E-Rezept: Gematik rettet Zehntausende Arztpraxen vor Digital-Absturz
15.11.2025 - 21:19:12Knapp 30.000 Ärzte standen kurz vor dem Aus im digitalen Gesundheitssystem – eine veraltete Chipkarte hätte sie ab Januar zur Rückkehr zum Papierrezept gezwungen. Die nationale Digitalagentur Gematik verhindert nun in letzter Minute das Chaos.
Deutschland ringt um seine digitale Gesundheitszukunft. Während das E-Rezept seit Jahresbeginn 2024 zur Pflicht gehört und längst Alltag in den Praxen ist, offenbart die aktuelle Beinahe-Krise ein grundsätzliches Problem: Zwischen strategischem Willen und praktischer Umsetzung klafft eine gefährliche Lücke. Was wäre passiert, wenn die Lösung nicht rechtzeitig gekommen wäre?
Der Kern des Problems liegt in einer technischen Sicherheitsvorschrift. Zum 1. Januar 2026 muss die gesamte Telematikinfrastruktur (TI) – das digitale Rückgrat des deutschen Gesundheitswesens – von der veralteten RSA-Verschlüsselung auf die modernere Elliptic Curve Cryptography (ECC) umstellen.
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Direkt betroffen davon ist der elektronische Heilberufsausweis (eHBA). Ohne diese Chipkarte können Ärzte keine rechtsgültige qualifizierte elektronische Signatur (QES) erstellen – und damit weder E-Rezepte noch digitale Krankschreibungen ausstellen. Über 30.000 Mediziner nutzen noch “RSA-only”-Karten. Lieferengpässe und logistische Hürden verhinderten den rechtzeitigen Austausch. Die Konsequenz wäre drastisch gewesen: kompletter Ausschluss vom digitalen System.
Übergangslösung bis Jahresmitte 2026
Am 14. November verkündete Gematik die Rettung: In Abstimmung mit der Bundesnetzagentur und der eIDAS-Zertifizierungsstelle dürfen Hersteller die alten Chipkarten vorerst weiter betreiben. Die Frist läuft nun bis zum 30. Juni 2026.
Entscheidend dabei: Es handelt sich nicht um eine Verschiebung des Sicherheits-Upgrades selbst. Gematik betont ausdrücklich, dass Praxen ihre veralteten Komponenten “schnellstmöglich” austauschen müssen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte zuvor eindringlich vor einem flächendeckenden Rückfall ins Papierzeitalter gewarnt – dieses Szenario ist nun abgewendet.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Die Frage drängt sich auf, denn der Stichtag war lange bekannt.
Eine Milliarde E-Rezepte – und trotzdem wackelt das System
Die Zahlen sprechen eigentlich für sich: Bis Ende Oktober 2025 wurden über eine Milliarde elektronische Rezepte ausgestellt. Das E-Rezept gilt als Paradebeispiel gelungener Digitalisierung im Gesundheitswesen. Umso brisanter wirkt die aktuelle Krise.
Sie reiht sich ein in eine Serie verpasster Digitalisierungsziele. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) sollte ursprünglich bis Ende 2022 fast 600 Verwaltungsleistungen digitalisieren – weitgehend gescheitert. Die OZG-2.0-Novelle vom Juni 2024 versucht nun mit standardisierten Prozessen und der zentralen “BundID”-Plattform gegenzusteuern.
Ein neues Ministerium soll es richten: Seit Mai 2025 bündelt das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung Zuständigkeiten, die zuvor auf sechs Häuser verteilt waren. Trotz dieser Strukturreform hinkt Deutschland beim Einsatz digitaler Behördendienste und elektronischer Identitäten (eID) dem EU-Durchschnitt hinterher.
Föderale Komplexität trifft auf Millionen Nutzer
Die eHBA-Krise zeigt exemplarisch, wo Deutschlands digitale Transformation hakt: Bei der flächendeckenden Umsetzung in einem föderalen System mit unzähligen Software-Anbietern, Hardware-Herstellern und rund 170.000 niedergelassenen Ärzten.
Deutschland entwickelt hochkomplexe technische Lösungen – scheitert aber regelmäßig an ihrer Ausrollung im Alltag. Das neue Digitalministerium soll genau diese Umsetzungslücke schließen und Interoperabilität durchsetzen. Die Last-Minute-Lösung beim E-Rezept beweist zumindest reaktive Handlungsfähigkeit.
Doch reicht das? Oder braucht es realistischere Zeitpläne und proaktives Management, um Vertrauen bei Bürgern und Leistungserbringern aufzubauen?
Nächste Etappen: Betäubungsmittel und Verbandsmaterial digital
Mit der abgewendeten Krise rückt die Weiterentwicklung in den Fokus. 2026 sollen Betäubungsmittel-Rezepte (BtM) und T-Rezepte digital verschreibbar werden. 2027 folgen Hilfsmittel wie Verbandsmaterial oder Blutzuckermessgeräte. In Hamburg läuft bereits ein Pilotprojekt zur Integration Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) ins E-Rezept-System.
Parallel arbeitet die Politik an der großen Linie: Am 18. November findet in Berlin der “Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität” statt – Deutschlands Anspruch auf eine Führungsrolle ist deutlich. Gleichzeitig laufen Wartungsarbeiten an zentralen Portalen wie dem der Bundesagentur für Arbeit – ein Zeichen für die permanente Baustelle “Digitale Verwaltung”.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die neue Ministerialstruktur mehr ist als eine Organisationsreform. Kann sie strategische Ziele in verlässliche, nutzerfreundliche digitale Dienste übersetzen? Die 30.000 Ärzte mit veralteten Chipkarten werden bis Juni 2026 aufmerksam beobachten, ob der Austausch diesmal reibungslos klappt.
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