Betriebsräte: Scharfe Kontrolle bei freiwilligen Leistungen gefordert
29.12.2025 - 03:12:12Neue Urteile und Analysen verschärfen die Überwachungspflichten von Betriebsräten bei freiwilligen Arbeitgeberleistungen. Gerade zum Jahresende und vor den Betriebsratswahlen 2026 gewinnt das Thema an Brisanz.
Im deutschen Arbeitsrecht ist die Grenze zwischen vertraglichen Ansprüchen und freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers traditionell ein Konfliktherd. Aktuelle Entwicklungen unterstreichen nun die wachsende Bedeutung der Betriebsräte als Kontrollinstanz. Juristen betonten am Montag: Zwar entscheidet der Arbeitgeber frei, ob er eine freiwillige Zuwendung zahlt. Über die Verteilung nach dem „Dotierungsrahmen“ kann er jedoch nicht willkürlich bestimmen.
Laut einer aktuellen Rechtsauslegung ist die Überwachungspflicht nach § 80 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) die erste Verteidigungslinie gegen Diskriminierung. Kündigt ein Unternehmen einen Topf für freiwillige Gehaltserhöhungen oder Boni an, muss der Betriebsrat sicherstellen, dass die Verteilungsgrundsätze dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechen. Dieses Recht ist nicht passiv: Der Betriebsrat kann Transparenz darüber verlangen, wer was und warum erhält.
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Fehlt ein Tarifvertrag, wird das Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG zum machtvollen Instrument. Der Betriebsrat kann den Arbeitgeber zwar nicht zum Geldausgeben zwingen. Er kann – und muss – jedoch Verteilungen blockieren, die gegen Fairness-Grundsätze verstoßen. Diese „Verteilungsgerechtigkeit“ ist hochaktuell, da viele Beschäftigte die Fairness von inflationsbedingten Zuschlägen oder Jahresendboni hinterfragen.
BAG-Urteile schärfen den Gleichbehandlungsgrundsatz
Den Umfang dieser Überwachungspflichten hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst gestärkt. In einem vielbeachteten Urteil vom November 2025 (5 AZR 118/23) ging es um die Diskriminierung von Teilzeitkräften bei Überstundenzuschlägen. Das Gericht erklärte eine tarifliche Regelung für unwirksam, die Überstundenentgelt erst nach der 41. Stunde vorsah – unabhängig von den individuellen Arbeitszeiten. Dies benachteiligte Teilzeitbeschäftigte strukturell.
Auch wenn der Fall Tarifrecht betraf, sehen Arbeitsrechtler direkte Auswirkungen auf freiwillige Leistungen. Das Urteil zeigt, wie streng Gerichte den Gleichbehandlungsgrundsatz aktuell auslegen. Betriebsräte sind gewarnt: Sie müssen freiwillige Leistungen auf ähnliche strukturelle Nachteile überprüfen. Begünstigt ein Bonussystem implizit Teilzeitkräfte oder bestimmte Gruppen nicht, hat der Betriebsrat die Pflicht zum Einschreiten. Unterlässt er diese Kontrolle, könnte dies als Pflichtverletzung gewertet werden.
So setzen Betriebsräte ihre Rechte praktisch durch
Aus der theoretischen Pflicht werden konkrete Handlungsrechte. Der Betriebsrat kann Einblick in die Bruttolohn- und Gehaltslisten fordern, um die Einhaltung der Grundsätze zu prüfen. Dieser Zugang ist entscheidend, um festzustellen, ob die „freiwillige“ Verteilung objektiven Kriterien folgt oder willkürliche Begünstigungen verschleiert.
Eine verbreitete Fehleinschätzung lautet: „freiwillig“ bedeute „regelungsfrei“. Das Gegenteil ist der Fall. Ist das „Ob“ entschieden, unterliegt das „Wie“ der vollen Mitbestimmung. Der Arbeitgeber kann bestimmte Gruppen – etwa Beschäftigte im Krankengeldbezug oder ganze Abteilungen – nicht ohne sachliche Rechtfertigung ausschließen.
Der Überwachungsprozess umfasst typischerweise drei Schritte:
1. Informationsanspruch: Einforderung der Verteilungskriterien für die freiwillige Leistung.
2. Datenprüfung: Kontrolle anonymisierter oder namentlicher Listen, um Verteilungsmuster zu erkennen.
3. Durchsetzung: Einleitung eines Einigungsstellen-Verfahrens, wenn der Arbeitgeber faire Kriterien verweigert.
Kontext: Betriebsratswahlen 2026 als Katalysator
Diese Rechtsdiskussionen finden vor einem Hintergrund erhöhter politischer Aktivität statt. Große Gewerkschaften wie Verdi und der DGB mobilisieren bereits für die Betriebsratswahlen zwischen März und Mai 2026.
Gewerkschaftsführer warnen vor „antidemokratischen Tendenzen“ und betonen die Notwendigkeit starker Betriebsräte. In diesem Klima wird die Fähigkeit eines Gremiums, freiwillige Leistungen fair zu überwachen, zum zentralen Erfolgsmaßstab. Beschäftigte erwarten greifbare Ergebnisse. Die Sicherstellung einer gerechten Verteilung von „freiwilligem“ Geld ist eine machtvolle Demonstration der eigenen Leistung vor der Wahl.
Der DGB verweist zudem auf einen „gefährlichen Trend“: die rückläufige Zahl von Betrieben mit Betriebsrat in einigen Regionen. Umso wichtiger ist die effektive Arbeit der bestehenden Gremien für die Akzeptanz des Mitbestimmungsmodells insgesamt.
Ausblick: Mehr Konflikte um Verteilungsgerechtigkeit
Experten prognostizieren für 2026 eine Zunahme von Streitigkeiten um Inflationsausgleichs- und Gewinnbeteiligungsmodelle. Bei anhaltendem wirtschaftlichem Druck könnten Arbeitgeber versuchen, freiwillige Leistungen gezielter einzusetzen, um Spitzenkräfte zu binden – und dabei Teile der Belegschaft zu umgehen.
Betriebsräte müssen wachsam bleiben. Die strenge BAG-Rechtsprechung zum Gleichbehandlungsgrundsatz und der politische Druck der anstehenden Wahlen lassen die „Überwachungspflicht“ zum zentralen Konfliktfeld der Betriebsbeziehungen werden. Es ist mit mehr Betriebsvereinbarungen zu rechnen, die Verteilungsgrundsätze für freiwillige Leistungstöpfe explizit regeln und damit weniger Spielraum für einseitige Entscheidungen des Arbeitgebers lassen.
Die Botschaft von Gerichten und Experten ist klar: „Freiwillig“ heißt nicht „willkürlich“. Der Betriebsrat ist der gesetzliche Wächter, der auf die Einhaltung dieses Unterschieds achtet.
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