Deutschland fällt zurück: DACH-Region im Digital-Tempo-Check
01.12.2025 - 09:29:12Berlin – Deutschlands Digitalstrategie gerät unter massiven Beschuss. Während Österreich seine „ID Austria” mit über 4,1 Millionen Nutzern etabliert und die Schweiz nach dem erfolgreichen Referendum ihr „Swiyu”-Wallet vorantreibt, hagelt es in Berlin Kritik am gerade verabschiedeten Digitalbudget 2026. Branchenverbände sprechen von „strukturellen Defiziten” – und werfen die Frage auf: Verschläft Europas größte Volkswirtschaft den Anschluss?
Die harte Abrechnung folgte Ende November. Der eco-Verband der Internetwirtschaft bezeichnete die Finanzplanung des Bundesministeriums für Digitales und Verwaltungsmodernisierung (BMDS) als „deutlich zu schwach”. Das vom Bundestag verabschiedete Budget umfasst zwar nominal 4,47 Milliarden Euro, doch davon entfällt nur ein Kernhaushalt von 1,36 Milliarden Euro direkt auf das Ministerium. Der Löwenanteil fließt in bereits länger geplante Breitband- und Mobilfunkprojekte – über Sondertöpfe finanziert.
„Das Budget des neuen Digitalisierungsministeriums zeigt, wie sehr Deutschland weiter damit kämpft, eine ernsthafte Digitalpolitik zu verfolgen”, kritisierte eco-Vorstandsvorsitzender Oliver Süme am 27. November. Die Verbandsspitze bemängelt: Für Innovation in Künstlicher Intelligenz oder Verwaltungsmodernisierung bleibe kaum Spielraum. Das BMDS fungiere eher als Koordinator denn als Gestalter – eine „symbolische Digitalpolitik”, die Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gefährde.
Seit August 2024 gelten in der EU neue Regeln für Künstliche Intelligenz – viele Behörden und Unternehmen stehen jetzt vor Pflichtaufgaben wie Risikoklassifizierung, Kennzeichnung und Dokumentation. Wenn Budgets knapp sind, drohen Verzögerungen bei der Umsetzung mit hohen rechtlichen und operativen Risiken. Ein kostenloser Umsetzungsleitfaden erklärt leicht verständlich, welche Pflichten wirklich gelten, welche Übergangsfristen zu beachten sind und wie Sie Ihr KI‑Projekt schnell rechtssicher aufstellen. KI‑Verordnung: Umsetzungsleitfaden jetzt herunterladen
Ganz anders die Ausgangslage südlich der Grenze. Nach dem knappen, aber entscheidenden Ja zur staatlichen E-ID beim Referendum am 28. September 2025 – mit 50,4 Prozent Zustimmung – schreitet die Umsetzung zügig voran. Am 18. November veröffentlichte der Bundesrat die Ergebnisse der Verordnungskonsultation zum elektronischen Identitätsnachweis.
Das Bundesamt für Justiz feilt nun an den regulatorischen Feinheiten für die „Swiyu”-Wallet, die 2026 an den Start gehen soll. Die Rückmeldungen aus der Konsultation betonen klar: „Privacy by Design” und strikte Datenminimierung müssen Standard sein. Kein Wunder – 2021 war eine privatwirtschaftlich organisierte E-ID-Lösung am Datenschutzwiderstand der Bürger gescheitert.
Diesmal setzt die Schweiz auf dezentrale Strukturen: Die Bürger behalten die Kontrolle über ihre Daten, die Bundesverwaltung fungiert als Herausgeber der Vertrauensinfrastruktur. Erste Pilotprojekte für spezifische Anwendungsfälle dürften bereits im frühen Frühjahr 2026 starten.
Österreich: Erfolg mit Skepsis
Zwischen Euphorie und Ernüchterung bewegt sich die Lage in Österreich. Die im Juni 2025 mit neuen Funktionen relauncht „ID Austria” verzeichnet beeindruckende Nutzerzahlen: 4,1 Millionen Menschen – fast die Hälfte der Bevölkerung – haben sich registriert. Die „ID Austria Servicetour”, die bis Ende 2025 verlängert wurde, brachte allein über 100.000 Neuanmeldungen durch persönliche Aktivierung bei kommunalen Events.
Doch wie sieht es hinter den Kulissen aus? Eine Studie des Softwareentwicklers d.velop, durchgeführt von YouGov und am 18. November veröffentlicht, offenbart eine bemerkenswerte Diskrepanz. 75 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst halten eine vollständig digitale Verwaltung bis 2030 für unrealistisch. Die Befragung von über 500 Mitarbeitenden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene im Juli 2025 zeigt: Die operative Basis ist skeptisch.
Als Haupthindernisse nennen die Befragten fehlende einheitliche Standards und fragmentierte Softwarelandschaften. Während die Politik optimistische Zeitpläne verkündet, zweifelt die Belegschaft an der Machbarkeit unter den aktuellen Bedingungen.
Drei Wege, drei Geschwindigkeiten
Die Entwicklungen Ende November machen deutlich: Die DACH-Region driftet digital auseinander.
Deutschland steckt in strukturellen und haushaltspolitischen Debatten fest. Der „Digitalcheck” und die OZG-2.0-Reformen kommen gegen fiskalische Zwänge und föderale Komplexität kaum voran. Marktbeobachter befürchten, dass die zögerliche Budgetpolitik Deutschland bei der Ausrichtung an den EU-Timelines für die Digital Identity Wallet (EUDI) zurückwerfen könnte.
Österreich hat den Sprung von der „Handy-Signatur” zur ID Austria gemeistert und eine kritische Masse erreicht. Die Herausforderung verlagert sich jetzt von der Adoption zur Tiefe: Können die 4,1 Millionen Nutzer auch komplexe Verwaltungsvorgänge abwickeln – oder bleibt es beim simplen Dokumentenabruf?
Die Schweiz hat ihre größte politische Hürde mit dem September-Referendum genommen. Jetzt zählt nur noch die Umsetzung. Mit der staatlichen Vertrauensinfrastruktur orientiert sich die Schweiz am „Sovereign Wallet”-Modell, das EU-Regulierer bevorzugen – trotz Nicht-EU-Status. Technisch ist die Schweiz damit gut aufgestellt für grenzüberschreitende Interoperabilität ab 2026.
Ausblick: Entscheidungen bis Frühjahr 2026
Im ersten Quartal 2026 werden die Weichen endgültig gestellt. In Deutschland steht das BMDS unter Druck, entweder das Budget nachzubessern oder alternative Finanzierungswege für KI- und GovTech-Innovation zu finden – bevor das Haushaltsjahr beginnt.
Die Schweiz will bis Ende des ersten Quartals die technischen Spezifikationen für „Swiyu” finalisieren, öffentliche Beta-Tests könnten direkt folgen. In Österreich stehen weitere Integrationen für ID Austria an – möglicherweise digitale Fahrzeugummeldungen und tiefere Verzahnung mit der Privatwirtschaft, etwa im Banking und Telekommunikationssektor.
Mit Blick auf die „Digital Decade”-Ziele der EU bis 2030 wächst der Druck auf die DACH-Regierungen, endlich von Pilotprojekten zur Vollimplementierung überzugehen. Bleibt Deutschland auf der Bremse, während die Nachbarn aufs Gaspedal treten?
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