Digitales, Chaos

Digitales Chaos droht: Deutsche Arztpraxen vor dem Kollaps?

09.12.2025 - 23:30:11

Drei Wochen bis zur Katastrophe – oder zur digitalen Wende? Während die Politik auf Tempo drückt, kämpfen Tausende Praxen gegen die Zeit. Und die Patienten? Die meisten nutzen ihre digitale Patientenakte noch immer nicht.

Deutschland steht vor einem doppelten Stichtag, der das Gesundheitssystem durchschütteln könnte. Am 1. Januar 2026 drohen nicht nur finanzielle Sanktionen für nicht-digitalisierte Arztpraxen – gleichzeitig läuft am 31. Dezember die Verschlüsselungstechnik Tausender Praxen ab. Was nach technischem Detail klingt, könnte zum Neujahrs-Blackout werden: Kein E-Rezept mehr, keine elektronische Krankschreibung, keine digitale Patientenakte.

Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort liegt in einer Mischung aus ehrgeizigen politischen Zielen, technischen Hürden und einer Bevölkerung, die der Digitalisierung skeptisch gegenübersteht. Neue Zahlen, die gestern veröffentlicht wurden, zeigen das ganze Ausmaß der Misere.

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Der Pharmaverband Pharma Deutschland hat am Montag eine repräsentative Civey-Umfrage vorgelegt, die aufhorchen lässt: Gerade einmal 20,3 Prozent der gesetzlich Versicherten nutzen Anfang Dezember 2025 aktiv ihre elektronische Patientenakte (ePA). Das ist zwar eine Steigerung gegenüber den 12,1 Prozent vom Juni – aber weit entfernt von dem, was die Bundesregierung sich erhofft hatte.

Seit Januar 2025 läuft die „ePA für alle” mit Widerspruchslösung: Jeder Versicherte bekommt automatisch eine digitale Akte, es sei denn, er widerspricht aktiv. Seit 1. Oktober müssen alle niedergelassenen Ärzte die ePA technisch unterstützen. Doch was nützt die beste Infrastruktur, wenn die Menschen sie nicht nutzen?

„Die Digitalisierung im Gesundheitswesen kommt nur mühsam voran”, konstatiert Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, trocken. „Mit knapp 20 Prozent Nutzung sind wir noch weit vom Ziel entfernt.”

Auch das E-Rezept, seit Januar 2024 verpflichtend und damit das etablierteste digitale Tool, stagniert. 59,3 Prozent haben es bereits genutzt – im Juni waren es 55,7 Prozent. Die Kurve flacht ab. Offenbar gewöhnen sich die Menschen langsamer an digitale Gesundheitsdienste, als es die Politik eingeplant hat.

Der „Verschlüsselungs-Abgrund”: Neujahrschaos in Tausenden Praxen?

Während die Nutzerzahlen enttäuschen, braut sich eine akute technische Krise zusammen. Am 31. Dezember 2025 laufen die Sicherheitszertifikate für ältere Konnektoren ab – jene Hardware-Router, die Arztpraxen mit der geschützten Telematikinfrastruktur (TI) verbinden. Wer bis Silvester nicht auf den neuen Verschlüsselungsstandard ECC (Elliptic Curve Cryptography) umgestellt hat, ist ab Neujahr offline.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Gematik, die staatliche Digitalagentur für das Gesundheitswesen, haben Ende November eindringlich gewarnt: 10.000 bis 15.000 Konnektoren bundesweit waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgetauscht oder aktualisiert.

„Die Frist ist absolut”, betonte ein Gematik-Sprecher letzte Woche nochmals. „Es gibt keine technische Möglichkeit, die RSA-Zertifikate über den 31. Dezember hinaus zu verlängern. Praxen ohne Upgrade sind offline.”

Was bedeutet das konkret? Keine E-Rezepte mehr ausstellen, kein Zugriff auf die ePA, keine elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Über die Weihnachtsfeiertage sind IT-Techniker rar. Experten befürchten eine Welle von „digitalen Aussperrungen” in der ersten Januarwoche. Das Chaos in den Wartezimmern wäre programmiert – und ein Rückfall auf Papier wäre für Standardfälle rechtlich nicht mehr zulässig.

Ab 1. Januar: Ein Prozent weniger Honorar für digitale Verweigerer

Als wäre die technische Deadline nicht genug, tritt am selben Tag die finanzielle Keule in Kraft. Seit dem Digitalgesetz (DigiG) läuft eine Schonfrist für die ePA-Pflicht aus. Ab 1. Januar 2026 müssen Ärzte nachweisen, dass sie die elektronische Patientenakte befüllen und auslesen können – sonst droht eine Honorarkürzung von einem Prozent auf die gesamte vertragsärztliche Vergütung.

Für eine durchschnittliche Hausarztpraxis kann das mehrere Tausend Euro pro Quartal bedeuten. Die Ärzte sind empört. Der Verband Medi Geno kritisierte Anfang Dezember scharf, dass Mediziner für Softwarefehler bestraft würden, die sie nicht zu verantworten hätten.

„Es ist ungerecht, Praxen zu sanktionieren, wenn die Industrie keine stabilen, nutzerfreundlichen Updates rechtzeitig bereitstellt”, sagte Dr. Norbert Smetak, Vorsitzender von Medi Geno, am 3. Dezember. Er verwies auf Berichte über Systemabstürze nach dem verpflichtenden Rollout am 1. Oktober, als manche Praxisverwaltungssysteme unter der Last der ePA-Datensynchronisation zusammenbrachen.

Während Krankenhäuser bis April 2026 Zeit bekommen, stehen niedergelassene Ärzte im Scheinwerferlicht. Die KBV rät ihren Mitgliedern, technische Ausfälle penibel zu dokumentieren, um Sanktionen anfechten zu können. Eine bürokratische Schlacht zeichnet sich ab.

Ministerin Warken bleibt hart

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU), seit Mai 2025 im Amt, zeigt sich unbeeindruckt von der Kritik. Die „ePA für alle” sei der zentrale Pfeiler der deutschen Gesundheitsstrategie, betonte sie Ende November auf einem Symposium. Weitere Verzögerungen gefährdeten Patientensicherheit und Forschungsmöglichkeiten.

„Wir können nicht zulassen, dass das Tempo der Digitalisierung vom langsamsten gemeinsamen Nenner bestimmt wird”, so Warken. Ihr Ministerium argumentiert, dass das Opt-out-Modell nur funktioniere, wenn alle Leistungserbringer mitmachen.

Doch die Umfrage von gestern zeigt auch gesellschaftliche Gräben. Jüngere Menschen (18-29 Jahre) stehen dem E-Rezept skeptisch gegenüber, sehen die ePA aber als selbstverständliche digitale Dienstleistung. Ältere Patienten, die das Gesundheitssystem am häufigsten nutzen, zeigen dagegen höhere Widerstände gegen digitale Tools. Es entsteht eine „Nutzungslücke”: Ausgerechnet diejenigen, die am meisten profitieren könnten, nutzen die Technik am wenigsten.

Der perfekte Sturm: Januar 2026 wird zur Bewährungsprobe

Die deutschen Arztpraxen stehen unter Hochdruck. Die Kombination aus „Verschlüsselungs-Abgrund” und Sanktionsbeginn schafft ein „Perfect-Storm-Szenario” für Anfang Januar 2026.

Die wichtigsten Termine:
* 31. Dezember 2025: Ablauf der RSA-Konnektor-Zertifikate. Nicht aktualisierte Praxen verlieren TI-Zugang.
* 1. Januar 2026: Start der Ein-Prozent-Honorarkürzung für ePA-Verweigerer.
* 15. Januar 2026: Erste geplante Evaluation der „Phase 2″ des ePA-Rollouts durch das Bundesgesundheitsministerium.

Für Patienten könnte der Jahreswechsel unsichtbar bleiben – es sei denn, ihr Hausarzt gehört zu den Tausenden, die durch das Verschlüsselungs-Update abgeschnitten werden. Für das deutsche Gesundheitssystem aber wird der Januar 2026 zum ultimativen Stresstest. Wird der seit Jahren versprochene „digitale Durchbruch” endlich Realität? Oder kollabiert das System unter dem Gewicht seiner eigenen Vorgaben?

Die nächsten drei Wochen werden zeigen, ob Deutschlands Gesundheitswesen den Sprung ins digitale Zeitalter schafft – oder daran scheitert.

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