Betriebsverfassungsgesetz, Digitaler

Betriebsverfassungsgesetz: Digitaler Arbeitsalltag trifft auf analoge Gesetze

09.12.2025 - 14:40:12

Die Kluft zwischen moderner Arbeitswelt und Arbeitsrecht war noch nie größer. Während Künstliche Intelligenz längst Personalentscheidungen trifft und Home-Office zum Standard geworden ist, kämpfen Betriebsräte mit Regelungen aus einer anderen Zeit. Rechtsexperten erneuern ihre Forderung: Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) braucht dringend ein Update – doch die Bundesregierung zögert weiter.

Dabei liegt seit Juli ein klarer Auftrag vor. Der Bundesrat forderte eine umfassende Reform, die endlich Klarheit bei KI-Mitbestimmung, Plattformarbeit und digitaler Gewerkschaftsarbeit schaffen soll. Passiert ist seitdem: nichts. Die Haufe-Rechtsredaktion spricht heute offen von „Heuchelei” – Arbeitgeber und Gewerkschaften bekunden zwar beide Reformwillen, doch im Bundestag herrscht Stillstand.

Was bedeutet das konkret für Betriebe? Betriebsräte sollen heute über komplexe Algorithmen mitentscheiden, die Bewerber vorselektieren oder Leistung überwachen. Sie sollen Datenschutz bei Remote-Arbeit gewährleisten und hybride Teams vertreten. Nur: Die rechtlichen Instrumente dafür fehlen weitgehend.

Anzeige

Passend zum Thema digitale Mitbestimmung – viele Betriebsräte wissen nicht, welche Rechte ihnen bei KI‑gestützten Personalentscheidungen und digitaler Überwachung zustehen. Das kostenlose E‑Book zum Betriebsverfassungsgesetz erklärt verständlich § 87 BetrVG, zeigt, wie Sie technische Einrichtungen zur Kontrolle bewerten, welche Mitbestimmungsansprüche gelten und welche Schritte Sie praktisch ergreifen können. Mit Praxistipps, Mustervorlagen und einem wöchentlichen Newsletter unterstützt es Betriebsräte in Verhandlungen mit der Geschäftsführung. Kostenloses BetrVG‑E‑Book herunterladen

„Wir erwarten von Betriebsräten, dass sie KI-Systeme verstehen und mitgestalten – aber das Gesetz schweigt sich zu den Einzelheiten aus”, so Arbeitsrechtsexperten. Diese Rechtsunsicherheit kostet Nerven und Geld. Streitfälle landen vor Gericht, weil klare gesetzliche Vorgaben fehlen – Konflikte, die mit einer zeitgemäßen Regelung vermeidbar wären.

Juli-Resolution: Starkes Signal, null Umsetzung

Der 11. Juli 2025 sollte eigentlich der Wendepunkt sein. An diesem Tag beschloss der Bundesrat eine umfassende Resolution mit klaren Reformforderungen. Die Kernpunkte:

Digitaler Gewerkschaftszugang: Gewerkschaften sollen garantierten Zugang zu betrieblichen IT-Systemen erhalten – Intranet, E-Mail, digitale Pinnwände. Das physische Zugangsrecht aus analogen Zeiten soll endlich sein digitales Pendant bekommen.

Erweiterte Arbeitnehmerdefinition: Plattformarbeiter und „arbeitnehmerähnliche Personen” müssen rechtlich als Arbeitnehmer gelten können. Nur so erhalten sie Zugang zur Betriebsratswahl und Mitbestimmungsrechten.

Härtere Strafen bei Behinderung: „Union Busting” – also die Behinderung von Betriebsratswahlen oder -arbeit – soll zum Offizialdelikt werden. Staatsanwaltschaften müssten dann von Amts wegen ermitteln, ohne dass Betroffene Anzeige erstatten müssen.

Fünf Monate später hat die Bundesregierung keinen dieser Punkte umgesetzt. Die Frustration bei Gewerkschaften und Betriebsräten wächst.

KI und Home-Office: Wo das Gesetz schweigt

Zwei Bereiche brennen besonders: Künstliche Intelligenz und digitale Demokratie im Betrieb.

KI-Systeme treffen heute Personalentscheidungen in Echtzeit. Algorithmen screenen Bewerbungen, bewerten Mitarbeiterleistung und schlagen Weiterbildungsmaßnahmen vor. Das aktuelle BetrVG gibt Betriebsräten zwar Mitsprache bei „technischen Einrichtungen zur Verhaltenskontrolle” – doch was genau bedeutet das bei selbstlernenden Systemen? Wo verläuft die Grenze zwischen legitimer Effizienzsteigerung und unzulässiger Überwachung?

Betriebsräte fordern spezifische Rechte: Algorithmen müssen transparent sein, Trainingsdaten offengelegt werden, Diskriminierungsrisiken geprüft werden können. Das Gesetz bleibt vage.

Ähnlich prekär die Situation bei der digitalen Betriebsratsarbeit selbst. Während der Pandemie waren Videokonferenzen und Online-Wahlen notgedrungen erlaubt – heute fehlt eine dauerhafte rechtliche Grundlage. Kann ein Betriebsrat rechtsverbindlich per Videoschalte beschließen? Sind Online-Wahlen zulässig, wenn 80 Prozent der Belegschaft im Home-Office arbeitet?

Diese Unklarheiten schwächen die betriebliche Mitbestimmung genau dort, wo Unternehmen längst digital arbeiten.

Blockade durch widerstreitende Interessen

Warum tut sich nichts? Die Antwort liegt in einem klassischen Interessenkonflikt.

Arbeitgeberverbände signalisieren Reformbereitschaft – aber unter der Bedingung, dass Mitbestimmung gleichzeitig verschlankt wird. Ihre Argumentation: Zu viele Mitbestimmungsrechte bremsen Innovation. Gerade bei KI und wirtschaftlichen Entscheidungen fordern sie schnellere Verfahren statt erweiterter Beteiligung.

Gewerkschaften dagegen wollen genau das Gegenteil: Modernisierung heißt für sie Ausbau der Rechte. Besonders bei Weiterbildung und Personalplanung fordern sie stärkere Initiativrechte für Betriebsräte – schließlich gehe es um die Zukunftsfähigkeit der Beschäftigten in einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt.

Zwischen diesen Polen hängt die Regierung fest. Statt einer großen Lösung gibt es nur Stückwerk: Im Juli 2024 wurde die Betriebsratsvergütung angepasst – ein wichtiger, aber isolierter Schritt, der die systemischen Probleme ignoriert.

Was kommt 2026?

Die Expertenprognose ist eindeutig: Der Druck wird steigen. Je länger die „Modernisierungslücke” klafft, desto mehr werden Arbeitsgerichte einspringen müssen – und Rechtsprechung schafft Unsicherheit statt Planbarkeit.

Beobachter erwarten, dass das Thema Anfang 2026 politisch wieder hochkochen wird. Dann könnte die Regierung gezwungen sein, endlich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Juli-Forderungen des Bundesrates aufgreift. Die Alternative? Ein Flickenteppich aus Gerichtsurteilen, der weder Unternehmen noch Beschäftigten wirklich hilft.

Bis dahin navigieren Betriebe und Betriebsräte weiter durch die digitale Transformation – mit einer Landkarte aus den 1970er-Jahren.

Anzeige

PS: Sie wollen nicht nur klagen, sondern mitgestalten? Der kostenlose Leitfaden zum Betriebsverfassungsgesetz fasst alle relevanten Mitbestimmungsrechte zusammen – von Arbeitszeit und Home‑Office bis zu Überwachung und digitalen Betriebsratsverfahren. Enthalten sind Schritt‑für‑Schritt‑Vorlagen für Betriebsvereinbarungen, Praxisbeispiele zu Online‑Wahlen und Empfehlungen zum Umgang mit Plattformarbeit. Holen Sie sich rechtssichere Argumente und sofort umsetzbare Vorlagen für Verhandlungen mit der Unternehmensleitung. Jetzt BetrVG‑Leitfaden für Betriebsräte sichern

@ boerse-global.de