Betriebsrat: Kölner Gericht stoppt Arbeitgeber-Alleingänge
23.11.2025 - 02:50:12Ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Köln verdeutlicht die rechtliche Macht deutscher Betriebsräte: Versucht ein Arbeitgeber, mitbestimmungspflichtige Maßnahmen ohne Zustimmung des Betriebsrats umzusetzen, droht eine einstweilige Verfügung. Die am 21. November 2025 veröffentlichte Analyse des Falls (Az. 13 BVGa 5/25) durch das Expertenforum Arbeitsrecht zeigt, wie stark die prozessualen Hürden für Unternehmen in den vergangenen Monaten gestiegen sind.
Die Botschaft an Personalabteilungen und Arbeitnehmervertretungen ist unmissverständlich: Der Weg zur Konfliktlösung erfordert strikte Einhaltung der Verfahrensschritte – oder richterliche Anordnungen bremsen jede Maßnahme aus.
Im Zentrum des Kölner Falls steht eine bundesweite Einzelhandelskette, die „Inhouse-Schulungen” für Mitarbeiter einführen wollte. Ziel war es, dass Beschäftigte künftig Produkte selbst reparieren – eine Aufgabe, die zuvor externe Dienstleister übernahmen.
Der Arbeitgeber argumentierte, es handle sich lediglich um eine „Einweisung” nach § 81 BetrVG, die keine umfassenden Mitbestimmungsrechte auslöse. Der Gesamtbetriebsrat sah darin jedoch eine mitbestimmungspflichtige „Berufsbildungsmaßnahme” gemäß § 98 BetrVG.
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Das Gericht gab dem Betriebsrat recht und untersagte dem Arbeitgeber per einstweiliger Verfügung, das Schulungsprogramm fortzusetzen. Die Begründung: Entscheidend sei nicht die Bezeichnung durch den Arbeitgeber, sondern der „funktionale Zweck der Befähigung”. Da neue Fähigkeiten vermittelt würden, greife die Mitbestimmung – unabhängig von Dauer oder Niveau der Maßnahme.
Dieses Urteil unterstreicht den Unterlassungsanspruch: Versucht ein Unternehmen, eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme während eines laufenden Einigungsstellenverfahrens – oder noch bevor dieses eingeleitet wurde – durchzusetzen, treten Gerichte zunehmend auf die Bremse.
Verhandlungspflicht vor Gericht: Wann ist die Einigungsstelle „notwendig”?
Während das Kölner Urteil unilaterales Handeln stoppte, fokussieren sich parallele Entwicklungen auf die Etablierung der Einigungsstelle selbst. Nach § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) ernennt das Arbeitsgericht einen Vorsitzenden, wenn sich die Parteien nicht einigen können. Doch aktuelle Rechtsprechung zeigt: Diese Ernennung erfolgt nicht automatisch.
Experten der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner hoben kürzlich die Bedeutung des Verhandlungserfordernisses hervor. Mit Verweis auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (Az. 5 TaBV 15/24) vom November 2025 betonen Analysten: Gerichte prüfen genau, ob vor der Anrufung ernsthaft versucht wurde, eine Einigung zu erzielen.
Ein reiner E-Mail-Austausch oder ein einzelnes Treffen reichen oft nicht aus. Die Gerichte suchen nach einem „ernsthaften Einigungswillen”.
Das LAG Rheinland-Pfalz bot jedoch eine Nuance zugunsten von Arbeitgebern: Verweigert ein Betriebsrat trotz umfassender Informationen die Verhandlung – etwa mit dem Verweis auf fehlende Daten als Verzögerungstaktik – könne der Arbeitgeber erfolgreich geltend machen, dass Verhandlungen gescheitert seien. Der fehlende Einigungswille des Betriebsrats könne dann den Weg für eine gerichtliche Bestellung ebnen.
Präzision gefordert: Genaue Definition des Streitgegenstands
Neben der Verhandlungspflicht wird die technische Präzision des Antrags zur Einrichtung einer Einigungsstelle zum Stolperstein. Arbeitsrechtsspezialisten der Kanzlei Kliemt.HR warnten Mitte November 2025: Vage Anträge werden zunehmend wegen mangelnder Bestimmtheit abgewiesen.
Wer nach § 100 ArbGG eine gerichtliche Bestellung beantragt, muss den Regelungsgegenstand klar definieren. Ist das Thema zu breit gefasst – beispielsweise „IT-Systeme” statt „Einführung von Microsoft Copilot” – kann das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweisen.
Diese prozessuale Strenge erfüllt zwei Zwecke:
1. Effizienz: Die Einigungsstelle weiß exakt, was sie regeln soll.
2. Zuständigkeit: Das Gericht kann eine „offensichtliche Unzuständigkeit” prüfen. Fällt das Thema eindeutig nicht unter Mitbestimmung, kann die Ernennung eines Vorsitzenden verweigert werden.
Der Mythos der „automatischen” Einigungsstelle
Die Rechtslage Ende 2025 deutet auf einen Paradigmenwechsel hin: Die Einigungsstelle wird nicht mehr als Standardmechanismus nach gescheiterten Gesprächen betrachtet. „Die Ära, in der die Einigungsstelle als automatischer nächster Schritt nach einem fehlgeschlagenen Treffen galt, verblasst”, lautet der Konsens der aktuellen Rechtskommentierung.
Für Arbeitgeber schließt das Kölner Urteil die „Umsetzungslücke”. Früher implementierten manche Unternehmen Maßnahmen parallel zum Einigungsstellenverfahren – in der Hoffnung, dass Entscheidungen Monate dauern würden. Die Bereitschaft des Kölner Gerichts zur einstweiligen Verfügung stoppt diese Taktik nun komplett.
Für Betriebsräte ist das Rheinland-Pfalz-Urteil eine Warnung vor konstruktiver Verweigerung. Einfach „Nein” zu sagen oder „mehr Zeit” zu fordern, ohne substantielle Auseinandersetzung, gefährdet die Verhandlungsposition. Der Arbeitgeber könnte so die Einrichtung der Einigungsstelle – und potenziell eine rasche Entscheidung – erzwingen.
Ausblick: Höhere Kosten, mehr Dokumentation
Mit Blick auf 2026 erwarten Rechtsexperten weitere Auseinandersetzungen über die Definition „gescheiterter Verhandlungen”. Da Unternehmen digitale Transformationsprojekte beschleunigen, dürfte die Reibung zwischen Implementierungstempo und Mitbestimmung zunehmen.
Zu erwarten sind:
* Mehr einstweilige Verfügungen: Ermutigt durch das Kölner Urteil werden Betriebsräte verstärkt gegen KI- und Schulungseinführungen vorgehen.
* Dokumentationskriege: Beide Seiten werden massiv in Nachweise ihrer „ernsthaften” Verhandlungsbemühungen investieren.
* Steigende Rechtskosten: Präzise Anträge und Abwehr von Verfügungen treiben die Kosten in der Betriebsratsarbeit nach oben.
Die Botschaft der Gerichte bleibt eindeutig: Die Einigungsstelle ist ein mächtiges Instrument – aber Zugang und Verhalten während des Verfahrens sind streng reglementiert.
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