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Digital Omnibus: EU plant umstrittene Aufweichung von Datenschutz

18.11.2025 - 13:21:12

Die Europäische Kommission will diese Woche ein brisantes Gesetzespaket vorstellen, das zentrale Säulen der europäischen Datenschutzgrundverordnung und des KI-Gesetzes aufweichen könnte. Datenschützer und Bürgerrechtsorganisationen schlagen Alarm: Droht der größte Rückschritt für digitale Grundrechte in der Geschichte der EU?

Was offiziell als “Digital Omnibus” präsentiert wird – eine technische Vereinfachung überlappender Digitalgesetze – entpuppt sich nach Ansicht von Kritikern als radikaler Kurswechsel. Über 127 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Amnesty International und European Digital Rights (EDRi), warnen in einem gemeinsamen offenen Brief vor einem “beispiellosen Rückbau” digitaler Rechte. Die geleakten Entwürfe, die am 19. November offiziell vorgestellt werden sollen, legen nahe: Im Namen der Deregulierung könnten Unternehmensinteressen künftig schwerer wiegen als Bürgerrechte.

Die vorgeschlagenen Änderungen haben es in sich. Besonders brisant: Die Kommission will den Rechtsgrund des “berechtigten Interesses” massiv ausweiten. Tech-Giganten wie Google, Meta oder OpenAI könnten damit riesige Mengen personenbezogener Daten zum Training ihrer KI-Modelle nutzen – ohne Zustimmung der Nutzer. Datenschützer sprechen von einem “Blankoscheck” für die Tech-Industrie.

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Doch damit nicht genug. Die Definition “personenbezogener Daten” selbst soll verengt werden, wodurch bisher geschützte Informationen aus dem Schutzbereich fallen könnten. Auch das Auskunftsrecht – ein Kernstück der DSGVO, das Bürgern Transparenz über die Verwendung ihrer Daten garantiert – steht auf der Streichliste. Beim erst kürzlich in Kraft getretenen KI-Gesetz plant die Kommission eine “Gnadenfrist”: Strafen für Verstöße gegen Transparenzregeln würden bis August 2027 ausgesetzt, bei Hochrisiko-KI-Systemen um ein weiteres Jahr verschoben. Kritiker fragen sich: Wird hier ein Gesetz kassiert, bevor es überhaupt wirken kann?

“Tod durch tausend Schnitte”: Massive Kritik aus Datenschutzkreisen

Die Reaktionen fallen vernichtend aus. Die österreichische Datenschutzorganisation noyb, gegründet vom Aktivisten Max Schrems, bezeichnet das Omnibus-Paket als “extremsten Angriff auf die Privatsphäre der Europäer in der DSGVO-Ära” – einen “Tod durch tausend Schnitte”. Die Organisation kritisiert, dass die Änderungen vor allem außereuropäischen Tech-Konzernen mit Billionen-Bewertungen nützen, während kleine und mittlere europäische Unternehmen kaum entlastet würden.

Besonders brisant: Mehrere Elemente des Entwurfs scheinen der etablierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu widersprechen und könnten sogar gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen. Der Plan, das Omnibus-Paket im Schnellverfahren durchzuwinken und dabei umfassende Folgenabschätzungen zu überspringen, befeuert die Vorwürfe mangelnder Transparenz zusätzlich.

Auch im EU-Parlament formiert sich parteiübergreifender Widerstand. Sozialdemokraten, Renew Europe und die Grünen haben in separaten Schreiben bereits ihr Unbehagen gegenüber der Kommission geäußert. Kann sich diese breite Allianz durchsetzen?

Deregulierungsdruck im globalen KI-Wettlauf

Hinter den Reformplänen steht eine klare Motivation: Europa droht im globalen KI-Rennen abgehängt zu werden. Befürworter der Deregulierung argumentieren, dass strenge Regulierung Innovation hemmt und europäische Unternehmen gegenüber Konkurrenten aus den USA und China benachteiligt. Diese Sorge dominiert derzeit auch einen Gipfel zur digitalen Souveränität in Berlin, an dem Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron teilnehmen.

Berichten zufolge war die deutsche Bundesregierung treibende Kraft im EU-Rat, um Datenschutzrechte zugunsten der KI-Entwicklung zu schwächen. Die Vorschläge der Kommission spiegeln einen wachsenden politischen Willen wider, die Balance zwischen Innovation und Regulierung neu zu justieren. Steht Europa vor einem Paradigmenwechsel – weg vom globalen Vorreiter für digitale Rechte, hin zu einer industriefreundlicheren Politik?

Kampf um Europas digitale Identität

Das Digital Omnibus markiert eine Weichenstellung für die EU-Politik. Jahrelang galt die DSGVO als weltweiter Goldstandard für Datenschutz und beeinflusste Gesetzgebung rund um den Globus. Das KI-Gesetz sollte einen menschenzentrierten, rechtebasierten Ansatz zur Regulierung künstlicher Intelligenz etablieren. Die aktuellen Vorschläge stellen diese Identität fundamental infrage.

Während die Kommission von “technischer Straffung” spricht, sehen Kritiker einen ideologischen Bruch: Der Abbau von Schutzrechten, die Bürgern Kontrolle über ihr digitales Leben geben. Der Streit offenbart einen Grundkonflikt – die Billionen-Dollar-schwere KI-Industrie gegen die Grundrechte von 450 Millionen EU-Bürgern. Was wiegt schwerer in Brüssel: Wettbewerbsfähigkeit oder Wertekonsistenz?

Steiniger Weg durch die EU-Institutionen

Nach der offiziellen Präsentation am 19. November beginnt für das Digital Omnibus ein komplexer Gesetzgebungsprozess. Sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat der EU müssen zustimmen – und angesichts der massiven Opposition dürfte das keine Formsache werden.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Drang nach technologischer Wettbewerbsfähigkeit sich durchsetzt oder ob die Verteidiger europäischer Digitalrechte die Pläne stoppen können. Eines steht fest: Die finale Form des Digital Omnibus wird die digitale Zukunft Europas maßgeblich prägen – und ein Signal an die Welt senden, wie ernst es der EU mit ihren eigenen Werten tatsächlich ist.

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