Chat Control: EU steht vor wegweisender Abstimmung über Verschlüsselung
14.09.2025 - 14:06:02Die EU entscheidet über umstrittene Nachrichtenscan-Pflicht, die Verschlüsselung umgehen soll. Deutschland könnte bei der Abstimmung am 14. Oktober den Ausschlag geben.
Die Europäische Union steht vor einer Entscheidung, die das digitale Leben von 450 Millionen Bürgern grundlegend verändern könnte. Am 14. Oktober soll über die umstrittene „Chat Control“-Verordnung abgestimmt werden – ein Gesetz, das WhatsApp, Signal und Telegram zwingen würde, private Nachrichten vor der Verschlüsselung zu scannen.
Die dänische Ratspräsidentschaft drängt auf eine schnelle Entscheidung. Offiziell heißt das Vorhaben „Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“. Dahinter verbirgt sich jedoch ein System, das Ende-zu-Ende-Verschlüsselung faktisch aushebeln könnte.
Deutschland als Zünglein an der Waage
Bislang unterstützen 15 EU-Staaten den dänischen Vorschlag, während sich ein Bündnis aus Belgien, Polen und Luxemburg dagegenstellt. Deutschland bleibt unentschlossen – und könnte den Ausschlag geben. Für eine Annahme braucht der Vorschlag eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung.
Die Fronten sind verhärtet: Frankreich, Italien und Spanien argumentieren, das Gesetz würde eine Lücke schließen, die Kriminelle zur Verbreitung illegaler Inhalte nutzen. Ihre Gegner warnen vor Massenüberwachung und dem Ende sicherer Kommunikation.
Technische Unmöglichkeit oder notwendiger Schutz?
Der Streitpunkt: Client-Side-Scanning. Dabei würden Inhalte noch auf dem Gerät des Nutzers analysiert, bevor sie verschlüsselt werden. Die dänische Kompromisslösung sieht vor, dass Nutzer dem Monitoring zustimmen müssten – wer ablehnt, könnte nur noch reine Textnachrichten versenden.
Über 600 weltweit führende Kryptografie-Experten bezeichneten das Vorhaben am 9. September als „technisch nicht umsetzbar“. Ein derartiges System würde die Sicherheit vollständig untergraben, warnen sie. Matthias Pfau von Tuta, einem verschlüsselten E-Mail-Dienst, bringt es auf den Punkt: „Undurchsichtige KI-Algorithmen würden entscheiden, ob private Nachrichten und Bilder weitergeleitet oder gemeldet werden.“
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Tech-Industrie mobilisiert den Widerstand
WhatsApp warnt eindringlich: Die Pläne würden „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung brechen und die Privatsphäre aller gefährden“. Anbieter wie Tuta und Proton haben bereits angekündigt, rechtliche Schritte einzuleiten, sollte das Gesetz verabschiedet werden.
Bürgerrechtsorganisationen befürchten einen Dammbruch: Ein System zum Aufspüren von Kindesmissbrauchsmaterial könnte später für andere Inhalte genutzt werden. Die Gefahr falscher Positive bei automatisierten Scans würde Unschuldige unter Verdacht stellen und Behörden überlasten.
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Europas Ruf als Datenschutz-Vorreiter steht auf dem Spiel
Die EU hatte sich mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) als globaler Vorreiter positioniert. Chat Control stellt diesen Status infrage. Sollte das Gesetz durchkommen, könnte es autoritären Regimen als Blaupause für eigene Überwachungsmaßnahmen dienen.
Die Internet Watch Foundation unterstützt das Vorhaben: 62 Prozent der 2024 identifizierten Kindesmissbrauchsinhalte seien auf EU-Servern gehostet worden. Die derzeitige Rechtsgrundlage für freiwilliges Scanning läuft 2026 aus – ohne neue Regelung entstehe eine gefährliche Schutzlücke.
Entscheidung mit globalen Folgen
Nach einer möglichen Zustimmung des Rates würden Verhandlungen mit EU-Parlament und Kommission folgen. Doch selbst bei einer Annahme sind rechtliche Anfechtungen vor dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich.
Der Kampf um Chat Control zeigt einen grundlegenden Zielkonflikt auf: Kinderschutz gegen digitale Privatsphäre. Während Strafverfolger argumentieren, Verschlüsselung schaffe rechtsfreie Räume, warnen Sicherheitsexperte vor den Folgen geschwächter Verschlüsselung für die gesamte Gesellschaft.
Die Zeit drängt. In wenigen Wochen könnte eine Entscheidung fallen, die weit über Europas Grenzen hinaus Signalwirkung entfaltet.