Betriebsräte fordern mehr Rechte gegen Krise
26.11.2025 - 05:29:12Die deutschen Gewerkschaften starten eine Offensive: IG Metall und ver.di verlangen weitreichende neue Befugnisse für Betriebsräte. Hintergrund ist eine dramatische Investitionskrise, die Deutschlands industrielles Rückgrat bedroht.
Während in Baden-Württembergs Maschinenbau die Jobstreichungen drohen und in der Logistikbranche selbst die Gründung von Arbeitnehmervertretungen verhindert wird, kämpfen die Gewerkschaften an zwei Fronten: Um strategischen Einfluss in Konzernzentralen – und um die bloße Existenz von Mitbestimmung in zersplitterten Branchenstrukturen.
Am Dienstag präsentierte IG Metall Baden-Württemberg vor dem Bosch-Werk in Stuttgart-Feuerbach beunruhigende Zahlen. Eine umfassende Betriebsratsbefragung zeigt: Fast 40 Prozent der Unternehmen planen Stellenabbau. Noch brisanter: Über 60 Prozent der Betriebsräte sehen geplante Investitionen als unzureichend für die Bewältigung der Transformation.
„Wir erleben einen gefährlichen Investitionsstopp”, warnte Bezirksleiterin Barbara Resch. „Unternehmen streichen Investitionen, verlagern Produktion und bauen Stellen ab.” Die Botschaft: Wer jetzt nicht handelt, riskiert den Industriestandort als Ganzes.
Viele Betriebsräte kennen ihre Mitbestimmungsrechte nicht vollständig – gerade bei Fragen zu Arbeitszeit, Überwachung und Personalversetzungen entstehen dadurch taktische Nachteile. Ein kostenloses E-Book erklärt praxisnah, welche Rechte Ihnen das Betriebsverfassungsgesetz nach § 87 bietet, liefert Musterformulierungen, Checklisten und konkrete Verhandlungs-Tipps für Betriebsräte und Wahlvorstände. So sind Sie rechtlich und strategisch besser vorbereitet. Jetzt kostenlosen Leitfaden zum Betriebsverfassungsgesetz sichern
Die Gewerkschaft fordert deshalb ein gesetzlich verankertes Initiativrecht für Betriebsräte. Bisher können Arbeitnehmervertreter hauptsächlich reagieren – etwa Sozialpläne verhandeln, wenn Entlassungen bereits beschlossen sind. Das neue Recht würde es ermöglichen, Innovationsdialoge und strategische Investitionen rechtlich durchzusetzen, bevor Werksschließungen unvermeidbar werden.
Paketbranche: Wenn Subunternehmer Mitbestimmung aushebeln
Während die Industrie um strategischen Einfluss ringt, kämpft die Logistik mit einem fundamentaleren Problem: der Gründung von Betriebsräten überhaupt. Ver.di veröffentlichte am Dienstag eine erschreckende Studie zu Arbeitsbedingungen in der Paketzustellung – pünktlich vor dem Black-Friday-Ansturm.
Die Erhebung von Input Consulting unter knapp 3.000 Beschäftigten ergab einen „Index Guter Arbeit” von nur 40 von 100 Punkten. Die Diagnose: mangelhaft. Der strukturelle Knackpunkt sind ausufernde Subunternehmerketten.
„Es besteht dringender Handlungsbedarf”, mahnte ver.di-Vize Andrea Kocsis. Die Gewerkschaft macht deutlich: Durch Ausgliederungen werden deutsche Mitbestimmungsgesetze systematisch umgangen. In diesen zersplitterten Strukturen bleibt die Gründung von Betriebsräten nahezu unmöglich – Beschäftigte arbeiten isoliert in rechtlich getrennten Mini-Firmen, obwohl sie dieselbe Uniform tragen.
Ver.di fordert deshalb ein gesetzliches Verbot von Subunternehmern in der Paketbranche, um Direktanstellung durchzusetzen. Zusätzlich verlangt die Gewerkschaft eine strikte 20-Kilogramm-Grenze für Einzelhandhabung zum Gesundheitsschutz.
Bundesarbeitsgericht: Wie weit reicht Mitbestimmung?
Der Kampf um erweiterte Betriebsratsrechte wird nicht nur in Pressekonferenzen ausgefochten, sondern auch vor Gericht. Am Montag verhandelte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt über eine Grundsatzfrage: Können Tarifverträge die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte faktisch erweitern?
Konkret geht es im Fall 1 ABR 38/24 um die Frage, ob einem Betriebsrat per Tarifvertrag ein Vetorecht bei Personalversetzungen eingeräumt werden kann – eine Form „erweiterter Mitbestimmung” jenseits des Betriebsverfassungsgesetzes.
Während das schriftliche Urteil noch aussteht, zeigt allein die Terminierung des Falls die rechtliche Brisanz. Arbeitgeber befürchten bei einem Initiativrecht die Lähmung von Entscheidungsprozessen. Gewerkschaften kontern: Ohne verbindliche Rechte bleibe „Demokratie am Arbeitsplatz” ein Papiertiger.
Wahlkampf um Mitbestimmung?
Das Timing könnte kaum politischer sein. Nach dem Kollaps der Ampel-Koalition und mit der Bundestagswahl am Horizont wird Arbeitspolitik zum zentralen Wahlkampfthema.
Die Kontraste sind scharf: In der Autoindustrie kämpfen Betriebsräte bei Volkswagen gegen historische Werksschließungen und fordern neue Instrumente, um Konzernleitungen zu „Zukunftspakten” statt Sparprogrammen zu zwingen. Im Dienstleistungssektor hingegen ringen Gewerkschaften um die grundlegende Anwendung bestehender Gesetze, wo „Union Busting” und Konzernzersplitterung bereits die Gründung von Betriebsräten verhindern.
„Die Transformation darf kein Sparprogramm auf dem Rücken der Beschäftigten werden”, warnte Resch in Stuttgart. Ihre Forderung: Das Initiativrecht muss aufhören, Theorie zu sein, und gesetzliche Realität werden.
Die nächsten Schritte
3. Dezember 2025: Start der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder – hier dürften ähnliche Forderungen laut werden.
Gesetzesinitiativen: Parteien werden voraussichtlich ihre Arbeitspolitik-Programme präsentieren. Die Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes könnte zum Polarisierungsthema werden.
Gerichtsurteile: Arbeitsrechtler warten gespannt auf die schriftliche Begründung des BAG im Fall 1 ABR 38/24 – sie könnte Präzedenzcharakter haben für die Frage, welche Macht Gewerkschaften Betriebsräten per Tarifvertrag verschaffen können.
PS: Warten Sie auf das BAG-Urteil im Fall 1 ABR 38/24? Dieses kostenlose E-Book fasst die aktuelle Rechtsprechung, praxisnahe Handlungsempfehlungen und taktische Hebel zusammen, mit denen Betriebsräte Tarifverträge strategisch nutzen und Initiativrechte durchsetzen können. Ideal für Betriebsräte, Wahlvorstände und engagierte Arbeitnehmer. Hier E-Book zur Mitbestimmung herunterladen


