Brüssel, Digital-Turbo

Brüssel entfesselt den Digital-Turbo für Europas Wirtschaft

21.11.2025 - 16:49:12

Die EU-Kommission krempelt die digitale Verwaltung um: Ein virtueller Business-Pass soll Unternehmen jährlich über 150 Milliarden Euro an Bürokratiekosten sparen. Gleichzeitig verschiebt Brüssel strengere KI-Regeln um anderthalb Jahre – und verspricht ein Ende der Cookie-Banner-Flut.

Mit ihrem am Mittwoch vorgestellten „Digital Omnibus”-Paket läutet die Europäische Kommission eine neue Ära ein. Kernstück: Die European Business Wallet, ein digitaler Unternehmensausweis, der grenzüberschreitende Geschäfte so einfach machen soll wie Online-Banking. Dazu kommen spürbare Erleichterungen beim AI Act und der Datenschutz-Grundverordnung. Das Ziel? Europa fit machen für den Wettbewerb mit den USA und China – ohne die Unternehmen in Formularen ersticken zu lassen.

„Europas Betriebe sollen weniger Zeit mit Verwaltungskram verschwenden und mehr Zeit zum Innovieren haben”, erklärte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis bei der Pressekonferenz in Brüssel. Die Message ist klar: Nach Jahren der Regulierungswut schlägt das Pendel nun Richtung Vereinfachung aus.

Die European Business Wallet soll für Firmen leisten, was der EU-Identitätsausweis bereits für Bürger verspricht: Eine sichere Plattform zur Authentifizierung, zum digitalen Signieren von Dokumenten und zur Verwaltung von Lizenzen – gültig in allen 27 Mitgliedstaaten. Schluss mit beglaubigten Papierkopien und wochenlangem Warten.

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Bislang gleicht grenzüberschreitendes Geschäft in der EU einem Hürdenlauf. Ein in München registriertes Unternehmen braucht oft Wochen, um in Frankreich ein Bankkonto zu eröffnen oder an einer öffentlichen Ausschreibung teilzunehmen. Der Grund: Jedes Land kocht sein eigenes Süppchen bei der Unternehmensverifizierung. Die digitale Brieftasche soll diese Prozesse auf wenige Klicks reduzieren.

Die Kommission rechnet damit, dass allein dieses Tool jährlich 150 Milliarden Euro an Effizienzgewinnen freisetzt. Keine physische Präsenz mehr nötig, keine doppelte Dateneingabe, keine Wartezeiten. Der Binnenmarkt würde erstmals digital Realität werden.

KI-Regeln auf Eis, Cookie-Banner ade

Doch die Brüsseler Reformer gehen noch weiter. Nach massivem Druck aus der Industrie verschiebt die Kommission die schärfsten Vorgaben des EU-KI-Gesetzes um 16 Monate. Statt im August 2026 müssen Hochrisiko-KI-Systeme – etwa in kritischer Infrastruktur oder im Personalwesen – erst im Dezember 2027 die strengen Auflagen erfüllen.

„Unsere Regeln sollen Mehrwert schaffen, keine Last sein”, betonte Henna Virkkunen, Vizepräsidentin für technologische Souveränität. Die Verzögerung schwäche die Standards nicht, sondern mache sie für mittelständische Unternehmen „umsetzbar und praxistauglich”. Dahinter steckt die Einsicht, dass selbst die besten Regeln nichts bringen, wenn niemand sie erfüllen kann.

Parallel nimmt sich die Kommission ein Ärgernis vor, das Millionen Internetnutzer täglich nervt: die endlosen Cookie-Banner. Geplante Änderungen an der DSGVO sollen ein „One-Click”-System ermöglichen. Nutzer könnten ihre Datenschutz-Präferenzen einmalig im Browser oder Gerät festlegen – und müssten nie wieder auf jeder Website auf „Akzeptieren” klicken. Eine Lösung, die gleichzeitig die User Experience verbessert und Website-Betreibern Compliance-Aufwand abnimmt.

Merz und Macron geben Gas

Kein Zufall, dass das Paket genau jetzt kommt. Erst am Dienstag hatten Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim „Digital Sovereignty Summit” in Berlin ihre volle Unterstützung signalisiert.

Merz forderte eine „radikale Vereinfachung unserer Regulierungspraxis” und versprach, Deutschland werde dafür sorgen, dass die Verwaltungslasten bis 2029 um mindestens 25 Prozent sinken. „Digitale Souveränität hat ihren Preis, aber digitale Abhängigkeit kostet noch mehr”, argumentierte der Kanzler. Macron pflichtete bei: Europa habe zu viel Zeit damit verbracht, die eigenen Unternehmen zu gängeln, statt Innovation zu fördern.

Die deutsch-französische Rückendeckung gilt als entscheidend. Mit den beiden größten EU-Volkswirtschaften im Boot dürfte das Digital-Omnibus-Paket zügig durch Parlament und Rat kommen. Beobachter rechnen damit, dass die Business Wallet bereits Ende 2026 in Kraft treten könnte.

Großbritannien zieht nach – mit Gegenwind

Auch jenseits des Kanals nimmt die Digitalisierung Fahrt auf. Am Donnerstag präsentierte die britische Regierung weitere Details zu ihrem „Plan for Change”, der eine GOV.UK Wallet and App vorsieht. Ähnlich wie in der EU sollen Bürger damit Führerscheine und andere Nachweise digital verwalten können.

London verspricht sich davon Einsparungen von umgerechnet 53 Milliarden Euro im öffentlichen Sektor. Doch anders als in Brüssel schlägt den Plänen heftige Kritik entgegen. Gewerkschaften und Datenschützer warnen vor einem „Big Brother”-System. Die Workers of England Union befürchtet „aufdringliche Überwachung” von Arbeitnehmern und den Ausschluss von Menschen ohne digitale Kompetenzen.

Ein entscheidender Unterschied: Während die EU-Business-Wallet auf Unternehmen zielt, dreht sich die britische Debatte um individuelle Bürgerrechte. Die von Medien als „Brit Card” verspottete digitale ID stößt auf deutlich mehr Widerstand als ihr kontinentales Pendant.

Zeitenwende oder Mogelpackung?

Ob das Digital-Omnibus-Paket hält, was es verspricht, entscheidet sich in der Umsetzung. Die Verschiebung des AI Act verschafft Entwicklern Luft zum Atmen – aber nur, wenn die Zeit genutzt wird, um praxistaugliche Standards zu entwickeln. Die Business Wallet könnte den Binnenmarkt revolutionieren – oder als weitere digitale Baustelle enden, wenn die technische Infrastruktur nicht mitspielt.

Immerhin: Die Richtung stimmt. Nach Jahren, in denen Brüssel vor allem durch neue Verbote und Auflagen auffiel, schwenkt die Kommission auf einen pragmatischeren Kurs ein. Die versprochene Vereinheitlichung der Cybersecurity-Meldepflichten – ein weiterer Baustein des Pakets – würde bedeuten, dass Unternehmen denselben Vorfall nicht mehr an drei verschiedene Behörden melden müssen.

„Wir haben in der EU alle Zutaten für Erfolg”, resümierte Virkkunen am Mittwoch. „Aber unsere Unternehmen werden oft von starren Regeln ausgebremst. Heute beginnen wir, diese Schichten abzutragen.”

Bleibt die Frage: Wird Europa seine digitale Souveränität durch Vereinfachung zurückerobern? Oder verliert es im Wettlauf mit Silicon Valley und Shenzhen weiter an Boden? Die Antwort darauf dürfte sich in den kommenden Jahren zeigen – wenn die Business Wallet ihren ersten Praxistest besteht.

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