Ein deutscher Supermarkt im Jahr 2025: Kunden ziehen Artikel über den Scanner der Selbstbedienungskasse.
11.02.2025 - 06:34:59So schützen sich die Händler
Was viele nicht wissen: Ihr Verhalten wird womöglich genau überprüft. Kommt es beim Scannen zu Fehlern oder Auffälligkeiten, kann das Kassenpersonal einen stillen Alarm erhalten - ohne, dass der Kunde etwas mitbekommt.
Immer mehr Händler in Deutschland setzen neben Aufsichtspersonal und Ausgangsschranken im Kassenbereich auch auf neue Sicherheitstools, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten.
"Viele Unternehmen verwenden KI-gestützte Überwachungs- und Analyse-Tools. Die Zahl der Geschäfte, die entsprechend ausgestattet sind, steigt und wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen", sagt der Experte des Handelsforschungsinstituts EHI, Frank Horst. Die Systeme würden immer besser und könnten dazu beitragen, Diebstahl und Bedienfehler zu reduzieren.
Warum ist Überwachung für die Händler so wichtig?
Laut EHI gibt es in Deutschland mindestens 6.000 Geschäfte mit weit über 20.000 SB-Kassen. Viele Handelsketten möchten an den klassischen Kassen zwar festhalten, den Service aber ausbauen - trotz seiner Schwächen.
Handelsexperten sehen ein steigendes Diebstahlrisiko bei SB-Kassen. Es sei davon auszugehen, dass der Ladendiebstahl um 15 bis 30 Prozent höher liege als an bedienten Kassen, sagt Horst. Die Händler verlieren dadurch unter dem Strich viel Geld. Entsprechend groß ist das Bedürfnis, sich besser zu schützen.
Wie funktioniert die intelligente Technik?
Der KI-Algorithmus der Software untersucht das Verhalten von Kunden in Echtzeit und identifiziert Auffälligkeiten. Dafür wertet er Videoaufnahmen vom Kassenbereich aus und prüft die Daten, während der Käufer an der SB-Kasse seine Artikel über den Scanner zieht. In bestimmten Fällen werden Alarmmeldungen generiert.
Die intelligente Technik kann zum Beispiel erkennen, wenn Artikel nicht gescannt und direkt in die Tasche gesteckt werden. In solchen Fällen ist es möglich, dass auf dem Kassendisplay ein Hinweis angezeigt wird mit der Frage "Wurde der letzte Artikel gescannt?". Damit sollen Kunden Anreize gegeben werden, einen Fehler zu korrigieren.
Die KI kann auch andere Anomalien feststellen: Etwa, wenn ein Kunde einen Sekt scannt und anschließend eine Champagner-Flasche in die Schale neben der Kasse legt, oder wenn sich im Wasserkasten Wodka-Flaschen befinden. Wird ein Barcode für Bananen im Wert von 25 Cent eingescannt, daraufhin aber ein Produkt mit einem deutlich höheren Gewicht abgelegt, fällt dies ebenfalls auf.
Die Technik ist ebenso in der Lage zu erkennen, wenn die Zahl der Artikel von Warenkorb und Einkaufszettel deutlich abweicht. Auch eine automatische Alterskontrolle kann mit Hilfe von KI durchgeführt werden. Das Gesicht des Kunden wird dabei gescannt, um sein Alter zu schätzen.
Einer der Technologie-Anbieter ist das deutsch-amerikanische Unternehmen Diebold Nixdorf. Laut Christoph Annemüller, Experte für anwendbare KI im Handel, gibt es mehr als 20 unterschiedliche Fälle. Am häufigsten sind versehentlich und absichtlich nicht erfasste Artikel.
Was bringen die Sicherheitstools?
Händler können sich die Software auf ihren Bedarf zuschneiden lassen und bestimmen, was in bestimmten Situationen passiert - etwa wann Mitarbeiter einen Alarm erhalten oder die Kasse blockiert wird. Die Technik zu integrieren, ist aufwendig. Das System muss angelernt werden, bis es zuverlässig arbeitet und möglichst viele Betrugs-Varianten identifizieren kann.
In einer längeren Testphase werden im Geschäft zunächst Daten gesammelt. Anschließend wird geprüft, ob die KI mit ihren Einschätzungen richtig- oder falschliegt. Anfangs gibt es viele Fehlalarme, nach und nach werden die Erkennungsraten immer besser. Erst wenn die Fehlerquote gering ist, wird die Software scharf gestellt.
Die Software könne die Verluste der Händler um 75 Prozent reduzieren, sagt Annemüller. Die fehlerhaften Transaktionen an SB-Kassen würden von 3 auf unter 1 Prozent gesenkt. Diebold Nixdorf arbeitet bei dem Thema nach eigenen Angaben weltweit mit über 60 Handelsunternehmen zusammen. Dazu zählen unter anderem selbstständige Edeka-Kaufleute und die französische Handelsgruppe Groupement Mousquetaires.
Wie viele Händler nutzen KI?
Eine Umfrage der dpa zeigt: Viele Unternehmen wie Rewe, Ikea und Rossmann nutzen oder testen intelligente Technik. Eine Überprüfung durch Personal werde etwa veranlasst, wenn ein Kunde Schranktüren scanne, aber keinen Korpus, oder einen Korpus, aber keinerlei Innenausstattung, sagt eine Sprecherin von Ikea. Bis März möchte der Möbelhändler in all seinen bundesweit 54 Filialen eine entsprechende Software an SB-Kassen einsetzen.
Einige Unternehmen wie Kaufland, Lidl und die Baumarktkette Obi geben an, den Einsatz von KI zu prüfen. Andere äußern sich zu dem Thema nur zurückhaltend oder gar nicht. Sie wollen öffentlich nichts tun, dass Anleitung bieten könnte, ihre Sicherheitstechnik zu umgehen und damit indirekt zum Diebstahl auffordern. Die meisten Händler möchten einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Ladendiebstähle und den SB-Kassen öffentlich nicht bestätigen.
Wie reagieren Kunden?
Viele Unternehmen äußern sich zu dieser Frage nicht. Die Erfahrungen seien positiv, Kunden reagierten in der Regel gelassen, wenn Personal zu Hilfe käme, um einen Vorgang zu überprüfen, heißt es von Ikea. Die Checks dienten dazu, Missverständnisse zu vermeiden. Den Einsatz von Kameras in den Kassenbereichen kommuniziere man über entsprechende Hinweise.
Laut EHI-Experte Horst kommt es an SB-Kassen zu vielen unbeabsichtigten Fehlern. "Vielen Menschen ist das sehr unangenehm, weil sie den Fehler nicht bemerken."
Die Überprüfung verlaufe datenschutzkonform, die Menschen blieben anonym, versichert Christoph Annemüller von Diebold Nixdorf. Die KI-Technologie solle niemanden überwachen, sondern Kunden und Mitarbeiter unterstützen. So sei es nicht mehr nötig, dass Kameraaufnahmen permanent gesichtet werden müssen.