EU-Chat-Kontrolle: Deutschland stoppt Überwachungsgesetz
13.10.2025 - 04:33:02Deutschland verhindert mit Sperrminorität die geplante EU-Chatkontrolle, die verschlüsselte Nachrichten aller Bürger hätte scannen sollen. Messenger-Anbieter drohen mit EU-Austieg.
Die umstrittene EU-Chat-Kontrolle ist vorerst gescheitert. Deutschland verweigerte letzte Woche die Zustimmung zum geplanten Gesetz, das alle privaten Nachrichten scannen sollte – und schuf damit eine Sperrminorität. Die für heute geplante Abstimmung wurde daraufhin abgesagt.
Das Vorhaben, offiziell zur Bekämpfung von Kindesmissbrauchsmaterial gedacht, hätte alle verschlüsselten Chats auf Plattformen wie WhatsApp und Signal durchleuchtet. Privacy-Aktivisten, IT-Sicherheitsexperten und Messenger-Anbieter warnten vor beispielloser Massenüberwachung.
Seit über zwei Jahren wird über die Regulierung gestritten. Kernstreitpunkt: Tech-Unternehmen müssten sämtliche Nutzerkommunikation scannen – noch bevor Nachrichten verschlüsselt und versendet werden.
Deutschland bildet Sperrminorität gegen Brüssel
Deutschlands Widerstand war entscheidend für das Scheitern. Zusammen mit Polen und den Niederlanden entstand eine Sperrminorität – mindestens vier Länder mit über 35 Prozent der EU-Bevölkerung können so Gesetze blockieren.
Jens Spahn aus dem Bundestag brachte die Position auf den Punkt: „Wir sind gegen die unterschiedslose Überwachung von Chats. Das wäre, als würde man vorsorglich alle Briefe öffnen, um zu prüfen, ob etwas Illegales drin steht. Das ist nicht akzeptabel.“
Die dänische EU-Ratspräsidentschaft hatte massiv für eine Einigung gekämpft. Ohne Konsens musste sie das Thema jedoch von der heutigen Tagesordnung der Innenminister streichen.
Client-Side-Scanning: Spion in jeder Hosentasche?
Im Zentrum der Kontroverse steht das Client-Side-Scanning. Anders als herkömmliche Überwachung würde diese Technologie Nachrichten, Fotos und Dateien direkt auf dem Gerät des Nutzers analysieren – noch vor der Verschlüsselung.
Befürworter behaupten, das würde die Verschlüsselung technisch nicht „brechen“. IT-Sicherheitsexperten widersprechen vehement: Die Methode unterlaufe das Grundversprechen der Verschlüsselung und installiere faktisch einen staatlich verordneten Spion auf jedem Gerät.
Zusätzlich warnen Kritiker vor hohen Fehlerquoten der automatisierten Scan-Systeme. Die Folge: Massenhafte Falschbeschuldigungen unschuldiger Bürger und verschwendete Polizei-Ressourcen.
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Signal und WhatsApp drohen mit EU-Ausstieg
Die Tech-Branche mobilisiert massiven Widerstand. Über 40 europäische Unternehmen warnten in einem offenen Brief vor der Zerstörung der Privatsphäre und schweren Schäden für europäische Firmen.
Signal-Chefin Meredith Whittaker stellte bereits klar: Ihr Unternehmen würde die EU verlassen, bevor es seine Verschlüsselung untergräbt. Ähnliche Drohungen kommen von anderen Privacy-fokussierten Diensten.
Meta, Mutterkonzern von WhatsApp, bestätigte ebenfalls seinen Widerstand. Das Vorhaben „untergräbt weiterhin die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und gefährdet Privatsphäre, Freiheit und digitale Sicherheit aller“, so ein Sprecher.
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Mehr als nur EU-Politik: Globaler Präzedenzfall
Der Kampf um die Chat-Kontrolle geht weit über europäische Grenzen hinaus. Digital-Rights-Organisationen warnen: Sollte die EU als globaler Regulierungsstandard solche Überwachung legitimieren, würden autoritäre Regime weltweit ähnliche Forderungen stellen.
Besonders brisant: Ein kürzlicher Entwurf wollte Regierungskommunikation vom Scanning ausnehmen. Selbst die Autoren scheinen die Sicherheitsrisiken ihrer eigenen Pläne zu kennen.
Die Grundfrage bleibt: Soll die Privatsphäre aller Bürger geopfert werden für ein Überwachungsinstrument, das Experten als ineffektiv und gefährlich einstufen?
Aufschub statt Sieg – Kampf geht weiter
Privacy-Aktivisten feiern zwar die Absage, doch der Kampf ist nicht vorbei. Die dänische Ratspräsidentschaft will bereits im Dezember einen überarbeiteten Kompromiss vorlegen.
Sollte der EU-Rat schließlich zustimmen, beginnen 2026 die Trilog-Verhandlungen mit Parlament und Kommission. Das EU-Parlament bevorzugt bereits gezielte Überwachung konkreter Verdächtiger statt Massenscanning – ein Hoffnungsschimmer für Datenschützer.
Die digitale Privatsphäre von Millionen Europäern bleibt damit weiter ungewiss.