Außenhandelspolitik, Waffenexporte

Deutsche Außenhandelspolitik: Waffenexporte freigegeben, Sanktionsverstöße strenger verfolgt

21.11.2025 - 01:12:12

Deutschland vollzieht eine außenpolitische Kehrtwende: Ab Montag dürfen wieder Rüstungsgüter nach Israel geliefert werden. Zeitgleich tritt die schärfste Verschärfung der Exportkontrollen seit Jahren in Kraft – mit drastischen Folgen für Unternehmen. Eine Woche der Extreme in der deutschen Handelspolitik.

Diese Doppelentwicklung zeigt das Spannungsfeld, in dem sich Berlins Exportstrategie bewegt: geopolitische Bündnistreue auf der einen, rigorose Compliance-Anforderungen auf der anderen Seite. Für deutsche Exporteure bedeutet das eine Gratwanderung zwischen neuen Chancen und verschärften Risiken.

Die Bundesregierung hebt das teilweise Waffenembargo gegen Israel zum 24. November auf. Regierungssprecher Sebastian Hille verkündete die Entscheidung am 17. November – und begründete sie mit der seit 10. Oktober geltenden Waffenruhe im Gazastreifen. „Wir haben stets betont, dass wir diese Praxis anhand der Entwicklungen vor Ort überprüfen werden”, erklärte Hille. „Die Lage hat sich grundlegend stabilisiert.”

Das im August während der Gaza-Offensive verhängte Embargo hatte deutsche Rüstungsunternehmen hart getroffen. Nun kehrt man zur „Einzelfallprüfung” zurück – jeder Antrag wird auf Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht geprüft. Die Branche zeigt sich erleichtert, doch Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Timing. Wie belastbar ist eine erst sechs Wochen alte Waffenruhe?

22. AWV-Novelle: Das Ende der Nachsichtigkeit

Während sich eine Tür öffnet, schließt sich eine andere – mit lautem Knall. Die 22. Novelle der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) trat am 10. November in Kraft und verschärft die Regeln drastisch. Auf einem hochkarätig besetzten Compliance-Panel der ACAMS Germany Chapter am 19. November wurde deutlich: Die Branche steht vor einem Paradigmenwechsel.

Die wichtigsten Neuerungen im Überblick:

  • Erweiterte Haftung: Fahrlässigkeit bei der Lieferkettenkontrolle wird sanktioniert – besonders bei „gemeinsamen hochwertigen Gütern”, die oft nach Russland umgeleitet werden.
  • Verschärfte Meldepflichten: Strengere Dokumentation bei „Catch-all”-Gütern mit potenziellem militärischen Verwendungszweck, auch wenn sie nicht explizit auf Dual-Use-Listen stehen.
  • Umgehungsverbot mit Biss: Die Novelle harmonisiert deutsches Recht mit EU-Vorgaben. Deutsche Mutterkonzerne haften jetzt direkt, wenn ihre Auslandstöchter Sanktionen aushebeln.

„Die Ära der ‚plausiblen Abstreitbarkeit’ bei Endabnehmern in Zentralasien oder dem Kaukasus ist vorbei”, warnte ein Compliance-Experte auf dem Panel. „Das BAFA hat jetzt die gesetzlichen Instrumente, um administrative Versäumnisse als schwere Verstöße zu ahnden.” Eine Schonfrist? Fehlanzeige.

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China-USA: Deutsche Industrie im Spiegelkabinett

Als wäre die innenpolitische Gemengelage nicht komplex genug, verschärft sich parallel der Handelskrieg zwischen Washington und Peking – mit deutschen Unternehmen als Kollateralschaden. Diese Woche wurde das Ausmaß sichtbar.

Nach der Ausweitung der „Affiliate Rule” durch das US-Bureau of Industry and Security Ende September konterte China im Oktober mit umfassenden Kontrollen bei Seltenen Erden. Mitte November zeigen sich die Folgen: Neue Lizenzpflichten des chinesischen Handelsministeriums führen zu Engpässen bei Rohstoffen, die für Elektrofahrzeuge und Windkraftanlagen unverzichtbar sind.

Analysten sprechen von einem „Spiegelkabinett-Effekt”: US- und chinesische Kontrollen verstärken sich gegenseitig, europäische Exporteure stecken in der Mitte fest. Für Deutschland, dessen Wirtschaftsmodell stark auf Automotive- und Industrieexporten nach China basiert, ist das Risiko existenziell. Peking nutzt Lieferketten als Waffe – ausgerechnet während Berlin eine „De-Risking”-Strategie fährt.

Industrie unter Druck: Vom Handelserleichterer zum Handelspolizisten

Die Gleichzeitigkeit dieser Entwicklungen – Israel-Embargo aufgehoben, AWV-Regeln verschärft, Rohstoffknappheit verschärft – versetzt besonders den Mittelstand in Alarmbereitschaft.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hatte bereits vor „bürokratischer Lähmung” gewarnt. Mit den neuen AWV-Vorschriften steigt der Verwaltungsaufwand zur Endverbleibskontrolle massiv. „Wir erleben einen Wandel vom Handelserleichterer zum Handelspolizisten”, kommentierte ein Branchenanalyst am Donnerstag. „Unternehmen müssen jetzt Geheimdienste spielen und die Kunden ihrer Kunden durchleuchten, um unbeabsichtigte Sanktionsverstöße zu vermeiden.”

Für die Rüstungsindustrie hingegen bringt die Israel-Entscheidung Planungssicherheit. Seit August schwebten Auftragsbücher in der Luft – Berlins Signal ist klar: Strategische Partner werden unterstützt, trotz innenpolitischen Gegenwinds.

Ausblick: 2026 wird zum Stresstest

Zum 24. November erwarten Beobachter eine sofortige Bewegung bei den blockierten Israel-Lizenzen. Der Rückstau dürfte sich rasch auflösen. Doch der eigentliche Fokus liegt auf der Durchsetzung der AWV-Novelle.

Rechtsexperten rechnen Anfang 2026 mit den ersten Ermittlungswellen: Im Visier stehen Firmen mit auffälligen Exportmustern in „Umschlagplätze” wie Kirgisistan oder die Türkei. Mit dem vollständig in nationales Recht überführten „15. EU-Sanktionspaket” aus 2024 ist die Toleranz für Compliance-Fehler auf einem historischen Tiefpunkt.

Die Botschaft aus Berlin an deutsche Exporteure könnte deutlicher nicht sein: Handel bleibt möglich – aber nur zum Preis absoluter Transparenz. Wer die neuen Spielregeln missachtet, riskiert nicht nur Bußgelder, sondern strafrechtliche Konsequenzen.

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