Betriebsräte, Vetorecht

Betriebsräte erhalten Vetorecht bei Gehaltslücken

29.12.2025 - 00:51:12

Deutsche Unternehmen ohne Tarifbindung müssen ab 2026 Gehaltsstrukturen mit dem Betriebsrat aushandeln. Grund sind neue EU-Transparenzvorgaben, die bei unerklärten Lohnlücken ein Mitbestimmungsrecht auslösen.

Das Jahr 2026 bringt eine Zeitenwende für die Entlohnung in tariflosen Unternehmen. Wie Industrie- und Handelskammern diese Woche bestätigten, erhalten Betriebsräte durch die Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie weitreichende Mitgestaltungsrechte. Kern der Neuerung: Zeigt der interne Bericht eine unerklärte geschlechtsspezifische Lohnlücke von über fünf Prozent, muss der Arbeitgeber gemeinsam mit dem Betriebsrat innerhalb von sechs Monaten Gegenmaßnahmen entwickeln.

Für Unternehmen ohne Tarifvertrag bedeutet dies das Ende intransparenter Gehaltspolitik. Während tarifgebundene Betriebe klaren Stufensystemen folgen, herrschte in vielen anderen Firmen bisher oft das Prinzip der Einzelverhandlung. Künftig müssen sie nachvollziehbare, objektive Vergütungssysteme schaffen – und der Betriebsrat hat dabei ein verbrieftes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG.

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Transparenz statt “Black Box”

Rechtsexperten sehen darin die Schließung einer wichtigen Lücke. Betriebsräte konnten zwar schon bisher über Grundsätze der Vergütung mitbestimmen, nicht aber über konkrete Gehaltshöhen. Die neuen Transparenzpflichten verändern das grundlegend. Sie verlangen die Offenlegung von Durchschnittsgehältern vergleichbarer Positionen – aufgeschlüsselt nach Geschlechtern.

Wie eine Analyse der Legal Tribune Online (LTO) zeigt, erhalten Betriebsräte damit das Recht, die Daten zur Überprüfung des Grundsatzes “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” einzufordern. Kann der Arbeitgeber Unterschiede nicht durch objektive Kriterien wie Erfahrung oder Qualifikation begründen, kann der Betriebsrat das aktuelle System blockieren und ein diskriminierungsfreies Modell verlangen.

Diese Entwicklung wird durch ein bahnbrechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom Oktober 2025 gestützt. Es verlagert die Beweislast bei Verdacht auf Ungleichbehandlung eindeutig auf die Arbeitgeberseite. Subjektive Gehaltsentscheidungen von Führungskräften werden damit zum Risikofaktor.

Druck auf Personalabteilungen wächst

Die Auswirkungen zeigen sich bereits im Recruiting. Arbeitgeber müssen künftig in Stellenausschreibungen oder vor dem ersten Vorstellungsgespräch Informationen zur geplanten Vergütung nennen. Für Betriebsräte tarifloser Unternehmen eröffnet dies neue Verhandlungsspielräume.

Sie können nun argumentieren: Ohne ein formales, transparentes Gehaltsraster – ähnlich einem Tarifvertrag – riskiert das Unternehmen Verstöße gegen die Transparenzgesetze. Branchenbeobachter erwarten deshalb eine Welle von Haustarifverträgen oder detaillierten Betriebsvereinbarungen. Diese sollen die gesetzlich geforderten “objektiven Kriterien” festlegen.

Die Fünf-Prozent-Schwelle für verpflichtende Betriebsratsbeteiligung wird zum neuen Maßstab interner Gehaltsaudits. Unternehmen, die diese Lücke überschreiten, können das Problem nicht mehr im stillen Kämmerlein lösen. Sie müssen sich mit den Mitarbeitervertretern an den Verhandlungstisch setzen.

Wettlauf gegen die Zeit

Die finale Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht steht im ersten Quartal 2026 an. Vollständig anwendbar müssen die Regeln bis Juni 2026 sein. Für Personalabteilungen tarifloser Unternehmen beginnen damit sechs kritische Monate.

Sie müssen bestehende Gehaltsverteilungen überprüfen, unerklärte Lücken identifizieren und objektive Vergütungsmodelle vorbereiten. Wer zu spät handelt, riskiert nicht nur kostspielige Nachzahlungsklagen. Im schlimmsten Fall erzwingt der Betriebsrat ein Schiedsverfahren zur Einführung eines rechtskonformen Systems.

Wie die IHK-Analyse feststellt, endet damit die Ära der Geheimniskrämerei um Gehälter. In tariflosen Unternehmen wird der Betriebsrat zum Mitarchitekten der gesamten Vergütungsstruktur.

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