Betriebsräte rüsten auf: EU-Portal macht Arbeitnehmer zu AI-Wächtern
26.11.2025 - 05:39:12Während in Hattingen das 20. „Forum Datenschutz” des DGB zu Ende geht, verschiebt sich die Machtbalance bei der KI-Überwachung am Arbeitsplatz. Die Europäische Kommission hat zeitgleich ein Whistleblower-Portal für den EU AI Act freigeschaltet – und gibt Betriebsräten damit ein neues Druckmittel in die Hand.
Was auf den ersten Blick nach parallelen Ereignissen aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Zeitenwende: Arbeitnehmervertreter verfügen erstmals über das technische Wissen und die rechtlichen Hebel, um KI-Einführungen wirksam zu kontrollieren. Die Frage ist nicht mehr, ob Mitbestimmung greift – sondern wie schnell Unternehmen ihre Systeme anpassen müssen.
Seit dem 24. November können Bürger Verstöße gegen den EU AI Act vertraulich an die Kommission melden. Das klingt abstrakt, hat aber unmittelbare Konsequenzen für deutsche Betriebe: Mitarbeiter, die etwa Emotionserkennungssoftware am Arbeitsplatz entdecken oder biometrische Kategorisierung beobachten, können nun direkt beim EU AI Office vorstellig werden.
Für Betriebsräte bedeutet das einen externen Eskalationsweg, wenn interne Verhandlungen über KI-Sicherheit oder Datenschutz ins Stocken geraten. „Das Portal macht die Belegschaft faktisch zu Vollzugsgehilfen des AI Act”, kommentierten Beobachter die Einführung. Selbst wenn das vollständige Sanktionsregime erst schrittweise greift – die Möglichkeit, „Hochrisiko-Systeme” sofort zu melden, erzeugt bereits heute Handlungsdruck.
Kann ein Unternehmen es sich noch leisten, Betriebsräte bei KI-Projekten zu übergehen?
Hattingen-Konferenz: Vom Reagieren zum Gestalten
Vom 24. bis 26. November trafen sich in Hattingen Betriebsräte, Datenschutzbeauftragte und Juristen zum DGB-Forum „Datenschutz und neue Technologien”. Unter dem Motto „Mitbestimmung im digitalen Wandel” stand 2025 ein klarer Kurswechsel im Fokus: weg von der reinen Abwehr, hin zur aktiven Gestaltung „menschenzentrierter” KI.
Die Kernbotschaft der Veranstaltung: Das Betriebsverfassungsgesetz liefert längst die nötigen Werkzeuge. Besonders § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG – das Mitbestimmungsrecht bei technischen Überwachungseinrichtungen – geriet in den Blick. Entscheidend dabei: Bereits das Potenzial zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle löst Verhandlungspflichten aus.
In Workshops diskutierten Teilnehmer konkrete Strategien, wie sich die „KI-Kompetenzpflicht” aus Artikel 4 des EU AI Act in Betriebsvereinbarungen verankern lässt. Schulungen zur KI-Nutzung sollen nicht nur Führungskräften vorbehalten bleiben, sondern gleichberechtigt für alle Beschäftigten zugänglich sein.
Juristen ziehen Grenzlinien: Assistenz oder Überwachung?
Zeitgleich zum Forum veröffentlichten Arbeitsrechtsexperten von Hoffmann Liebs am 24. November eine Analyse zur aktuellen Rechtslage. Ihr Fazit: Während die Einführung von KI manchmal unter unternehmerische Freiheit fällt, unterliegt die Anwendung fast immer der Mitbestimmung – sobald Mitarbeiterdaten oder Arbeitsabläufe betroffen sind.
Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen „Unterstützung” und „Kontrolle”. Ein generativer Chatbot wie ChatGPT mag harmlos erscheinen, wenn er beim E-Mail-Verfassen hilft. Protokolliert er jedoch Nutzeranfragen oder Leistungskennzahlen, wechselt er die Kategorie – und wird mitbestimmungspflichtig.
Neu ist auch die wachsende Bedeutung der „Schulungspflicht” für Betriebsräte selbst. Angesichts komplexer KI-Systeme gewähren Gerichte zunehmend das Recht, externe KI-Gutachter hinzuzuziehen (§ 80 Abs. 3 BetrVG) – bevor einer Einführung zugestimmt wird.
2026: Das Jahr der KI-Betriebsvereinbarungen
Mit dem Jahreswechsel endet die „Wildwest-Phase” beim KI-Einsatz in deutschen Unternehmen. Branchenkenner erwarten im ersten Quartal 2026 eine Welle neuer Rahmenbetriebsvereinbarungen, die explizit auf die Risikokategorien des EU AI Act Bezug nehmen.
Der nächste Schritt für viele Betriebsräte: Bestehende Vereinbarungen daraufhin prüfen, ob sie generative KI und algorithmisches Management überhaupt abdecken. Mit dem aktiven EU-Whistleblower-Portal steigen die Einsätze erheblich – wer Arbeitnehmervertreter ignoriert, riskiert nicht nur interne Konflikte, sondern eine Untersuchung aus Brüssel.
Für die Teilnehmer, die heute aus Hattingen abreisen, steht fest: Mitbestimmung ist kein Hindernis für KI-Einführung, sondern die notwendige Qualitätskontrolle, die Rechtssicherheit und Akzeptanz garantiert.
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