Bundesarbeitsgericht stärkt Rechte befristeter Beschäftigter
14.11.2025 - 22:39:12Ein wegweisendes Urteil aus Erfurt: Benachteiligte Arbeitnehmer können sich direkt auf Gleichbehandlung berufen – ohne auf eine Nachbesserung durch die Tarifparteien warten zu müssen. Das Bundesarbeitsgericht macht damit Ernst mit dem Diskriminierungsschutz von befristet Beschäftigten.
Die Entscheidung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts vom Donnerstag markiert einen Paradigmenwechsel in der Rechtspraxis. Wenn ein Tarifvertrag gegen EU-Recht verstößt, erhalten betroffene Arbeitnehmer einen unmittelbaren Anspruch auf die günstigeren Konditionen ihrer festangestellten Kollegen. Die sogenannte „Anpassung nach oben” erfolgt damit ohne Umwege – ein deutliches Signal an Arbeitgeber und Gewerkschaften.
Ein Paketzusteller hatte bei einem bundesweiten Logistikunternehmen zunächst ab Juni 2019 einen befristeten Vertrag. Nach seiner Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis im Juni 2020 erlebte er eine böse Überraschung: Der geltende Tarifvertrag sah vor, dass alle „neu begründeten” Arbeitsverhältnisse nach dem 30. Juni 2019 längere Stufenlaufzeiten durchlaufen müssen – also deutlich später Gehaltssteigerungen erhalten.
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Der Arbeitgeber behandelte den Kläger bei der Übernahme faktisch als Neueinstellung. Die Folge: Er landete auf der langsameren Gehaltsskala, während Kollegen mit durchgängig unbefristeten Verträgen schneller aufstiegen. Ungleichbehandlung aufgrund des früheren Befristungsstatus – genau das wollte der Gesetzgeber eigentlich verhindern.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gab dem Arbeitnehmer zunächst recht. Der Arbeitgeber zog daraufhin vor die höchste Instanz.
Klare Kante aus Erfurt
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Vorinstanz ohne Wenn und Aber. Die Regelung im Tarifvertrag verstoße gegen § 4 Absatz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG), so die Richter unter dem Aktenzeichen 6 AZR 131/25. Entscheidend war dabei die europarechtliche Dimension.
Die Erfurter Richter zogen eine klare Trennlinie: Während bei Verstößen gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus dem Grundgesetz (Artikel 3 Absatz 1) den Tarifpartnern durchaus eine Nachbesserungsfrist eingeräumt werden kann, gilt dies nicht für EU-gestütztes Antidiskriminierungsrecht. Dieses entfalte eine wichtige „Abschreckungsfunktion” – und die wirkt nur bei sofortiger Abhilfe.
Das Gericht machte damit kurzen Prozess: Die diskriminierende Regelung wurde für unwirksam erklärt (§ 134 BGB), ohne dass Gewerkschaft und Arbeitgeber erst einmal Zeit zur Korrektur erhielten. Der Kläger hat einen direkten, sofort durchsetzbaren Anspruch auf die günstigeren Stufenlaufzeiten.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Die Auswirkungen dürften erheblich sein. Personalabteilungen müssen nun dringend ihre Tarifverträge und betrieblichen Regelungen auf diskriminierende Klauseln durchforsten. Die Argumentation, ein übernommener Befristeter sei für Gehaltszwecke ein „Neuling”, ist damit vom Tisch.
Das Risiko direkter Klageverfahren und entsprechender Nachzahlungen steigt deutlich. Arbeitnehmer müssen nicht mehr monatelange Tarifverhandlungen abwarten, sondern können ihre Rechte unmittelbar geltend machen. Die Beweislast liegt jetzt faktisch bei Arbeitgebern und Tarifparteien: Sie müssen von vornherein für rechtskonforme Vereinbarungen sorgen.
Besonders brisant: Unternehmen mit ähnlichen Tarifklauseln könnten nun eine Welle von Klagen befristeter und ehemals befristeter Beschäftigter erleben. Die Gewerkschaft ver.di, die den Kläger unterstützt hatte, forderte den betroffenen Arbeitgeber bereits auf, alle benachteiligten Mitarbeiter sofort besser einzustufen und Nachzahlungen zu leisten.
EU-Recht hebelt Tarifautonomie aus
Das Urteil reiht sich ein in eine Serie von Entscheidungen, bei denen europäisches Recht deutsche Arbeitspraxis korrigiert. Die explizite Betonung der „Abschreckungsfunktion” durch das Gericht zeigt: Bei fundamentalen EU-geschützten Rechten hört die traditionell starke deutsche Tarifautonomie auf.
Wie weit reicht die Verhandlungsfreiheit von Gewerkschaften und Arbeitgebern wirklich? Rechtsexperten sehen in dem Urteil eine klare Antwort: Die Freiheit endet dort, wo illegale Diskriminierung beginnt. Der Schutz vulnerabler Beschäftigtengruppen – wie Zeitarbeiter und befristet Angestellte – wiegt schwerer als die Autonomie der Tarifparteien.
Für die Zukunft bedeutet das: Jede unterschiedliche Behandlung zwischen befristeten und unbefristeten Mitarbeitern braucht eine wasserdichte, objektive Begründung. Die Hürden dafür hat das Bundesarbeitsgericht mit dieser Entscheidung deutlich höher gelegt.
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