Börse Frankfurt-News: Mein ETF hat den Einstiegskurs erreicht - jetzt verkaufen?
21.10.2024 - 13:53:50Börse Frankfurt-News: Mein ETF hat den Einstiegskurs erreicht - jetzt verkaufen?. Viele stehen immer wieder vor der Frage: Soll ich meinen Fonds oder ETF verkaufen, jetzt, da er nach einer langen Verlustperiode den Einstandspreis erreicht hat? Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, zeigt, welcher klassische Fehler hinter der Frage steht - und wie Anlegende mit ihm umgehen können.21. Oktober 2024.
Viele stehen immer wieder vor der Frage: Soll ich meinen Fonds oder ETF verkaufen, jetzt, da er nach einer langen Verlustperiode den Einstandspreis erreicht hat? Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, zeigt, welcher klassische Fehler hinter der Frage steht - und wie Anlegende mit ihm umgehen können.
21. Oktober 2024. FRANKFURT (envestor). Gerade bei Fonds und ETFs, die in Schwellenländer-Aktien investieren, überlegen viele in diesen Tagen: Soll ich, nachdem mein Fonds oder ETF lange Jahre im Minus war, verkaufen, wenn ich jetzt zumindest meine Verluste wieder ausgeglichen habe? Schwellenländer-Fonds sind im Gegensatz zu anderen Aktienfonds und -ETFs nach dem Crash ab Herbst 2021 schlecht gelaufen, daher stellt sich gerade bei diesen Fonds die Frage aktuell in akuter Weise, aber die Situation ist auf viele andere Marktsituationen übertragbar: Anlegende hadern mit Crash-Verlusten und steigen aus, sobald ein Investment wieder den Einstiegskurs erreicht hat.
Ich nehme diese Frage zum Anlass, einen klassischen Anlegerfehler vorzustellen: den Anchoring-Effekt. Er steht hinter dieser klassischen Konstellation, und seine Folgen sind oft ziemlich miese Anlegerrenditen.
Der sogenannte Ankereffekt begegnet uns täglich in Gestalt scheinbar logischer Faustregeln. Oft führt er zu harmlosen Fehleinschätzungen. Ein Beispiel: Bittet man einen Berliner, die Einwohnerzahl Frankfurts zu schätzen, wird er wahrscheinlich die Einwohnerzahl Berlins als Ausgangspunkt nehmen und nach unten korrigieren. Aber vermutlich nicht stark genug. Umgekehrt wird ein Neumünsteraner die Aufgabe so lösen, dass er die Einwohnerzahl Neumünsters als Anker nimmt und nach oben korrigiert. Aber vermutlich nicht hoch genug.
So weit, so harmlos. Aber was ist, wenn jemand vor zehn Jahren 15.000 Euro in einen Fonds gesteckt, böse Verluste erlitten hat und dem Erreichen des Einstiegspreises entgegenfiebert? Er wird erleichtert verkaufen, wenn sein Depotstand wieder die 15.000-Euro-Marke erreicht hat. Möglicherweise werden Anlegende bei dieser Marke - das kommt seltener vor - den Einsatz verdoppeln, "weil es ja wieder bergauf geht". Wer so handelt, hat aller Voraussicht nach Rendite vernichtet. Warum?
Es ergibt absolut keinen Sinn, Anlageentscheidungen an Einstiegskursen festzumachen. Denn diese Marken sind willkürlich gesetzt und damit für den eigentlichen Anlageerfolg vollkommen wumpe. Der Ankereffekt führt zu Investment-Entscheidungen, denen keinerlei objektive Kriterien zugrunde liegen, weder fundamentale noch markttechnische. Dem Ankereffekt liegen meistens Spontan-Investments zugrunde. Wer ohne zu reflektieren in einen überhitzten Markt eingestiegen ist und von einem Crash erwischt wird, findet keine guten Argumente um zu verkaufen oder nachzukaufen - und klammert sich am Einstiegskurs fest.
Der Ankereffekt führt dazu, dass Anleger zu lange an gescheiterten Investments festhalten, oder aber gute Fonds zu früh verkaufen. Beides führt zu niedrigen Anlegerrenditen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Es kann sinnvoll sein, einen Fonds, der schlecht performt, zu verkaufen, wie es auch sinnvoll sein kann, nachzukaufen. Es kommt auf die Motive an. Wenn Investment-Thesen gut begründet sind und es objektiv nachvollziehbare Gründe gibt, kann ein Kauf wie ein Verkauf sinnvoll sein. Der Einstiegskurs, dem eine rein subjektive Entscheidung zugrunde liegt, ist definitiv keine gute Motivation für ein Investment.
Wir sollten bedenken, dass uns unser Gehirn bei Investments oftmals aufs Glatteis führt. Wir sollten uns daher zwingen, künstlich gesetzte Marken zu ignorieren. Wichtig ist, die Qualität eines Investments immer wieder kritisch zu hinterfragen. Wurden die Erwartungen erfüllt? Wenn nein: Lag es am eigenen Research? Hat der Fondsmanager Fehler gemacht? Ist das Anlageuniversum des ETFs falsch gewählt? (Auch ETF-Anbieter legen Modeprodukte auf, die auch mittelfristig Renditekiller sind!) War das Anlageziel unrealistisch? Hat uns der Markt ein Schnippchen geschlagen? Ist unsere Investment-These noch valide?
Anlageentscheidungen sollten auf rationaler Basis getroffen werden. Das garantiert zwar nicht den Erfolg, ist aber allemal aussichtsreicher, als einem irrationalen, weil spontanen Drang nachzugeben.
Von Ali Masarwah, 21. Oktober 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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