Betriebsräte unter Druck: Krisenmodus als neuer Normalzustand
10.12.2025 - 07:02:12Deutsche Betriebsräte stehen unter Druck: Sie verhandeln gleichzeitig über Insolvenzpläne, Stellenabbau und die Umsetzung der neuen EU-KI-Verordnung, was die Mitbestimmung vor große Herausforderungen stellt.
Die letzten Wochen des Jahres 2025 werden zur Bewährungsprobe für Deutschlands Arbeitnehmervertretungen. Von den Stahlwerken im Ruhrgebiet bis zu spezialisierten Mittelständlern in Niedersachsen: Die Verhandlung von Betriebsvereinbarungen hat sich vom Routinegeschäft zum Krisenmanagement gewandelt. Insolvenzen, radikale Umstrukturierungen und die Umsetzung neuer KI-Vorschriften treffen gleichzeitig auf die Betriebsräte.
Der Druck kommt von allen Seiten. Während etablierte Konzerne wie Thyssenkrupp um ihre Zukunft ringen, kämpfen kleinere Unternehmen ums nackte Überleben. Gleichzeitig zwingt die europäische KI-Verordnung zu völlig neuen Verhandlungsthemen. Was bedeutet das für die deutsche Mitbestimmungskultur?
Insolvenz als Feuertaufe: ADE Hildesheim
Dramatischer könnte ein Amtsantritt kaum sein: Der frisch gewählte Betriebsrat bei ADE in Hildesheim musste direkt in Insolvenzverhandlungen einsteigen. Wie die IG Metall am 9. Dezember bestätigte, hielt das erst am 25. November gewählte Gremium diese Woche seine erste Betriebsversammlung – unter Insolvenzverwaltung.
“Ich bin sehr froh, in dieser schwierigen Phase ein starkes Team hinter mir zu haben”, erklärte der neue Vorsitzende Wolfgang Besser nach Gesprächen mit Insolvenzverwalter Manuel Sack. Die Prioritäten haben sich radikal verschoben: Statt Gehaltsrunden und Benefits stehen Interessenausgleich, Sozialpläne und die Sicherung von Transfergesellschaften auf der Agenda.
Seit August 2024 gelten neue KI-Regeln – und Betriebsräte sowie Personalabteilungen müssen jetzt handeln. Die EU‑KI‑Verordnung verlangt unter anderem Risikoklassifizierung, Dokumentation und Nachweispflichten, besonders bei “Hochrisiko”-Systemen in Personalprozessen. Ein kostenloser Umsetzungsleitfaden erklärt konkret, welche Änderungen in Betriebsvereinbarungen nötig sind, welche Fristen gelten und wie Sie Mitbestimmungsrechte wirksam schützen. Jetzt kostenlosen KI-Umsetzungsleitfaden herunterladen
Ein Einzelfall? Keineswegs. Die Situation bei ADE steht exemplarisch für einen Trend Ende 2025: Betriebsvereinbarungen werden zunehmend zu Rettungsankern statt Gestaltungsinstrumenten.
Thyssenkrupp Steel: Der Kampf um 11.000 Jobs
Bei Thyssenkrupp Steel Europe tobt derweil ein Machtkampf größeren Ausmaßes. Nach turbulenten Verhandlungen stehen sich Betriebsrat und Vorstand seit dem 5. Dezember in einer Pattsituation gegenüber. Der Streitpunkt: Das “Zukunftskonzept” des Unternehmens, das bis 2030 rund 11.000 Stellen abbauen soll.
Die Fronten sind verhärtet. Arbeitnehmervertreter werfen dem Vorstand vor, sie unter Druck zu setzen und Verträge regelrecht abpressen zu wollen. Der Betriebsrat am Standort Hamborn/Beeckerwerth zog Konsequenzen: Vorzeitige Neuwahlen sind für Mitte 2025 angesetzt – ein klares Signal an die Belegschaft, dass man den Konfrontationskurs fortsetzen will.
“Die Finanzierung ist gesichert”, versicherte Vorstandsmitglied Conze kürzlich auf einer Versammlung. Doch der Betriebsrat bleibt skeptisch und konzentriert seine Strategie auf zwei Kernforderungen: Keine betriebsbedingten Kündigungen und langfristige Standortgarantien. Die mögliche Teilübernahme durch Jindal Steel verkompliziert die Verhandlungen zusätzlich – denn wie verhandelt man, wenn die Verhandlungsbasis selbst zur Disposition steht?
Audi und VW: Arbeitsplatzsicherung als Verhandlungsmasse
Im Automobilsektor dominiert ein anderer Konflikt die Betriebsvereinbarungen: Beschäftigungsgarantien versus Kostensenkungen. Beim Audi-Werk Neckarsulm zog der Betriebsrat am 4. Dezember eine klare Linie. Die Verlängerung der Beschäftigungsgarantien bis 2033? Ein Anfang, aber nicht genug.
“Strategisch kämpft der Betriebsrat dafür, dass Neckarsulm ein volumenstarkes E-Modell erhält”, betonte Vize-Betriebsratschef Alexander Reinhart. Denn was nützen juristische Garantien ohne Produkte zum Bauen? Diese Frage zeigt die neue Dimension moderner Betriebsvereinbarungen: Es geht längst nicht mehr nur um Arbeitszeiten oder Kantinenzuschüsse, sondern um fundamentale Produktentscheidungen und Unternehmensstrategie.
Am VW-Standort Baunatal stand diese Woche die Rettung von 380 Zeitarbeitsverträgen auf der Agenda. Zumindest 100 Arbeitsplätze konnte der Betriebsrat sichern – ein kleiner Erfolg in Zeiten des Sparens, der aber zeigt: Jeder einzelne Job wird hart erkämpft.
KI-Verordnung: Algorithmen am Verhandlungstisch
Parallel zum Krisenmanagement öffnet sich ein völlig neues Verhandlungsfeld: Die europäische KI-Verordnung verändert die Spielregeln. Anfang Dezember 2025 veröffentlichte Rechtsgutachten raten Unternehmen dringend, ihre Betriebsvereinbarungen zu aktualisieren – besonders bei “Hochrisiko-KI” in Personalwesen und Leistungsüberwachung.
Betriebsräte nutzen ihre Mitbestimmungsrechte nach Paragraf 87 Betriebsverfassungsgesetz jetzt für ganz neue Forderungen:
Transparenzklauseln: Mitarbeiter müssen erfahren, wann und wie KI ihre Leistung bewertet. Keine Blackbox-Algorithmen mehr, die über Karrieren entscheiden.
Menschliche Kontrolle: Keine disziplinarische Maßnahme darf ausschließlich auf algorithmischer Basis erfolgen. Der “Human-in-the-Loop” wird zur Vertragsklausel.
Risikoanalysen: Vor der Einführung neuer Software-Tools sind verpflichtende Datenschutz-Folgenabschätzungen durchzuführen.
Dies ist mehr als eine Aktualisierung klassischer IT-Betriebsvereinbarungen. Es geht um algorithmische Rechenschaftspflicht und darum, wer in Zukunft über Beförderungen und Kündigungen entscheidet – Menschen oder Maschinen?
Ausblick: Das 58-Euro-Ticket und was 2026 bringt
Neben Existenzfragen verhandeln Betriebsräte auch weiterhin über Alltagsthemen. Mit der Preisanpassung des Deutschlandtickets auf 58 Euro werden aktuell Vereinbarungen finalisiert, die den steuerfreien Transfer dieser Leistung sicherstellen.
Doch die Gesamtlage bleibt angespannt. Ob existenzbedrohende Insolvenz bei ADE, strategische Weichenstellung bei Thyssenkrupp oder technologischer Umbruch durch KI – die Arbeitnehmervertretungen befinden sich 2025 in permanenter Alarmbereitschaft. Die “Verhandlung” ist kein Termin mehr im Kalender, sondern ein Dauerzustand.
Kann die deutsche Mitbestimmungskultur diese Mehrfachbelastung stemmen? Die kommenden Monate werden zeigen, ob Betriebsräte nicht nur reagieren, sondern auch gestalten können – oder ob der Krisenmodus zum neuen Normal wird.
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