Elektrische, Sicherheit

Elektrische Sicherheit: Deutschland krempelt Prüfvorschriften komplett um

04.12.2025 - 03:21:11

Zwei seismische Veränderungen innerhalb von 48 Stunden erschüttern die deutsche Elektrobranche: Die Normungskommission will die bisherige Struktur der Anlagenprüfung zerschlagen – und gleichzeitig verschärft die Berufsgenossenschaft die Anforderungen an flexible Prüffristen drastisch. Für Betriebe bedeutet das: Was gestern noch regelkonform war, könnte morgen zum Haftungsrisiko werden.

Die Brisanz der Entwicklung zeigt sich im Timing. Während sich viele Unternehmen auf die Budgetplanung 2026 konzentrieren, veröffentlicht das VDE-Institut am 4. Dezember die Entwurfsfassung E DIN VDE 0100-600:2025-12. Nur einen Tag zuvor, am 3. Dezember, präsentierten Sicherheitsexperten eine verschärfte Interpretation der DGUV Vorschrift 3 – und die hat es in sich.

Der Entwurf der neuen DIN VDE 0100-600 vollzieht einen radikalen Schnitt: Abschnitt 6.5, der bisher die wiederkehrenden Prüfungen regelte, wird ersatzlos gestrichen. Stattdessen wandern diese Anforderungen komplett in die DIN VDE 0105-100-Reihe.

Was technokratisch klingt, hat massive praktische Folgen. Die neue Norm würde sich künftig ausschließlich auf Erstprüfungen nach Neuinstallationen konzentrieren. Wiederkehrende Inspektionen – also das tägliche Brot der Elektrofachkräfte – fallen dann unter ein völlig anderes Regelwerk.

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Der Zeitdruck ist erheblich: Bis zum 14. Januar 2026 läuft die Einspruchsfrist. Betriebe haben also gerade einmal sechs Wochen, um die 200-seitige Entwurfsfassung zu sichten und fundierte Stellungnahmen einzureichen. Wer jetzt passiv bleibt, muss später mit den Konsequenzen leben.

Wohngebäude endlich im Fokus

Ein echter Lichtblick versteckt sich in Anhang I des Entwurfs: Erstmals erhalten Wohngebäude standardisierte Prüfprotokolle. Bislang existierte hier eine regelrechte Grauzone – Elektriker mussten sich an gewerblichen Vorschriften orientieren, die für private Haushalte oft überdimensioniert waren.

Die neue Regelung könnte den Wildwuchs an improvisierten Prüfverfahren im Wohnbereich beenden. Für Immobilienverwaltungen dürfte das Klarheit bringen – aber auch Mehrkosten, wenn bisher vernachlässigte Prüfungen nun verpflichtend werden.

DGUV V3: Das Ende der Standardtabellen

Parallel zur VDE-Reform verschärft die Berufsgenossenschaft den Ton bei der DGUV Vorschrift 3. Die Botschaft der Sicherheitsexperten von SiFa-flex am 3. Dezember war unmissverständlich: Wer Prüffristen einfach aus Standardtabellen übernimmt, handelt fahrlässig.

Die entscheidende Hürde liegt bei zwei Prozent. Nur wenn ein Unternehmen nachweisen kann, dass bei vorherigen Prüfungen weniger als zwei Prozent der Geräte Mängel aufwiesen, darf es die Intervalle verlängern – etwa von zwölf auf 24 Monate bei Bürogeräten. Klingt einfach? Ist es nicht.

Die Tücke steckt im Detail: Diese Fehlerquote muss dokumentiert, statistisch ausgewertet und für jede Gerätegruppe separat nachgewiesen werden. Ein allgemeines “Wir hatten keine Probleme” reicht vor Gericht nicht mehr. Bei einem Arbeitsunfall könnten Geschäftsführer persönlich haftbar gemacht werden, wenn sie auf pauschale Intervalle ohne betriebsspezifische Gefährdungsbeurteilung gesetzt haben.

Digitalisierung wird zur Pflicht

Die Zeiten handschriftlicher Prüfprotokolle laufen endgültig ab. Moderne Messgeräte müssen ihre Daten nun direkt in Sicherheitsmanagementsysteme einspeisen. Der Grund ist trivial: Dokumentationsbetrug und Übertragungsfehler sollen unmöglich werden.

Für kleinere Elektrobetriebe bedeutet das Investitionen in neue Hardware und Software – mitten in wirtschaftlich turbulenten Zeiten. Doch wer jetzt spart, riskiert später den Verlust der Prüfberechtigung.

Qualifikation: Abschluss allein reicht nicht mehr

Ein Elektrotechnik-Studium oder Meisterbrief war jahrelang das Ticket zur “Zur Prüfung befähigten Person”. Diese Gewissheit gehört der Vergangenheit an. Die aktuelle Interpretation der TRBS 1203 verlangt nun explizit “kontinuierliche Fortbildung” – und zwar dokumentiert und themenspezifisch.

Konkret heißt das: Externe Dienstleister müssen ab sofort nicht nur ihre Zertifikate vorlegen, sondern auch Schulungsnachweise zu den 2025-12-Entwurfsnormen. Wer diese nicht vorweisen kann, darf faktisch nicht mehr prüfen – zumindest nicht nach neuesten Standards.

Betriebe sollten ihre Wartungsverträge überprüfen. Viele etablierte Dienstleister haben die neuen Anforderungen noch nicht umgesetzt. Die Gefahr: Man zahlt für Prüfungen, die später als unzureichend gelten könnten.

Was Unternehmen jetzt tun müssen

Die verbleibenden Wochen bis Jahresende sind entscheidend. Drei Sofortmaßnahmen drängen sich auf:

Erstens: Der Entwurf E DIN VDE 0100-600:2025-12 muss heruntergeladen und analysiert werden – idealerweise durch die eigene Elektrofachkraft oder einen externen Berater. VDE Verlag und DIN Media bieten Zugang.

Zweitens: Die bestehenden DGUV-V3-Prüfberichte brauchen ein Audit. Wo wurden Intervalle verlängert? Ist die Zwei-Prozent-Fehlerquote sauber dokumentiert? Falls nicht, droht im Schadensfall juristisches Ungemach.

Drittens: Schulungsnachweise der eigenen Prüfer sowie externer Dienstleister müssen auf Aktualität geprüft werden. Wer seit 2023 keine Fortbildung zu digitalen Prüfverfahren nachweisen kann, steht auf wackligem Grund.

Der Blick nach vorne

Anfang 2026 dürfte die finale Fassung der DIN VDE 0100-600 verabschiedet werden. Dann beginnt die zweite Phase: Die DIN VDE 0105-100 muss überarbeitet werden, um den übertragenen Abschnitt 6.5 nahtlos zu integrieren. Bis dahin herrscht eine Übergangsphase – ein regulatorisches Niemandsland, in dem Verunsicherung programmiert ist.

Die Branche spricht bereits vom Ende der “Aufkleber-Mentalität”. Gemeint sind jene Prüfer, die schnell einen Sticker auf das Gerät kleben und weiterziehen. Mit den neuen Anforderungen wird die Dokumentation genauso wichtig wie die technische Messung selbst.

Wer glaubt, das alles sei bloße Bürokratie, unterschätzt den Paradigmenwechsel. Deutschland bewegt sich weg von starren Zeitintervallen hin zu risikobasierter, datengestützter Sicherheit. Das ist prinzipiell richtig – verlangt aber eine Professionalität, die nicht jeder Betrieb sofort liefern kann.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Branche diesen Spagat meistert. Oder ob sich der Fachkräftemangel noch einmal verschärft, weil viele qualifizierte Elektriker die neuen Hürden schlicht nicht nehmen wollen.

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