Deutschland reguliert doppelt: Bauboom vs. Batterie-Gefahr
26.11.2025 - 10:54:12Mecklenburg-Vorpommern erleichtert Bauvorschriften für mehr Wohnraum, während der Bund strengere Kontrollen für Lithium-Akkus einführt. Zwei gegenläufige Entwicklungen in der deutschen Sicherheitspolitik.
Die deutsche Regulierungslandschaft erlebt einen paradoxen Moment. Während Mecklenburg-Vorpommern am Dienstag seinen Wohnungsbau durch gelockerte Brandschutzvorschriften beschleunigen will, verschärft der Bund zeitgleich die Kontrollen für Lithium-Akkus – die heimlichen Brandbeschleuniger in Recyclinghöfen. Zwei Entwicklungen, die kaum gegensätzlicher sein könnten.
Die Botschaft ist eindeutig: Wer sein Gebäude umbaut, bekommt mehr Freiheiten. Wer seinen Elektroschrott entsorgt, wird künftig strenger kontrolliert. Eine Gratwanderung zwischen Wohnungskrise und Sicherheitsrisiko.
Schwerin macht Tempo: Weniger Vorschriften, mehr Wohnraum
Bauminister Christian Pegel (SPD) hat am 25. November das Reformpaket für die Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommerns auf den Weg gebracht. Das Ziel: “Vereinfachung, Beschleunigung, Bürokratieabbau” – drei Schlagworte, die den stockenden Wohnungsbau wieder in Schwung bringen sollen.
Bestandsbauten bekommen Narrenfreiheit
Der Kern der Reform betrifft Altbauten. Wer künftig saniert oder ausbaut, muss nicht mehr zwingend alle modernen Brandschutznormen erfüllen. Abweichungen werden großzügiger genehmigt, solange das grundlegende Sicherheitsniveau erhalten bleibt. Ein direkter Angriff auf die “graue Energie”-Debatte: Umbau schlägt Abriss.
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Pegel deutlich: “Wir wollen den Gestaltungsspielraum bei Neubauten und Umbauten vergrößern, damit schneller und einfacher Wohnraum entsteht.”
Konkrete Änderungen im Überblick
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Pauschale Abstandsflächen: Die komplizierte Berechnung von Mindestabständen zwischen Gebäuden – entscheidend für Brandausbreitung – wird durch Pauschalregeln nach Gebäudetyp ersetzt. Zeitraubende Einzelfallprüfungen entfallen.
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Gebäudetyp E: Die neue Kategorie “Experimentelles Bauen” erlaubt Architekten, bestimmte Komfortnormen zu umgehen – nicht jedoch essenzielle Sicherheitsstandards. Ziel: günstigere, schnellere Projekte.
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Dachgeschoss-Ausbau leicht gemacht: Die Umwandlung von Gewerberäumen oder Dachböden in Wohnungen wird entbürokratisiert, besonders bei zweiten Fluchtwegen in niedrigen Häusern.
Mecklenburg-Vorpommern folgt damit Rheinland-Pfalz, das bereits am 1. November 2025 ähnliche Lockerungen einführte. Der Dominoeffekt ist spürbar: Bundesländer konkurrieren um den Titel “baufriendlichster Standort”.
Bundesregierung zieht die Zügel an: ElektroG4 kommt
Während Landesminister lockern, strafft Berlin. Nach dem Verzicht des Bundesrats auf den Vermittlungsausschuss am vergangenen Freitag ist die vierte Novelle des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes (ElektroG4) praktisch beschlossen. Inkrafttreten: 1. Januar 2026.
Die Triebfeder: explodierende Lithium-Akkus in Mülltonnen und Sortieranlagen. Die Zahl der Recyclinghof-Brände steigt dramatisch.
Das “Thekenmodell” wird Pflicht
Die wichtigste Neuerung für Verbraucher und Händler:
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Keine Sammelcontainer mehr: Wertstoffhöfe und Großhändler dürfen Altgeräte nicht mehr zur Selbstbedienung bereitstellen.
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Geschultes Personal: Batteriebetriebene Geräte müssen direkt an trainierte Mitarbeiter übergeben werden.
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Sofortige Batterietrennung: Die Akkus – besonders Lithium-Ionen-Typen – werden vor Ort entnommen, bevor das Gerät in den Schredder wandert.
Hintergrund ist das “Thermal Runaway”-Phänomen: Beschädigte Lithium-Zellen entzünden sich durch Kurzschluss selbst – oft erst Stunden nach der mechanischen Belastung in Müllpressen.
E-Zigaretten im Visier
Die Rücknahmepflicht wird verschärft. Supermärkte und Discounter müssen künftig auch Einweg-Vapes ohne Neukauf zurücknehmen – eine der Hauptquellen für Batteriebrände. Die kleinen Geräte landen millionenfach im Restmüll, wo sie als mobile Brandsätze wirken.
Branche reagiert enttäuscht: “Tropfen auf den heißen Stein”
Trotz des Fortschritts hagelt es Kritik aus der Entsorgungswirtschaft. Die Maßnahmen gingen nicht weit genug.
bvse fordert Vape-Verbot
Der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) begrüßt das Thekenmodell als “positiv für den Arbeitsschutz”, zeigt sich aber frustriert. Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock: “Wir bedauern, dass wichtige Branchenforderungen im Gesetzgebungsprozess ignoriert wurden.”
Der Verband hatte auf ein Pfandsystem für Lithium-Akkus und ein Komplettverbot von Einweg-E-Zigaretten gedrängt. Freiwillige Rückgabesysteme würden die Millionen illegal entsorgten Vapes nicht einfangen.
Kommunen warnen vor Kostenlawine
Die kommunalen Versorgungsunternehmen (VKU) unterstützen zwar die Sicherheitsverbesserung, warnen aber vor massiv steigenden Personalkosten. Das Thekenmodell erfordert deutlich mehr Mitarbeiter an Recyclinghöfen. Die Branche fordert, dass Hersteller über erweiterte Produktverantwortung zahlen – nicht die Gebührenzahler. Diese Forderung bleibt in der aktuellen Novelle weitgehend unerfüllt.
Das Brandsicherheits-Paradoxon 2025
Die Ereignisse Ende November illustrieren einen grundlegenden Widerspruch in der deutschen Sicherheitspolitik.
Einerseits: Die Musterbauordnung 2025 und Länderanpassungen wie in Mecklenburg-Vorpommern bewegen sich Richtung leistungsorientiertes Design. Statt starrer Vorgaben (“Wand muss 20 cm dick sein”) akzeptieren Behörden flexible “Schutzziele” (“Bewohner müssen in 10 Minuten evakuieren können”). Das ermöglicht moderne Holzbauweise und dichtere Stadtplanung – erfordert aber höhere Expertise.
Andererseits: Die operative Brandsicherheit im Alltag wird rigider. Die Allgegenwart energiedichter Akkus – in Zahnbürsten, Scootern, Kopfhörern – hat eine Brandlast geschaffen, die klassische Müllinfrastruktur nicht bewältigt. ElektroG4 markiert den Schwenk von “passiver” Sicherheit (Container-Design) zu “aktiver” Sicherheit (menschliche Kontrolle am Entsorgungspunkt).
Was kommt als Nächstes?
Die ElektroG-Änderungen greifen am 1. Januar 2026 – Händler und Kommunen haben noch fünf Wochen für Schulungen und Umbau der Sammelstellen. Branchenkenner erwarten chaotische Übergangsmonate mit Staus an Wertstoffhöfen.
Die Bauordnungsreform in Mecklenburg-Vorpommern wandert nun in den Landtag. Bei erwarteter Zustimmung könnten die vereinfachten Regeln Mitte 2026 in Kraft treten – mit absehbarer Sanierungswelle in den historischen Küstenstädten des Landes.
Für Facility-Manager bedeutet diese Woche: Compliance spaltet sich. Ihr Gebäudeumbau wird einfacher – die Entsorgung der Technik darin wird komplizierter. Eine neue Arbeitsteilung zwischen Bau und Betrieb.
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