Digital Omnibus: EU krempelt Regulierungslandschaft radikal um
22.11.2025 - 13:00:12Brüssel/Berlin – Die EU vollzieht eine Kehrtwende in ihrer Digitalpolitik. Nach Jahren als strenger Regulierer setzt Brüssel nun auf Pragmatismus: Weniger Bürokratie, mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die am Mittwoch vorgestellte “Digital Omnibus”-Reform verspricht Unternehmen bis 2029 Einsparungen von bis zu 5 Milliarden Euro – und verzögert die strengsten KI-Regeln um bis zu 16 Monate.
Das Timing ist kein Zufall. Unmittelbar nach dem Berliner Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität schlägt die Europäische Kommission einen neuen Kurs ein. Die Botschaft: Europa will nicht länger nur Weltpolizist in Digitalfragen sein, sondern endlich selbst zum Innovationsmotor werden.
„Wir haben alle Zutaten für den Erfolg in der EU”, erklärte Henna Virkkunen, Vizepräsidentin für technologische Souveränität, am 19. November. „Aber unsere Unternehmen, besonders Start-ups und kleine Betriebe, werden oft durch starre Regelschichten ausgebremst.”
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Das umfangreichste Reformpaket seit Einführung der Datenschutz-Grundverordnung soll den „Regulierungsdschungel” lichten, über den Wirtschaftsvertreter seit Jahren klagen. Die geplanten Änderungen reichen tief:
DSGVO-Modernisierung: Eine zentrale Meldestelle für Datenschutzverletzungen soll das bisherige Flickwerk aus nationalen Behörden ersetzen. Die Meldefrist wird von 72 auf 96 Stunden verlängert – eine Angleichung an andere Cybersicherheitsvorschriften wie NIS2.
Erleichterung bei Cookie-Bannern: Mit einem einzigen Klick sollen Nutzer Tracking-Cookies künftig ablehnen können. Websites müssen diese Entscheidung sechs Monate lang speichern. Ein Ende der nervtötenden Pop-ups bei jedem Seitenbesuch?
KI und Datennutzung: Besonders brisant ist die Klarstellung zum „berechtigten Interesse” als Rechtsgrundlage für KI-Training. Europäische Tech-Unternehmen fordern diese Regelung vehement, um mit US- und chinesischen Konkurrenten mithalten zu können. Datenschützer sehen darin bereits eine gefährliche Aufweichung fundamentaler Schutzrechte.
Entlastung für KMU: Kleine und mittlere Unternehmen werden von bestimmten Cloud-Wechselverpflichtungen des Data Act befreit.
Berlin-Gipfel: Merz und Macron schmieden digitale Allianz
Der Regulierungsumbau folgt direkt auf den Berliner Souveränitätsgipfel vom 18. November. Dort demonstrierten Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seltene Einigkeit: Eine gemeinsame Taskforce soll „europäische digitale Souveränität” definieren und Standards für „souveräne Cloud-Dienste” festlegen.
„Für Europa bedeutet digitale Souveränität die Fähigkeit, Technologie über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg nach europäischen Interessen zu gestalten”, betonte Merz. Der Subtext: Europa will nicht länger als digitale Kolonie amerikanischer und chinesischer Tech-Giganten agieren.
Die Industrie reagierte prompt. Über 12 Milliarden Euro an Investitionszusagen für Schlüsseltechnologien wurden beim Gipfel zugesagt. Ein klares Signal: Der Schwenk von reiner Abwehrregulierung zu aktiver Industriepolitik trägt erste Früchte.
Ein zentrales Element der deutsch-französischen Initiative ist die „europäische Präferenz” bei öffentlichen Ausschreibungen. Konkret: Behörden sollen künftig europäische Cloud-Anbieter bevorzugen dürfen, ohne gegen Wettbewerbsregeln zu verstoßen.
Auch Härte: EU nimmt AWS und Azure ins Visier
Während Brüssel eigene Unternehmen entfesselt, zieht es gleichzeitig die Daumenschrauben bei ausländischer Tech-Dominanz an. Am 18. November eröffnete die Kommission förmliche Untersuchungen gegen Amazon Web Services und Microsoft Azure.
Werden die US-Cloud-Riesen als „Gatekeeper” nach dem Digital Markets Act eingestuft, drohen ihnen strenge Auflagen: Zwang zu Interoperabilität und Verbot der Bevorzugung eigener Dienste. Die EU will verhindern, dass europäische Firmen in ausländischen Ökosystemen „eingesperrt” bleiben.
Die Märkte reagieren bereits. Am 19. November lancierte der Unternehmenssoftware-Anbieter Workday seine „EU Sovereign Cloud” – eine Komplettlösung, bei der Datenverarbeitung und Support ausschließlich innerhalb der EU durch EU-Personal erfolgen. Ein Vorgeschmack auf den künftigen Marktstandard?
KI-Verordnung verzögert sich deutlich
Die wohl umstrittenste Maßnahme des Digital Omnibus: Die schärfsten Vorschriften der EU-KI-Verordnung für Hochrisiko-Systeme werden um bis zu 16 Monate verschoben – möglicherweise bis Dezember 2027 oder August 2028.
Offiziell geht es darum, Unternehmen mehr Vorbereitungszeit zu geben und technische Standards zu entwickeln. Kritiker sehen darin jedoch ein Eingeständnis: Die EU hat regulatorisch überzogen und droht im globalen KI-Rennen abgehängt zu werden.
Branchenvertreter begrüßen die Atempause. „Panik wegen unmittelbar drohender KI-Compliance gehört erst mal der Vergangenheit an”, kommentiert ein Berliner Rechtsberater. Bürgerrechtsgruppen warnen hingegen vor einem gefährlichen Präzedenzfall: Wird Wirtschaftsdruck künftig stets Grundrechtsschutz übertrumpfen?
Ein riskanter Balanceakt
Die Entwicklungen dieser Woche markieren eine pragmatische „Kurskorrektur” der EU. Jahrelang fokussierte sich der Block darauf, der digitale Weltpolizist zu sein. Das Digital Omnibus signalisiert die Erkenntnis: Regulierung ohne Innovation führt in die Stagnation.
Doch der Spagat ist heikel. Einerseits fordert die Wirtschaft seit Jahren weniger Bürokratie. Andererseits könnten „Vereinfachungen” bei der DSGVO fundamentale Datenschutzgarantien aushöhlen – besonders beim KI-Training mit personenbezogenen Daten.
Der geopolitische Kontext ist unübersehbar. Angesichts politischer Umbrüche in den USA beschleunigen europäische Staats- und Regierungschefs ihre Bemühungen, kritische Infrastrukturen gegen ausländische Einflussnahme abzusichern. „Trump-proofing” der digitalen Infrastruktur nennen das Insider in Brüssel.
Was Unternehmen jetzt erwartet
Das Digital Omnibus-Paket muss nun durch Europaparlament und Ministerrat. Angesichts des politischen Rückenwinds für mehr Wettbewerbsfähigkeit rechnen Analysten mit einem beschleunigten Verfahren – heftige Debatten über DSGVO-Änderungen sind dennoch programmiert.
Kurzfristig: Entschärfung des Drucks bei der KI-Verordnung. Unternehmen gewinnen Zeit für durchdachte Implementierungsstrategien.
Mittelfristig (2026): Vereinfachte Meldemechanismen für Datenpannen und Cybersicherheitsvorfälle, sobald die zentrale Anlaufstelle operativ ist.
Langfristig: Ein möglicherweise gespaltener Cloud-Markt. „Souveräne” Clouds könnten für öffentliche Hand und kritische Infrastruktur zum Pflichtstandard werden.
Der Wandel von reiner Regulierung zu Industriestrategie sendet eine klare Marktbotschaft: Europa bleibt offen für Geschäfte – aber künftig zu eigenen Bedingungen auf eigenem Boden.
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