ePA für alle: Start verschoben – Deutschlands digitale Patientenakte stolpert
09.12.2025 - 18:31:12Der bundesweite Start der ePA wird aufgrund technischer und sicherheitstechnischer Probleme verschoben. Stattdessen beginnt im Januar eine Testphase in drei Modellregionen, bevor eine Ausweitung erfolgt.
Die elektronische Patientenakte für alle Versicherten sollte Mitte Januar bundesweit starten. Doch daraus wird nichts: Technische Lücken und Sicherheitsbedenken zwingen zum Kurswechsel. Statt großem Knall gibt es jetzt einen vorsichtigen Testlauf in drei Regionen – und Millionen Patienten sowie Tausende Praxen bleiben im Ungewissen.
Mit nur noch wenigen Wochen bis zum geplanten Starttermin am 15. Januar 2025 räumen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein: Der ursprünglich angekündigte flächendeckende Launch wird verschoben. Was als digitaler Meilenstein gefeiert werden sollte, beginnt nun als Pilotprojekt in Hamburg, Franken und Teilen Nordrhein-Westfalens. Eine bundesweite Pflicht zur Befüllung der ePA für Arztpraxen? Frühestens im Frühjahr 2025.
Vom großen Wurf zum Testballon
Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) bestätigte diese Woche: Die umfassende Verpflichtung für alle Praxen, die ePA zu nutzen, gilt im Januar nicht. Stattdessen folgt eine vierwöchige „intensive Testphase” in den Modellregionen. Erst wenn diese erfolgreich verläuft – voraussichtlich Mitte Februar oder später – soll die Ausweitung auf ganz Deutschland erfolgen. Berichte von Der Spiegel und dem Deutschen Ärzteblatt deuten darauf hin, dass ein vollständig funktionsfähiges System womöglich erst im April 2025 zur Verfügung steht.
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Ein erheblicher Rückschritt gegenüber dem ursprünglichen Versprechen eines „Day One”-Starts. Die gestaffelte Einführung soll das technische Chaos verhindern, das bereits beim E-Rezept für Schlagzeilen sorgte. Doch sie hinterlässt auch Fragen: Wann genau kommt die ePA für den Rest der Republik?
Software fehlt, Technik schwächelt
Hauptgrund für die Verzögerung: Die Telematikinfrastruktur (TI) ist schlicht nicht bereit. Die KBV warnt offen vor einem „schwierigen Start”. Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der KBV, formulierte es unmissverständlich: Ein bundesweiter Rollout ohne stabile Software wäre unverantwortlich.
Viele Praxisverwaltungssysteme (PVS) haben noch keine Zertifizierung oder die nötigen Updates erhalten, um Funktionen wie automatische Medikamenten-Sicherheitschecks zu bewältigen. Umfragen in Fachpublikationen zeigen: Ein erheblicher Teil der Praxen verfügt noch nicht über die erforderlichen Software-Module für Januar.
Auch die technische Infrastruktur selbst zeigt Schwächen. TI-Gateway und Konnektoren müssen Terabytes an PDF-Dokumenten und Datensätzen verarbeiten – und knirschen bereits in Vorabtests. Die zuständige Gematik argumentiert, genau dafür sei die Pilotphase da. Kritiker konterten: Grundlegende Probleme vier Wochen vor dem Start zu entdecken, sei alarmierend.
Datenschützer schlagen Alarm
Neben der Technik gerät auch das „Opt-Out”-Prinzip unter Beschuss. Jeder Versicherte erhält automatisch eine ePA – es sei denn, er widerspricht aktiv. Am 6. Dezember kritisierte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) die Informationskampagnen der Krankenkassen scharf.
Die Analyse des vzbv zeigt: Viele Kassen informieren ihre Mitglieder unzureichend über Risiken und Einschränkungen der ePA. Der Fokus liege fast ausschließlich auf Marketingbotschaften. „Die Informationen sind oft einseitig”, heißt es vom Verbraucherschutz. Wichtige Details zum Datenzugriff und zur Widerspruchsmöglichkeit versteckten sich im Kleingedruckten.
Der Chaos Computer Club (CCC) legt nach: Sicherheitsforscher demonstrierten potenzielle Schwachstellen in den Zugriffsprotokollen. Besonders brisant: Szenarien, in denen Zugriff ohne physische Anwesenheit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) möglich sein könnte. Diese Erkenntnisse befeuern die Forderung von Datenschützern, die Pilotphase ausgiebig für Sicherheitstests zu nutzen – bevor die Daten von 73 Millionen gesetzlich Versicherten zentral gespeichert werden.
Finanzielle Zwickmühle für Praxen und Apotheken
Für Gesundheitsdienstleister wird es auch finanziell eng. Trotz technischer Verzögerungen bleibt der regulatorische Druck hoch. Das E-Government-Gesetz sieht drastische Strafen vor, falls Apotheken und Praxen nicht an die TI angeschlossen sind.
Branchenberichte von Apotheke Adhoc warnen diese Woche: Apotheken, die bis 31. Dezember 2024 keine ePA-Bereitschaft nachweisen können, droht ab Januar eine 50-prozentige Kürzung der „TI-Pauschale” – der Pauschale für digitale Infrastrukturkosten. Eine paradoxe Situation: Anbieter werden bestraft, weil Software fehlt, die teilweise noch gar nicht verfügbar oder stabil ist.
Ein entscheidendes Quartal steht bevor
Die kommenden Wochen entscheiden über Erfolg oder Scheitern von Deutschlands digitaler Gesundheitsvision. Der Fokus hat sich verschoben – vom Feiern zum Stresstesten.
Die wichtigsten Termine:
- 15. Januar 2025: Offizieller Start in Hamburg, Franken und NRW. Die Belastbarkeit der zentralen Server wird erstmals auf die Probe gestellt.
- 15. Februar 2025: Frühestmöglicher Termin für die Entscheidung über eine bundesweite Ausweitung – abhängig vom Erfolg der Pilotphase.
- April 2025: Überarbeitetes Ziel für die vollständige, verpflichtende Nutzung in allen 16 Bundesländern.
Die „ePA für alle” bleibt vorerst ein Versprechen zwischen politischem Ehrgeiz und technischer Realität. Die Regierung betont, die digitale Transformation sei unumkehrbar. Doch der Weg zu einem nahtlosen digitalen Gesundheitssystem scheint deutlich länger und steiniger als gedacht.
Kann Deutschland seine digitale Gesundheitswende noch retten? Die nächsten Wochen werden es zeigen – und die Geduld der Versicherten auf eine harte Probe stellen.
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