Betriebsratswahlen, Online-Wahl

Betriebsratswahlen 2026: Online-Wahl bleibt wohl Wunschtraum

09.12.2025 - 22:50:12

Die Uhr tickt – und die deutsche Politik liefert nicht. In weniger als drei Monaten beginnt die reguläre Wahlperiode für Betriebsräte, doch die im Koalitionsvertrag versprochene Rechtsgrundlage für digitale Wahlen lässt weiter auf sich warten. Tausende Unternehmen müssen sich darauf einstellen, erneut für vier Jahre zum Stimmzettel aus Papier zu greifen. Kann das wirklich der Stand moderner Mitbestimmung sein?

Während Ver.di heute mit einer Forderung nach 7 Prozent Lohnplus im Energiesektor den Winter 2025 zum “heißen Winter” erklärt, herrscht bei den Wahlvorständen vor Ort vor allem eines: Unsicherheit. Die große Koalition hat zwar vollmundig angekündigt, die “Option zur Online-Wahl” im Betriebsverfassungsgesetz zu verankern. Doch zwischen politischem Willen und gesetzlicher Realität klafft eine Lücke, die mit jedem Tag größer wird.

Das Problem hat einen sperrigen Namen: Diskontinuitätsprinzip. Als die Ampel-Koalition Ende 2024 zerbrach, verschwand auch der Entwurf für ein Pilotprojekt zur digitalen Betriebsratswahl in der Schublade der Geschichte. Mit dem Ende der Legislaturperiode wurde das Vorhaben gegenstandslos – juristische Routine, politisch aber ein Desaster.

Anzeige

Viele Betriebsräte und Wahlvorstände stehen vor rechtlichen Fallstricken – besonders bei Fragen zu Arbeitszeit, Überwachung und digitalen Zugangsrechten, die das Betriebsverfassungsgesetz regelt. Ein kostenloses E‑Book erklärt übersichtlich § 87 BetrVG, nennt die wichtigsten Mitbestimmungsrechte und gibt Praxistipps für rechtssichere Entscheidungen, damit Anfechtungsrisiken vermieden werden. Ideal für Betriebsräte, Personalverantwortliche und Wahlvorstände, die jetzt Planungssicherheit brauchen. Jetzt E-Book zum BetrVG herunterladen

Nun müsste die Union aus CDU/CSU und SPD das Gesetz komplett neu auflegen. Theoretisch möglich, praktisch aber ein Wettlauf gegen die Zeit. Der Wahlzeitraum beginnt am 1. März 2026 und endet am 31. Mai. Arbeitsrechtler beobachten die Lage mit Sorge: “Ohne gesetzliche Klarheit bleibt nur der klassische Weg – alles andere wäre ein Anfechtungsrisiko, das sich kein Unternehmen leisten kann.”

Bundesrat prescht vor – Berlin zögert

Dass der Druck steigt, zeigt die Initiative der Bundesländer. Bereits am 11. Juli 2025 verabschiedete der Bundesrat eine Resolution zur “Modernisierung der Mitbestimmung 2.0” (Drucksache 239/25). Die Forderungen sind konkret und weitreichend:

Digitale Zugangsrechte für Gewerkschaften – inklusive Nutzung von Firmen-E-Mails und Intranets zur Kommunikation mit der Belegschaft. Bisher scheitern Organisatoren oft schon daran, überhaupt digital mit Beschäftigten in Kontakt zu treten.

KI-Mitbestimmung als neue Säule: Wenn Algorithmen über Schichtpläne, Leistungsbeurteilungen oder Kündigungen mitentscheiden, soll der Betriebsrat ein Wörtchen mitzureden haben. Ein Thema, das durch den rasanten KI-Einsatz in deutschen Konzernen brandaktuell ist.

Plattform-Arbeit ins Gesetz: Auch Solo-Selbstständige und Gig-Worker sollen künftig unter den Schutz der betrieblichen Mitbestimmung fallen – eine Revolution für Lieferdienste, Uber-Fahrer und Co.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte den Vorstoß als überfällig. Passiert ist seither: nichts. Die Bundesregierung hat die Resolution zur Kenntnis genommen – mehr aber auch nicht.

BAG-Urteil verschärft die Lage

Zusätzlichen Druck erzeugte das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit einem Urteil vom 28. Januar 2025 (Az. 1 AZR 33/24). Die Richter wiesen die Klage einer Gewerkschaft ab, die Zugang zu den Firmen-E-Mail-Adressen der Beschäftigten verlangt hatte – für Werbung um neue Mitglieder.

Die Begründung: Ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung besteht keine Pflicht des Arbeitgebers, solche Daten herauszugeben. Damit machte das Gericht klar, dass die Judikative den Ball nicht aufnehmen wird. Die Politik muss liefern – oder die Gewerkschaften bleiben digital ausgesperrt.

Besonders bitter: Genau diese Lücke sollte der neue Koalitionsvertrag schließen. Ein “digitales Zugangsrecht” analog zum bestehenden Betretungsrecht von Betrieben wurde versprochen. Doch auch hier fehlt bislang der Gesetzentwurf.

Ver.di zeigt Muskeln

Die Gewerkschaften lassen sich von der politischen Hängepartie nicht lähmen. Ver.di legte heute ihre Forderungen für die Tarifverhandlungen im Energiesektor vor: 7 Prozent mehr Gehalt bei einer Laufzeit von nur zwölf Monaten, Start zum 1. Februar 2026.

Die Botschaft ist unmissverständlich: Die Gewerkschaften sind kampfbereit – mit oder ohne digitale Werkzeuge. Ver.di betont zudem, dass Perspektiven für Nachwuchskräfte und dual Studierende nicht verhandelbar seien. Ein klarer Hinweis auf den Fachkräftemangel, der die Energiebranche unter Druck setzt.

Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Im Wahljahr 2026 wollen die Gewerkschaften Stärke demonstrieren und ihre Basis mobilisieren. Ob die Mobilisierung dann per E-Mail oder Flugblatt erfolgt, ist fast schon nebensächlich geworden.

Große Koalition im Zögermodus

Warum tut sich die Regierung so schwer? Die Vorsicht hat System. Die Union fürchtet vor allem Rechtsunsicherheit. Ein überstürzt verabschiedetes Gesetz mit Schlupflöchern könnte eine Klagewelle auslösen – und am Ende würden Hunderte Betriebsratswahlen für ungültig erklärt. Ein Albtraum für Unternehmen und Arbeitnehmervertreter gleichermaßen.

Die SPD wiederum steht unter Feuer ihrer Gewerkschaftsbasis. Das Versprechen der digitalen Mitbestimmung war ein zentrales Wahlkampfversprechen. Es nicht einzulösen, könnte die ohnehin angespannte Beziehung zwischen Partei und Arbeitnehmerbewegung weiter belasten.

Das Ergebnis: Beide Partner der Koalition bremsen sich gegenseitig aus. Während die Zeit davonläuft.

Ausblick: Analog statt digital

Für die Praxis bedeutet das: Wahlvorstände sollten sich auf das klassische Verfahren einstellen. Rechtssicherheit geht vor Innovation. Eine Notfall-Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes im Januar 2026 ist theoretisch möglich – aber politisch hochriskant und kaum durchsetzbar.

Die Online-Wahl wird 2026 wohl bestenfalls in einigen wenigen Pilotprojekten zum Einsatz kommen. Für die Breite der deutschen Wirtschaft gilt: Stimmzettel, Wahlkabinen, händische Auszählung. Wie schon 2022, 2018 und alle Wahlen davor.

Die eigentliche Modernisierung der Mitbestimmung? Vertagt auf 2030 – oder später. Für ein Land, das sich gern als Digitalisierungsvorreiter sieht, ist das ein beschämendes Armutszeugnis.

Anzeige

PS: Wer die Betriebsratswahl 2026 organisieren oder begleiten muss, sollte auf Nummer sicher gehen. Dieses kostenlose PDF bietet einen kompakten Fahrplan für die Betriebsratswahl, praktische Checklisten, Vorlagen und Hinweise zu Mitbestimmungsrechten – damit Wahlvorstände und Kandidierende Fehler vermeiden, die Wahlen anfechtbar machen. Inklusive wöchentlichem Newsletter mit aktuellen Urteilen und Gesetzesänderungen. Gratis BetrVG-PDF jetzt downloaden

@ boerse-global.de