Betriebsrat-Mitsprache, Schulungs-Falle

Betriebsrat-Mitsprache: Diese Schulungs-Falle lauert beim Insourcing

21.11.2025 - 20:19:12

Ein Einzelhändler wollte Reparaturdienste selbst übernehmen und Mitarbeiter dafür schulen – das Arbeitsgericht stoppte das Projekt sofort. Der Grund: fehlende Zustimmung des Betriebsrats. Was zunächst nach einem Einzelfall klingt, entpuppt sich als weitreichende Warnung für HR-Abteilungen in ganz Deutschland.

Denn die rechtliche Grenze zwischen einfacher „Einweisung” und mitbestimmungspflichtiger „Berufsbildung” verläuft oft anders, als Unternehmen annehmen. Wer hier den Betriebsrat zu spät einbindet, riskiert nicht nur teure Verzögerungen, sondern auch juristische Niederlagen. Das zeigt eine heute veröffentlichte Analyse des Expertenforums Arbeitsrecht zum Grundsatzurteil des Arbeitsgerichts Köln.

Ein bundesweit tätiger Einzelhändler mit 68 Filialen plante, Reparaturen von Elektronik und Kleingeräten künftig selbst durchzuführen. Bisher hatte das Unternehmen diese Aufgaben an externe Dienstleister vergeben. Um die Mitarbeiter auf die neuen Tätigkeiten vorzubereiten, konzipierte die Zentrale ein Schulungsprogramm.

Die Bezeichnung: „Einweisung in neue Arbeitsabläufe”. Die rechtliche Einordnung des Unternehmens: Gemäß § 81 BetrVG handle es sich um eine bloße Instruktion, bei der der Betriebsrat kein Mitspracherecht habe.

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Der Gesamtbetriebsrat sah das anders – und bekam recht. Das Arbeitsgericht Köln verhängte per einstweiliger Verfügung einen sofortigen Stopp des gesamten Rollouts. Die Begründung: Wer Mitarbeitern beibringt, komplexe Geräte zu reparieren, vermittelt ihnen völlig neue Fähigkeiten. Das ist Berufsbildung nach § 98 BetrVG – und damit zwingend mitbestimmungspflichtig.

Entscheidend ist der Befähigungszweck, nicht das Etikett

„Die Bezeichnung der Maßnahme durch den Arbeitgeber ist irrelevant”, stellt Rechtsexpertin Frederike Emme in ihrer heute publizierten Analyse klar. Ob ein Unternehmen von „Briefing”, „Onboarding” oder „Workshop” spricht, spielt für die rechtliche Bewertung keine Rolle.

Die zentrale Frage lautet: Erwirbt der Mitarbeiter neue Qualifikationen, die er zuvor nicht besaß? Wenn ja, greift das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Diese „funktionale Befähigungsprüfung” macht den Unterschied:

Einweisung ohne Mitbestimmung: Der Mitarbeiter beherrscht die Tätigkeit bereits und muss nur erfahren, wie sie im konkreten betrieblichen Umfeld ausgeführt wird. Beispiel: „Hier lagern wir die Werkzeuge, dort findest du die Ersatzteile.”

Berufsbildung mit Mitbestimmung: Der Mitarbeiter lernt etwas grundlegend Neues, um eine bisher fremde Aufgabe zu übernehmen. Beispiel: „So reparierst du eine Leiterplatte” oder „So wartest du ein Elektrogerät.”

Für Personalabteilungen bedeutet das: Selbst kurze, eintägige Workshops können mitbestimmungspflichtig sein, wenn sie die Voraussetzung dafür schaffen, dass Beschäftigte neue vertragliche Pflichten erfüllen können.

Warum das Thema jetzt wieder hochkocht

Die Brisanz des Kölner Urteils vom 4. März 2025 wird gerade jetzt deutlich, da Unternehmen ihre Budgets und Personalentwicklungsstrategien für 2026 finalisieren. Viele deutsche Firmen versuchen derzeit, durch Insourcing Kosten zu senken oder ihre Geschäftsmodelle zu digitalisieren.

Doch genau diese Strategien bergen ein erhebliches Prozessrisiko. Das Kölner Gericht demonstrierte, dass Betriebsräte per einstweiliger Verfügung ganze Schulungsmaßnahmen blockieren können. Für den betroffenen Einzelhändler bedeutete das: Das Training durfte erst starten, nachdem eine Einigungsstelle den Konflikt beigelegt hatte. Ein kostspieliger Aufschub.

Rechtsbeobachter sehen darin einen klaren Trend: Gerichte schauen zunehmend über formale Kriterien wie die Kursdauer hinaus und prüfen stattdessen, ob die Maßnahme faktisch neue Qualifikationen vermittelt.

Digitale Lernplattformen als zusätzliche Stolperfalle

Eine weitere Komplexitätsebene entsteht bei der Nutzung digitaler Trainingsformate. Im Kölner Fall handelte es sich um ein zentral konzipiertes Schulungskonzept für alle Filialen – was die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats begründete, nicht der örtlichen Gremien.

Besonders heikel wird es, wenn Unternehmen Learning-Management-Systeme (LMS) einsetzen. Sobald eine Plattform Lernfortschritte oder Testergebnisse trackt, greift zusätzlich § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG: das Mitbestimmungsrecht bei Einführung technischer Überwachungssysteme. Die Folge: Das gesamte System unterliegt strengen Verhandlungspflichten bezüglich Leistungs- und Verhaltenskontrolle.

Was als schlankes E-Learning-Projekt startet, kann so zur doppelten Mitbestimmungsfalle werden – einmal bei den Inhalten, einmal bei der Technik.

So vermeiden Unternehmen die Insourcing-Falle

Juristen empfehlen einen dreistufigen Compliance-Check, bevor Insourcing-Projekte starten:

1. Kompetenzanalyse durchführen: Erfordert die neue Aufgabe Fähigkeiten, die in der Belegschaft nicht vorhanden sind? Wenn ja, ist jede Maßnahme zum Kompetenzaufbau wahrscheinlich § 98-Training.

2. Betriebsrat frühzeitig einbinden: Verhandlungen sollten bereits in der Konzeptphase beginnen, nicht erst nach Festlegung des Rollout-Termins. Sonst drohen Verzögerungen wie im Kölner Fall.

3. Ganzheitliche Vereinbarung treffen: Werden digitale Tools genutzt, muss die Schulungsvereinbarung mit Datenschutz- und IT-Regelungen verknüpft werden.

Der Versuch, Qualifizierungsmaßnahmen durch geschickte Etikettierung als bloße „Einweisung” am Betriebsrat vorbeizuschleusen, ist eine Hochrisikostrategie. Die Rechtsprechung durchschaut diese Manöver zunehmend – und stärkt konsequent die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen.

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PS: Wenn Schulungsinstrumente zentral gesteuert oder LMS-Tracking eingesetzt werden, greift oft zusätzlich § 87 Abs. 1 Nr. 6 – und die Technik ist mitzubestimmen. Ein praxisorientierter Guide erklärt, wann eine Einigungsstelle droht, welche Verhandlungswege es gibt und liefert Mustervereinbarungen, die HR und Betriebsrat verbinden. Sehr hilfreich für alle, die Insourcing-Projekte rechtssicher planen wollen. Kostenlosen Praxis-Guide zur Mitbestimmung & Einigungsstellen anfordern

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