EU-Fiskalregeln, Aufrüstung

EU-Fiskalregeln: Aufrüstung bedroht europäische Schuldenstabilität

19.11.2025 - 11:09:11

Die EU steht vor einem Dilemma: Massive Verteidigungsausgaben kollidieren mit den erst 2024 reformierten Schuldenregeln. Während die Kommission auf maximale Flexibilität setzt, warnen Ökonomen vor einem Glaubwürdigkeitsverlust des neuen Fiskalpakts.

Die Notwendigkeit ist unbestritten. Viele NATO-Staaten erreichen oder übertreffen bereits das Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben. Doch angesichts des Ukraine-Kriegs und geopolitischer Unsicherheiten reicht das nicht mehr. Die neuen Ambitionen gehen weit darüber hinaus – und das über Jahre.

Das Problem: Diese Realität kollidiert frontal mit den EU-Fiskalregeln. Die reformierten Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts sehen individuell festgelegte Ausgabenpfade vor, um Schuldenquoten über 60 Prozent des BIP glaubwürdig zu senken. Für massive, kreditfinanzierte Rüstungsinvestitionen bleibt kaum Spielraum.

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Keiner der zwischen Kommission und Mitgliedstaaten vereinbarten Pfade berücksichtigt eine schuldenfinanzierte Steigerung der Militärbudgets. Das trifft besonders Deutschland. Obwohl Berlin mit der gelockerten Schuldenbremse und Sondervermögen nationale Wege geschaffen hat, gerät es in Konflikt mit den europäischen Vorgaben.

Die Diskrepanz zwischen nationalen Sicherheitserfordernissen und supranationalen Haushaltsregeln wird zur zentralen Herausforderung für Europas Sicherheitspolitik. Kann die EU diesen Spagat meistern?

Kommission setzt auf Ausweichklauseln

Um den Mitgliedstaaten dennoch Spielraum zu verschaffen, schlägt die EU-Kommission vor, bestehende Regeln maximal flexibel auszulegen. Kernpunkt: sogenannte “nationale Ausweichklauseln”. Diese ermöglichen temporäre Abweichungen von den vereinbarten Ausgabenpfaden unter besonderen Umständen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, “die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten, die uns der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt bietet, auszuloten”. Dieser pragmatische Ansatz findet bereits Anwendung:

  • Der EU-Rat billigte die deutschen Haushaltspläne
  • Berlin erhielt eine Sonderregel für Verteidigungsausgaben
  • Deutschland beantragte die Ausweichklausel für 2025 bis 2028

So reagiert die EU schnell auf die veränderte Sicherheitslage, ohne den mühsam ausgehandelten Fiskalpakt neu verhandeln zu müssen.

Ökonomen warnen vor Glaubwürdigkeitsverlust

Doch der flexible Ansatz birgt Risiken. Ökonomen und Denkfabriken warnen: Das ständige “Zurechtbiegen” der Regeln könnte die Glaubwürdigkeit der gesamten EU-Finanzarchitektur untergraben.

Die Befürchtung: Ausnahmen für Verteidigung wecken Begehrlichkeiten für andere Politikfelder. Die Haushaltsdisziplin könnte nachhaltig aufweichen. Das könnte Unruhe an den Finanzmärkten auslösen – besonders bei hochverschuldeten Mitgliedstaaten.

Als Alternative schlagen Experten eine gezielte, zeitlich befristete Regeländerung vor. Der Vorschlag: Zusätzliche Verteidigungsausgaben über das Zwei-Prozent-Ziel hinaus für acht Jahre explizit von der Defizitberechnung ausnehmen. Das würde Planungssicherheit schaffen und gleichzeitig die Integrität des Regelwerks wahren.

Paradigmenwechsel in der EU-Finanzpolitik

Die Debatte markiert einen potenziellen Wendepunkt. Traditionell stand bei den Fiskalregeln die Haushaltskonsolidierung im Vordergrund. Nun rückt die geopolitische Notwendigkeit in den Fokus. Die Bereitschaft, Ausnahmen für Verteidigung zu gewähren, zeigt: Sicherheit wird als gemeinsames europäisches Gut priorisiert.

Analysten der Denkfabrik Bruegel weisen darauf hin, dass selbst die deutschen Finanzpläne mit den EU-Vorgaben schwer vereinbar sind – trotz Ausnahmeregeln. Das Spannungsfeld ist offensichtlich: Während Deutschland endlich mehr investiert, darf dies nicht zu einer Sonderbehandlung führen, die die Gleichheit aller Mitgliedstaaten untergräbt.

Die Balance zwischen notwendiger Flexibilität und der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit im Finanzbereich wird die entscheidende Aufgabe der kommenden Monate.

Weichenstellung mit weitreichenden Folgen

Die kommenden Monate werden zeigen, wie die EU diesen Konflikt löst. Die Kommission wird voraussichtlich weitere Leitlinien zur Anwendung der Flexibilitätsklauseln vorlegen. Gleichzeitig dürfte die Debatte über eine gezielte Vertragsanpassung an Dynamik gewinnen – besonders wenn die Verteidigungsausgaben weiter steigen.

Auf dem NATO-Gipfel im Juni wurden bereits ehrgeizigere Ziele diskutiert, die weit über die Zwei-Prozent-Marke hinausgehen. Die jetzt getroffenen Entscheidungen haben weitreichende Konsequenzen: Sie bestimmen nicht nur Europas militärische Handlungsfähigkeit für die nächste Dekade, sondern auch die Stabilität der Währungsunion.

Die EU muss einen Weg finden, der sowohl robuste Verteidigung als auch nachhaltige öffentliche Finanzen sicherstellt. Sonst droht das eine auf Kosten des anderen zu gehen.

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