Digital Omnibus: EU verschiebt KI-Regulierung um zwei Jahre
08.12.2025 - 10:39:12Brüssel atmet auf – zumindest vorübergehend. Die Europäische Kommission plant, die Fristen für die Einhaltung der KI-Verordnung drastisch zu verlängern. Was bedeutet das für Unternehmen, die sich bereits auf 2026 vorbereitet haben? Und warum startet die EU ausgerechnet jetzt eine Kartelluntersuchung gegen Meta?
Die Nachricht kommt für viele überraschend: Nach der Sitzung des Europäischen KI-Boards am 4. Dezember steht fest, dass der “Digital Omnibus” – ein neuer Gesetzesvorschlag – die Compliance-Deadlines für Hochrisiko-KI-Systeme um mehr als ein Jahr nach hinten verschieben soll. Während die Verbote der KI-Verordnung bereits seit Anfang 2025 gelten, kämpfen Unternehmen noch immer mit einem Regulierungsdschungel aus KI-Verordnung, GDPR und Datengesetz.
Der am 19. November formell vorgelegte Digital Omnibus soll genau diese Überschneidungen entflechten. Laut einer Analyse der Kanzlei White & Case vom 5. Dezember verschiebt der Vorschlag die “Long-Stop”-Fristen erheblich:
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- Annex-III-Systeme: KI in sensiblen Bereichen wie Personalrekrutierung, Kreditbewertung oder Bildung – neue Frist: 2. Dezember 2027
- Annex-I-Systeme: KI-Komponenten in regulierten Produkten wie Maschinen, Spielzeug oder Medizinprodukten – neue Frist: 2. August 2028
Ursprünglich sollten diese Pflichten ab August 2026 greifen. Doch die harmonisierten Standards – technische Blaupausen, die Unternehmen zur Nachweisführung benötigen – existieren schlicht noch nicht. Der Vorschlag knüpft die Compliance-Daten nun an die Verfügbarkeit dieser Standards, statt an willkürliche Kalenderdaten.
“Die Haupttreiber dieser Initiative waren die Notwendigkeit, überlappende Regulierungen zu vereinfachen und Compliance-Lasten zu reduzieren”, hieß es in einem Rechtsbriefing vom 5. Dezember. Für Unternehmen, die ein “Cliff-Edge”-Szenario im kommenden Sommer befürchteten, kommt das einer Atempause gleich.
Das Europäische KI-Board – besetzt mit Vertretern der Mitgliedstaaten – tagte am 4. Dezember unter dänischem Vorsitz, um sich mit diesen Änderungen auseinanderzusetzen. Doch die Verlängerung löst auch Debatten aus: Wie ernst meint es die EU mit ihren eigenen Regeln?
Óscar López, Spaniens Minister für digitale Transformation, stellte bei einer parallel zur Board-Sitzung stattfindenden Diskussion am 4. Dezember klar: “Vereinfachung ist keine Deregulierung.” Er mahnte die EU, ihr Modell einer “wettbewerbsfähigen, nachhaltigen und rechtewahrenden” KI-Entwicklung nicht aufzugeben. Seine Worte spiegeln eine Spannung wider: der dringende Ruf nach mehr Wettbewerbsfähigkeit – betont im jüngsten Draghi-Bericht – versus der Auftrag, Grundrechte zu schützen.
Diskutiert wurde auch der Code of Practice für General-Purpose AI (GPAI), der freiwillige Standard für mächtige Modelle wie GPT-4 oder Gemini. Obwohl die GPAI-Verpflichtungen offiziell seit 2. August 2025 gelten, hängt die praktische Durchsetzung von diesem Kodex ab. Kann die “Vereinfachung” diese Sicherheitsvorgaben aushöhlen?
Meta im Visier: Wenn KI auf Kartellrecht trifft
Während das KI-Board über Regulierungstheorie debattierte, eskalierte zeitgleich ein echter Compliance-Konflikt. Am 4. Dezember eröffnete die Europäische Kommission eine formelle Kartelluntersuchung gegen Meta. Der Vorwurf: Der Tech-Konzern missbrauche seine Marktmacht, indem er KI-Anbieter von Drittanbietern vom Zugang zu WhatsApp ausschließe.
Im Zentrum steht Metas neue Richtlinie, die rival KI-Assistenten angeblich daran hindert, sich in die WhatsApp Business API zu integrieren. Die Kommission befürchtet, dass dieses “Gatekeeper”-Verhalten Meta erlaubt, seine eigenen KI-Tools vor Konkurrenz zu schützen.
Dieser Fall zeigt die “Komplexität”, die Befürworter des Digital Omnibus anführen. Unternehmen müssen in der EU nun drei regulatorische Welten gleichzeitig meistern:
1. Die KI-Verordnung: Sicherheit und Transparenz der Modelle
2. Der Digital Markets Act (DMA): Verhindert, dass “Gatekeeper”-Plattformen eigene Dienste bevorzugen
3. Klassisches Wettbewerbsrecht: Traditionelle Kartellregeln für neue Technologien
Für Unternehmen lautet die Botschaft: Die Einhaltung der KI-Verordnung allein schützt nicht vor anderen regulatorischen Eingriffen.
Vorsichtiger Optimismus, aber große Unsicherheit
Die Reaktionen aus der Wirtschaft fielen am Wochenende verhalten positiv aus – zumindest was die Fristverlängerungen betrifft. Doch Rechtskanzleien warnen: Der Digital Omnibus ist bislang nur ein Vorschlag, kein Gesetz.
“Wer dachte, die jüngste Welle der EU-Digitalregulierung würde abebben, sollte umdenken”, kommentierte die Kanzlei Taylor Wessing am 2. Dezember. Der Omnibus verspreche zwar Vereinfachung, eröffne aber faktisch den Gesetzgebungsprozess neu. Es droht eine Limbo-Phase: Die alten Daten gelten technisch noch, die neuen werden aber bereits erwartet.
Was kommt als Nächstes?
- Triloge im ersten Quartal 2026: Der Digital Omnibus muss durch Parlament und Rat. Angesichts der Dringlichkeit werden “Fast-Track”-Verhandlungen Anfang nächsten Jahres erwartet.
- Harmonisierte Standards: Die europäischen Normungsorganisationen (CEN/CENELEC) stehen unter enormem Druck, die technischen Standards zu liefern, die den neuen Compliance-Countdown auslösen.
- Meta-Untersuchung: Das Ergebnis der am 4. Dezember gestarteten Untersuchung wird Präzedenzcharakter haben – wie viel Kontrolle dürfen KI-Plattformen über ihre Ökosysteme ausüben?
Der “Brüssel-Effekt” befindet sich in der Schwebe. Das Ziel – vertrauenswürdige, sichere KI – bleibt bestehen. Die Ankunftszeit wurde nur gerade um zwei Jahre verschoben. Ob das der Industrie wirklich hilft oder nur die Unsicherheit verlängert? Diese Frage dürfte 2026 beantwortet werden.
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