Deutschland, Gesundheitsakte

ePA-Realität: Deutschland kämpft mit digitaler Gesundheitsakte

09.12.2025 - 15:51:12

Die elektronische Patientenakte steht technisch bereit – doch nutzen sie will kaum jemand. Nach einem Jahr „ePA für alle” klafft eine gewaltige Lücke zwischen politischen Ambitionen und der Wirklichkeit in Arztpraxen und Apotheken. Während die Krankenkassen jetzt zur Offensive blasen und die Akte zum „digitalen Lotsen” ausbauen wollen, zeigen aktuelle Zahlen: Nur jeder Fünfte nutzt die ePA aktiv.

Zwar existieren mittlerweile rund 70 Millionen digitale Patientenakten – ein beeindruckender Wert auf dem Papier. Doch die entscheidende Frage lautet: Was bringt eine Akte, die niemand öffnet? Die Entwicklungen der vergangenen Tage offenbaren das zentrale Dilemma der deutschen Gesundheitsdigitalisierung.

Der GKV-Spitzenverband hat gestern ein bemerkenswertes Strategiepapier vorgelegt. Unter dem Titel „Zukunft gestalten, Versorgung neudenken!” definieren die gesetzlichen Krankenversicherer ihre Rolle völlig neu. Schluss mit der reinen Finanzierung digitaler Infrastruktur – die Kassen wollen künftig als aktive „digitale Lotsen” ihrer Versicherten auftreten.

„Die Digitalisierung ist der Innovationsmotor”, erklärte Dr. Susanne Wagenmann, Verwaltungsratsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes. Die ePA müsse zum Herzstück eines digitalen Versorgungsökosystems werden, in dem Daten nicht nur gespeichert, sondern aktiv zur Patientensteuerung genutzt werden.

Anzeige

Die angekündigte Nutzung von KI in der ePA klingt vielversprechend – doch die EU‑KI‑Verordnung bringt klare Pflichten zu Risikoklassifizierung, Kennzeichnung, Dokumentation und Transparenz mit sich. Wer Echtzeit‑Datenanalyse oder automatische Warnfunktionen einsetzen will, muss diese Anforderungen jetzt kennen, um Bußgelder, Haftungsrisiken und Betriebsstörungen zu vermeiden. Unser kostenloses E‑Book erklärt kompakt, welche Pflichten gelten, wie Sie KI‑Systeme richtig einordnen und welche praktischen Schritte sich sofort umsetzen lassen. KI‑Verordnung E‑Book kostenlos herunterladen

Konkret schwebt den Kassen vor: Echtzeit-Datenanalyse per KI, automatische Erkennung von Versorgungslücken und proaktive Patientenführung durch das immer komplexere Gesundheitssystem. Ein ehrgeiziger Plan – doch kann er die Realität einholen?

Ernüchternde Zahlen zur Nutzung

Die Antwort lieferte bereits einen Tag zuvor eine Umfrage des Branchenverbands Pharma Deutschland. Das Meinungsforschungsinstitut Civey hatte die tatsächliche Nutzung der digitalen Gesundheitsanwendungen erhoben – mit ernüchterndem Ergebnis.

Gerade einmal 20,3 Prozent der gesetzlich Versicherten nutzen ihre ePA Anfang Dezember 2025 aktiv. Zwar bedeutet das eine Steigerung gegenüber 12,1 Prozent im Juni, doch von den Erwartungen bei Einführung des Opt-out-Verfahrens Anfang des Jahres ist man meilenweit entfernt. Die Botschaft ist klar: Technisch verfügbar heißt noch lange nicht praktisch relevant.

Beim E-Rezept, das bereits seit Januar 2024 verpflichtend ist, sieht es kaum besser aus. 59,3 Prozent geben an, die elektronische Verordnung zu nutzen – ein Wert, der seit Monaten nahezu stagniert. Von den angepeilten 55,7 Prozent im Juni hat sich praktisch nichts bewegt.

„Wir sind noch weit vom Ziel entfernt”, kommentierte Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland. Besonders auffällig: Die Generation der 30- bis 39-Jährigen nutzt die digitalen Angebote deutlich häufiger, während jüngere Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren und ältere Altersgruppen massiv zurückbleiben. Von einer flächendeckend vernetzten Versorgung kann keine Rede sein.

Sicherer Messenger: Endlich Durchbruch bei der Kommunikation

Während über Nutzerzahlen debattiert wird, gibt es immerhin auf technischer Ebene Fortschritte. Am Montag erhielt der TI-Messenger „tim+” von Arvato Systems die offizielle Produktzulassung durch die Gematik, die nationale Agentur für Digitalmedizin.

Die Zulassung bestätigt, dass der Messenger alle strengen Sicherheits- und Interoperabilitätsvorgaben der Telematikinfrastruktur erfüllt. Das klingt technisch, ist aber hochrelevant: Erstmals können verschiedene Akteure im Gesundheitssystem – etwa Krankenhausärzte, Apotheker und Hausärzte – sicher und ad hoc miteinander kommunizieren, ohne Datenschutz-Bedenken haben zu müssen.

Die „kontrollierte Inbetriebnahme” soll noch vor Jahresende beginnen. Ein breiterer Rollout der mobilen Anwendungen ist für 2026 geplant. Hier könnte tatsächlich ein Engpass beseitigt werden, der das System seit Jahren hemmt.

Das Opt-out-Paradox

Die Ereignisse der letzten Tage enthüllen das zentrale Paradox der deutschen Gesundheitsdigitalisierung 2025. Die gesetzliche Umstellung auf ein Opt-out-Verfahren sollte das Henne-Ei-Problem niedriger Nutzerzahlen lösen. Technisch funktionierte das: Fast 70 Millionen Versicherte haben nun eine Akte.

Doch die entscheidende Kennzahl – Menschen, die sich tatsächlich einloggen, Dokumente hochladen oder Zugriffsrechte verwalten – erzählt eine andere Geschichte. Die neue Strategie der Krankenkassen, als „Lotsen” aufzutreten, ist eine direkte Reaktion auf diese Passivität.

„Eine Akte ist nutzlos, wenn sie leer bleibt oder ignoriert wird”, bringt es ein Branchenkenner auf den Punkt. Indem die Versicherer die Daten aktiv nutzen wollen – etwa durch Erinnerungen an Vorsorgeuntersuchungen oder Warnungen vor Medikamentenwechselwirkungen – hoffen sie, die ePA vom passiven Archiv zum täglichen Werkzeug zu machen.

Streit um die Patientenführung

Diese Offensive stößt allerdings nicht überall auf Gegenliebe. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) beansprucht die Rolle des „Lotsen” ebenfalls für sich. Bei einem Symposium des CDU-Wirtschaftsrats betonte ABDA-Vizepräsidentin Dr. Ina Lucas diese Woche, dass Apotheken vor Ort die wahren „niedrigschwelligen Begleiter” für Patienten seien, die mit digitalen Tools kämpfen.

Damit deutet sich ein Machtkampf an: Wer führt künftig die Patienten durch das digitale Gesundheitswesen? Ein Konflikt, der wohl erst 2026 entschieden wird.

Verschlüsselungs-Deadline rückt näher

Der Zeitdruck steigt. Bis zum 1. Januar 2026 muss die Telematikinfrastruktur auf ECC-Verschlüsselung (Elliptic Curve Cryptography) umgestellt werden – ein verpflichtendes Sicherheits-Upgrade, das keine Verzögerungen duldet.

Mit dem neu zugelassenen TI-Messenger in der Pilotphase und der offensiven GKV-Strategie verschiebt sich der Fokus für 2026 deutlich: Weg von der reinen Anmeldung, hin zur tatsächlichen Nutzung und zum messbaren Mehrwert für die Versorgung.

Versicherte können sich in den kommenden Monaten auf deutlich proaktivere Kommunikation ihrer Krankenkassen einstellen – vermutlich in Form von App-Benachrichtigungen und digitalen Gesundheits-Hinweisen. Ob diese „Digital Nudges” die Kluft zwischen technischer Verfügbarkeit und echter Versorgungsverbesserung schließen können, bleibt die zentrale Frage des Jahres 2026.

Anzeige

PS: Bevor Krankenkassen, Kliniken oder Dienstleister KI‑gestützte Erinnerungen und Analysen in der ePA produktiv schalten, sollten sie die Fristen und Dokumentationspflichten der EU‑KI‑Verordnung prüfen. Unser Gratis‑Leitfaden zeigt Schritt für Schritt, wie Sie Systeme korrekt klassifizieren, notwendige Nachweise anlegen und typische Fehler vermeiden – ideal für Projektverantwortliche in der Gesundheits‑IT. Jetzt kostenlosen KI‑Leitfaden anfordern

@ boerse-global.de