Digitalgipfel, Dortmund

Digitalgipfel Dortmund: Deutschlands harter Blick in den baltischen Spiegel

03.12.2025 - 11:09:12

Dortmund – Während in der Hansa Kokerei heute der Hauptkonferenztag des 5. Deutsch-Baltischen Digitalgipfels läuft, könnte der Kontrast kaum größer sein: Auf der einen Seite Estland, Lettland und Litauen – digitale Vorreiter mit vollvernetzten Behörden. Auf der anderen Deutschland, wo Bürger noch immer mit Papierordnern von Amt zu Amt pilgern. Die zentrale Frage im Ruhrgebiet: Kann die Bundesrepublik diesen Rückstand endlich aufholen?

Der Gipfel, organisiert von der Deutsch-Baltischen Handelskammer, dient weniger der Selbstdarstellung als vielmehr einer schonungslosen Bestandsaufnahme. “Die baltischen Staaten beweisen, dass sichere, volldigitale Verwaltung keine Utopie ist, sondern gelebte Praxis”, hieß es bei der gestrigen Eröffnung. Ein Satz, der angesichts der deutschen Realität fast wie eine Provokation klingt.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Laut Bitkom-Erhebung vom September 2025 belegt Deutschland beim Digitalisierungsgrad öffentlicher Dienstleistungen nur Platz 21 von 27 EU-Staaten. Diese Statistik schwebt wie ein Damoklesschwert über den Diskussionen in Dortmund, wo sich noch bis morgen Delegationen über IT-Sicherheit im E-Government und den Einsatz Künstlicher Intelligenz in Behörden austauschen.

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Doch es gibt auch Lichtblicke. Am 21. November passierte der NOOTS-Staatsvertrag (National Once-Only Technical System) den Bundesrat – ein Meilenstein, auf den viele seit Jahren gewartet haben. Das Prinzip dahinter klingt simpel: Bürger und Unternehmen müssen ihre Daten künftig nur noch einmal an Behörden übermitteln. Der automatische Austausch zwischen Registern soll dann – mit Einwilligung der Nutzer – die lästigen Mehrfachanfragen beenden.

“NOOTS ist ein Meilenstein, aber die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt”, warnen Digitalpolitik-Experten. Die technische Integration der zersplitterten Landschaft aus Bundes-, Landes- und Kommunalregistern bis Ende 2026 bleibt ein ehrgeiziges Ziel. Besonders auf kommunaler Ebene fehlt es oft an Geld und IT-Expertise – genau dort, wo die Umsetzung letztlich gelingen oder scheitern wird.

Neues Ministerium unter Erfolgsdruck

Die Verantwortung für diesen Kraftakt trägt das frisch geschaffene Bundesministerium für Digitales und Verwaltungsmodernisierung (BMDS) unter Leitung von Minister Dr. Karsten Wildberger. Das Ressort bündelt Kompetenzen, die zuvor über verschiedene Häuser verstreut waren – ein struktureller Neuanfang, der dringend nötig war.

Dahinter steht die High-Tech-Agenda von Bundeskanzler Friedrich Merz, die Ende Oktober 2025 mit einem Volumen von 18 Milliarden Euro vorgestellt wurde. Das Programm zielt auf “technologische Souveränität” ab und sieht unter anderem eine souveräne Verwaltungscloud sowie verstärkte Cybersicherheitsmaßnahmen vor – Themen, die in den heutigen Breakout-Sessions in Dortmund intensiv diskutiert werden.

Der Druck auf das neue Ministerium ist enorm. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) bezifferte in seinem Oktoberbericht die jährlichen Bürokratiekosten für die deutsche Wirtschaft auf über 64 Milliarden Euro. Die Forderung: ein “verbindlicher Digitalisierungscheck” für alle neuen Gesetze, um die Entstehung weiterer papierbasierter Regelungen zu verhindern.

Sicherheit als Ermöglicher, nicht als Blockierer

Ein Schwerpunkt des Gipfels liegt auf dem Spannungsfeld zwischen schneller Digitalisierung und Sicherheit. Die baltischen Staaten, aufgrund ihrer geopolitischen Lage ständigen Cyberbedrohungen ausgesetzt, bieten hier wertvolle Expertise. Ihr Ansatz: resiliente digitale Infrastrukturen, die Offenheit und Schutz vereinen.

“Wir erleben einen Paradigmenwechsel von ‘Sicherheit als Verhinderer’ zu ‘Sicherheit als Ermöglicher'”, berichtete ein Teilnehmer aus der Cybersicherheitsbranche. Diese Denkweise wird entscheidend sein für die Akzeptanz der Europäischen Digitalen Identitätsbrieftasche, deren Einführung Deutschland gerade vorbereitet.

Der kritische Test kommt 2026

Wenn der Gipfel morgen endet, beginnt die eigentliche Bewährungsprobe. Die größte Herausforderung: sicherstellen, dass NOOTS nicht auf kommunaler Ebene versandet, wo Ressourcen oft am knappsten sind. Branchenbeobachter erwarten im ersten Quartal 2026 weitere Details zur Souveränen Verwaltungscloud, die die Abhängigkeit von außereuropäischen Cloud-Anbietern verringern soll.

Die Botschaft aus Dortmund ist unmissverständlich: Deutschland hat die Strategie und die Gesetze. Jetzt muss es das Tempo seiner baltischen Partner erreichen – sonst droht der Abstand in einem digitalen Europa weiter zu wachsen.

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