Dummer, Streich

Dummer Streich kostet Azubi die Lehrstelle – und fast die Gesundheit

21.11.2025 - 11:20:12

Ein vermeintlicher Scherz mit Industriereiniger eskaliert: Ein 19-jähriger Azubi hat seiner Kollegin den Kanister ins Getränk gekippt – und damit nicht nur eine Gesundheitsgefahr geschaffen, sondern auch seine Ausbildung aufs Spiel gesetzt. Am Dienstag verhandelte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, ob die fristlose Kündigung rechtens war. Der Fall zeigt: Selbst der besondere Kündigungsschutz für Azubis hat Grenzen – besonders, wenn es um Arbeitssicherheit geht.

Was war passiert? Am 17. Januar 2025 füllte der damals 18-jährige Auszubildende zum Prozesstechnologen in einem metallverarbeitenden Betrieb im Ruhrgebiet die Trinkflasche einer Kollegin mit „100 USI” – einem hochkonzentrierten Industrie-Entfetter. Die Kollegin (M) beobachtete die Aktion und trank glücklicherweise nicht aus der Flasche. Doch sie stellte den Behälter zurück auf die Werkbank.

Stunden später nahm ein dritter Azubi einen Schluck aus der Flasche. Er bemerkte sofort den chemischen Geschmack und spuckte die Flüssigkeit aus – gerade noch rechtzeitig, um eine Vergiftung zu vermeiden. Die Firma reagierte drastisch: Am 29. Januar sprach sie gegen den Verursacher die fristlose Kündigung aus. Die Kollegin, die den Vorfall beobachtet, aber die Flasche nicht entsorgt hatte, erhielt eine Abmahnung.

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Genau hier beginnt die juristische Kontroverse. Denn Auszubildende genießen in Deutschland einen besonderen Kündigungsschutz – Arbeitgeber sind nicht nur Chefs, sondern auch Ausbilder mit pädagogischer Verantwortung. Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) verpflichtet sie, junge Menschen zur beruflichen Reife zu führen. Eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist deshalb extrem schwierig durchzusetzen.

„Die Musik spielt im Bereich der Interessenabwägung”, formulierte der Vorsitzende Richter Olaf Klein während der Verhandlung. Die zentrale Frage: War die Tat ein böswilliger Angriff, der sofortige Trennung rechtfertigt? Oder ein schwerer Fehltritt, den man mit einer letzten Warnung – einer „gelben Karte” – hätte ahnden können?

Das Arbeitsgericht Duisburg hatte im Juni 2025 zugunsten des Arbeitgebers entschieden. Die Begründung: Der Azubi habe wissentlich eine Gesundheitsgefahr geschaffen und damit gegen grundlegende Sicherheitsunterweisungen verstoßen. Doch sein Anwalt vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ging in Berufung – und pochte auf die Ausbildungspflicht des Betriebs.

„Eine Unverschämtheit”: Azubi glänzt durch Abwesenheit

Die Verhandlung am Dienstag nahm eine bizarre Wendung. Trotz persönlicher Ladung erschien der 19-Jährige nicht vor Gericht. Richter Klein zeigte sich empört und nannte das Fernbleiben „eine Unverschämtheit”. Der Kläger zeige „wenig Interesse am Berufungsverfahren”, kritisierte er – und drohte mit einem Ordnungsgeld, sollte das Gericht aufgrund der Abwesenheit keine Entscheidung treffen können.

Diese Haltung könnte schwerwiegende Folgen haben. In Arbeitsrechtsstreitigkeiten mit Azubis spielen die Einstellung des Auszubildenden und seine Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, eine zentrale Rolle. Gerichte prüfen nach dem „Prognoseprinzip”, ob eine künftige Zusammenarbeit möglich ist. Wer nicht einmal zur Verhandlung kommt, macht es sich schwer, Reue oder Einsicht zu demonstrieren.

Vergleich mit Widerrufsvorbehalt

Am Ende einigten sich die Parteien auf einen Vergleich mit Widerrufsvorbehalt. Die finanziellen Details blieben unter Verschluss. Doch Richter Klein ließ keinen Zweifel daran, wie er den Fall bewertet: Sollte der Kläger den Vergleich widerrufen und auf ein Urteil bestehen, werde er „voraussichtlich die erste Partei in diesem Verfahren sein, die eine Zahlung leistet”.

Anders formuliert: Das Gericht sieht kaum Chancen für einen vollständigen Sieg des Azubis – keine Wiedereinstellung, keine nennenswerte Abfindung. Das Verhalten des 19-Jährigen, sowohl bei dem Vorfall als auch im Prozess, spricht gegen ihn.

Der Vergleich kann standardmäßig innerhalb von zwei Wochen widerrufen werden. Geschieht das nicht, endet der Rechtsstreit ohne abschließende Grundsatzentscheidung. Die Frage, wo genau die Grenze zwischen „Jugendstreich” und kündigungsrelevantem Sicherheitsverstoß verläuft, bleibt damit offen.

Was HR-Abteilungen lernen können

Der Fall (Az. 3 SLa 346/25) liefert wichtige Hinweise für Personalabteilungen:

Erstens: Auch bei schwerem Fehlverhalten prüfen Arbeitsgerichte penibel, ob eine Abmahnung als pädagogische Maßnahme ausgereicht hätte. Der Kündigungsschutz für Azubis ist robust – Arbeitgeber müssen Verhalten tolerieren, das bei Fachkräften sofort zur Entlassung führen würde.

Zweitens: Die „pädagogische Mission” hat Grenzen. Wer bewusst die Gesundheit von Kollegen gefährdet – etwa durch gefährliche Substanzen – überschreitet sie. Solche Sicherheitsverstöße können auch bei Azubis eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

Drittens: Das Verhalten nach dem Vorfall zählt. Zeigt ein Azubi Reue, kommt zu Terminen und signalisiert Lernbereitschaft? Oder demonstriert er Desinteresse? Die Antwort beeinflusst die gerichtliche Interessenabwägung erheblich.

Für den Metallbetrieb im Ruhrgebiet ist die Botschaft eindeutig: Arbeitssicherheit ist nicht verhandelbar – auch nicht in der Ausbildung. Für Azubis gilt ebenso: Der Schutzschirm des BBiG hat Löcher. Wer ihn missbraucht, riskiert seine Karriere, bevor sie begonnen hat.

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