vorstoß deutet an: Selbst diese frisch zementierten Rahmen könnten aufgeweicht werden, um Innovation nicht abzuwürgen.
Der am 10. Juli finalisierte GPAI-Kodex bleibt das zentrale Instrument. Er regelt:
- Transparenz: Dokumentation für nachgelagerte Anbieter
- Urheberrecht: Richtlinien zur Einhaltung des EU-Urheberrechts
- Systemische Risiken: Bewertung und Eindämmung bei leistungsstärksten Modellen
Die Spannung zwischen den rigorosen Sommer-Anforderungen und der aktuellen „Vereinfachungs”-Initiative offenbart ein Dilemma: Unternehmen, die das dritte Quartal 2025 mit der Anpassung an den GPAI-Kodex verbrachten, fragen sich nun, ob der Hochrisiko-Aufschub auch Allzweck-Modelle erfasst.
Zwischen Erleichterung und Rechtsunsicherheit
Die Reaktion der Wirtschaft fällt verhalten positiv aus. Europäische Tech-Verbände hatten die 2026er-Frist als unrealistisch kritisiert – zu wenige zertifizierte Prüfstellen, zu komplexe Anforderungen. Für Datenschutzbeauftragte und Compliance-Manager bringt die Nachricht dennoch Komplexität.
Sofortmaßnahmen unumgänglich: Die KI-Kompetenzpflicht nach Artikel 4 ist verbindlich. Unternehmen können nicht auf den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens warten. Die von der FAZ zitierte „Vagheit” ist zweischneidig: Sie erlaubt Flexibilität, erhöht aber das Haftungsrisiko bei Vorfällen.
Strategische Atempause? Bei Hochrisiko-Systemen deutet die mögliche Verlängerung bis Ende 2027 auf mehr Zeit für Tests in Regulierungs-Sandboxen hin.
Rechtsexperten mahnen zur Wachsamkeit. Selbst wenn die Hochrisiko-Frist verschoben wird: Die Grundpflicht, eingesetzte Tools zu verstehen und verbotene KI zu meiden, bleibt durchsetzbar.
Zwei-Geschwindigkeiten-Strategie
Der Kommissionsvorschlag muss noch Parlament und Rat passieren. Angesichts des politischen Klimas – Stichwort Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau – erwarten Analysten eine zügige Verabschiedung, möglicherweise Anfang 2026.
Bis dahin empfiehlt sich ein zweigleisiges Vorgehen:
- Sofort-Compliance: Vollständige Umsetzung von Artikel 4 (Kompetenz) und Artikel 5 (Verbote). Alle KI-nutzenden Mitarbeiter benötigen dokumentierte Schulungen.
- Strategische Planung: Vorbereitung auf Hochrisiko-Konformitätsbewertungen bei gleichzeitiger Anpassung von Projekt-Roadmaps an die wahrscheinliche Verschiebung bis Dezember 2027.
Das EU-KI-Gesetz befindet sich auch nach seinem Inkrafttreten im Fluss. Die Botschaft dieser Woche aus Brüssel lautet: Das Ziel – sichere, vertrauenswürdige KI – bleibt unverändert. Doch der Weg dorthin wird neu vermessen.
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