Bürokratieabbau, Haftung

Bürokratieabbau trifft auf verschärfte Haftung

28.11.2025 - 20:29:13

Deutschland Ende November 2025: Während die Bundesregierung die Pflicht zur Bestellung von Sicherheitsbeauftragten massiv einschränken will, verschärfen Gerichte die Haftungsregeln – ein gefährlicher Widerspruch für Unternehmen.

Das Bürokratieentlastungsgesetz IV sorgt derzeit für heftige Debatten. Der Kernpunkt: Die Schwelle für die Bestellung von Sicherheitsbeauftragten soll von derzeit 20 auf 50 Mitarbeiter angehoben werden. Laut Regierungsschätzung würden damit rund 123.000 Positionen bundesweit wegfallen.

Doch der Widerstand formiert sich. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und Gewerkschaften warnen eindringlich: Sicherheitsbeauftragte seien die „Augen und Ohren” der Prävention direkt am Arbeitsplatz. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen, wo statistisch mehr Unfälle passieren als in Großkonzernen, könnte der Wegfall fatale Folgen haben.

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Der Trugschluss: Auch wenn die administrative Pflicht entfällt – die rechtliche Verantwortung für sichere Arbeitsbedingungen bleibt vollständig beim Arbeitgeber. Ohne die Unterstützung eines Sicherheitsbeauftragten könnten sich gerade mittelständische Unternehmer nach einem Unfall plötzlich deutlich angreifbarer finden.

Gerichte ziehen die Zügel an

Während die Politik über Erleichterungen diskutiert, verschärfen deutsche Gerichte die Haftungsregeln. Zwei aktuelle Urteile aus dem November zeigen die Richtung.

Skiausflug als „Netzwerktreffen”? Nicht versichert

Das Sozialgericht Hannover entschied Mitte November (Az. S 22 U 203/23): Ein Geschäftsführer, der sich bei einer viertägigen Skitour in Österreich das Bein brach, hat keinen Anspruch auf gesetzliche Unfallversicherung – auch wenn die Reise offiziell als „Business-Networking-Event” deklariert war.

Die Richter stellten klar: Der Freizeitcharakter des Skifahrens überwiege deutlich. Wer Visitenkarten im Rucksack trägt, macht aus einem Hochrisiko-Freizeitvergnügen noch lange keinen versicherten Arbeitsunfall.

Was bedeutet das für die Praxis? Unternehmen, die Winterklausuren oder „Workations” planen, müssen berufliche und private Programmteile strikt trennen. Der rechtliche Schutzschirm ist deutlich enger gespannt als viele denken.

Derbe Kritik an Schichtplanung? Kein Kündigungsgrund

Auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf mischte sich am 18. November ein (Az. 3 SLa 699/24): Ein Mitarbeiter, der das Schichtmanagement in vulgären Worten kritisierte, durfte nicht fristlos gekündigt werden.

Zwar war die Wortwahl rau, doch die Richter sahen darin keine persönliche Beleidigung, die eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen würde. Die Botschaft für Arbeitgeber: Mitarbeiter, die sich – wenn auch unprofessionell – über Arbeitsprozesse beschweren, genießen erheblichen Schutz. Statt mit Kündigungen zu reagieren, müssen Unternehmen die organisatorischen Probleme angehen.

Gewalt am Arbeitsplatz: Neue Standards

Die DGUV hat am 27. November ein neues Präventionskonzept zum Schutz vor Gewalt am Arbeitsplatz veröffentlicht. Hintergrund: zunehmende Aggression gegen Beschäftigte im Einzelhandel, Gesundheitswesen und öffentlichen Nahverkehr.

Das Konzept geht über physische Sicherheitsmaßnahmen hinaus. Künftig müssen „psychische Sicherheit” und Deeskalationstrainings fester Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung werden. Für Unternehmen heißt das: neue Pflichten statt weniger Bürokratie.

Wintergefahr: Wegeunfälle im Fokus

Pünktlich zum ersten Frost warnte die DGUV am 25. November vor Wegeunfällen durch Eis und Schnee. Die Klarstellung: Während Arbeitgeber für geräumte Wege auf dem Firmengelände verantwortlich sind, greift der gesetzliche Versicherungsschutz auch auf dem direkten Arbeitsweg.

Aber Vorsicht: Wer Umwege für private Erledigungen macht – etwa einen Abstecher zum Supermarkt – verliert sofort den Versicherungsschutz. Eine wichtige Erinnerung für alle, die sich auf glatten Winterwegen zur Arbeit begeben.

Die Deregulierungsfalle

Die Ereignisse Ende November 2025 zeichnen ein widersprüchliches Bild. Einerseits klingt „weniger Bürokratie” verlockend. Tausende Kleinunternehmer könnten formal von einer Pflicht befreit werden.

Andererseits bewegt sich die juristische Realität in die Gegenrichtung. Das Hannover-Urteil zeigt: Gerichte sezieren „arbeitsbezogene” Ansprüche mit forensischer Präzision. Die neuen DGUV-Standards zur Gewaltprävention fügen der Gefährdungsbeurteilung zusätzliche Ebenen hinzu – nicht weniger.

Die Gefahr liegt auf der Hand: Unternehmen, die den Bürokratieabbau als Signal verstehen, ihre Sicherheitsanstrengungen zurückzufahren, tappen in eine Haftungsfalle. Passiert nach der Abschaffung des Sicherheitsbeauftragten ein Unfall, könnte ein Staatsanwalt oder Zivilgericht diese Entscheidung als organisatorisches Verschulden werten – unabhängig davon, was das Verwaltungsrecht erlaubt.

Was jetzt zu tun ist

Das Gesetz soll in den kommenden Wochen durch den Bundestag gehen. Ob die „50-Mitarbeiter-Schwelle” angesichts des massiven Widerstands die Ausschussberatungen übersteht, bleibt abzuwarten.

Handlungsbedarf besteht sofort: Mit den neuen DGUV-Vorgaben sollten Unternehmen ihre Gefährdungsbeurteilungen noch vor Jahresende aktualisieren und explizit „externe Gewalt” und „Aggression” aufnehmen.

Und für den Winter? Personalabteilungen sollten die Hinweise zu Wegeunfällen umgehend an die Belegschaft weitergeben – bevor die ersten Beschäftigten auf vereisten Wegen ausrutschen.

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