BEM-Pflicht, Kölner

BEM-Pflicht: Neues Kölner Urteil verschärft Anforderungen bei Krankheitskündigungen

20.11.2025 - 13:20:12

Wer kranke Mitarbeiter entlassen will, muss künftig noch genauer hinschauen. Das Arbeitsgericht Köln hat am 18. November 2025 eine Kündigung kassiert – und damit die strengen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) eindrucksvoll bestätigt. Die Botschaft an Arbeitgeber: Ein halbherziges BEM reicht nicht, und wer neue Maßnahmen nicht ausreichend erprobt, riskiert vor Gericht eine Niederlage.

Das Urteil (Az. 13 Ca 3566/25) liegt erst zwei Tage zurück und sorgt bereits für Aufsehen in der Arbeitsrechtsszene. Denn es zeigt exemplarisch, wie hoch die Hürden für krankheitsbedingte Kündigungen in Deutschland tatsächlich liegen – und dass selbst durchgeführte BEM-Verfahren nicht automatisch grünes Licht für eine Entlassung bedeuten.

Der Fall aus Köln liest sich wie ein Lehrstück für fehlgeschlagene Kündigungen. Ein langjähriger Mitarbeiter eines großen Logistikunternehmens hatte zwischen 2021 und 2025 wiederholt mehr als sechs Wochen pro Jahr gefehlt. Das Unternehmen leitete ein BEM ein – doch der Beschäftigte brach das Verfahren ab.

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Soweit die übliche Geschichte. Doch dann kam die entscheidende Wendung: Im August 2024 einigten sich beide Seiten auf eine Arbeitsplatzanpassung. Der Mitarbeiter wechselte von körperlich anstrengender Nachtschicht in eine Tagschicht mit Bürotätigkeit. Die Fehlzeiten sanken daraufhin deutlich.

Trotzdem kündigte der Arbeitgeber im Mai 2025 – keine neun Monate nach der Umstellung. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellte. Das Gericht wertete die Kündigung als sozial ungerechtfertigt und unwirksam. Die Begründung: Die neue Maßnahme hatte nicht genug Zeit, ihre Wirksamkeit unter Beweis zu stellen. Die voreilige Kündigung verletzte das Ultima-Ratio-Prinzip – Entlassung nur als allerletztes Mittel.

BAG-Standard: Der “ergebnisoffene Suchprozess”

Das Kölner Urteil steht nicht allein. Es fügt sich nahtlos in die etablierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein, die auch Ende 2025 unverändert streng bleibt. Das BAG betrachtet das BEM nicht als bürokratische Pflichtübung, sondern als echten Suchprozess nach Lösungen.

Was bedeutet das konkret? Arbeitgeber müssen nachweisen, dass sie alle zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft haben:

  • Arbeitsplatzumgestaltung: Ergonomische Anpassungen, neue Arbeitsmittel
  • Arbeitszeitmodelle: Schichtwechsel, Teilzeit, flexible Zeiten
  • Technische Hilfsmittel: Spezialausstattung zur Entlastung
  • Versetzungen: Wechsel in andere Abteilungen oder Tätigkeiten

Wurde das BEM übersprungen oder mangelhaft durchgeführt, trifft den Arbeitgeber die volle Beweislast. Er muss dann vor Gericht darlegen, dass selbst bei ordnungsgemäßem BEM keine Alternative zur Kündigung bestanden hätte – eine Hürde, die in der Praxis kaum zu nehmen ist.

Das “Re-BEM”: Kein Verfallsdatum für Prävention

Besonders tückisch für Arbeitgeber: Ein einmal durchgeführtes BEM hat keine unbegrenzte Gültigkeit. Fällt ein Mitarbeiter erneut länger als sechs Wochen aus, kann ein neues BEM-Verfahren erforderlich werden – selbst wenn das letzte erst kürzlich abgeschlossen wurde.

Diese “Re-BEM-Pflicht” wurde bereits in früheren BAG-Urteilen (etwa 2 AZR 138/21) verankert und bleibt hochaktuell. Die Vorstellung, “ein BEM deckt alles ab”, ist ein gefährlicher Irrtum. Wer nach einem abgeschlossenen Verfahren zu schnell zur Kündigung greift, landet schnell vor dem Arbeitsgericht.

Was ändert sich für die Praxis?

Das Zusammenspiel aus dem frischen Kölner Urteil und den aktuellen Rechtsanalysen vom 20. November zeichnet ein klares Bild: Die Anforderungen an krankheitsbedingte Kündigungen werden nicht gelockert – im Gegenteil.

Für Arbeitgeber gilt:
Die Messlatte liegt extrem hoch. Selbst ein angebotenes BEM schützt nicht vor einer unwirksamen Kündigung, wenn Timing und Umsetzung nicht stimmen. Der Kölner Fall zeigt: Wer eine Maßnahme wie einen Arbeitsplatzwechsel einführt, muss ihr eine realistische Bewährungszeit geben. Wenige Monate reichen nicht – Gerichte erwarten oft 12 Monate oder mehr, bevor eine negative Gesundheitsprognose akzeptiert wird.

Für Arbeitnehmer bedeutet das:
Ein abgebrochenes BEM ist kein Freifahrtschein für den Arbeitgeber. Wurden vereinbarte oder naheliegende Maßnahmen nicht vollständig erprobt, steht die Kündigung auf wackligen Füßen. Das BEM bleibt der stärkste Schutzschild gegen Entlassungen wegen Krankheit.

Ausblick: Noch mehr Dokumentationspflicht

Mit dem Blick nach vorn erwarten Arbeitsrechtler weitere Präzisierungen bei der Frage, was “ausreichende Erprobungszeit” für BEM-Maßnahmen bedeutet. Die Kölner Richter verlangen empirische Belege dafür, dass eine Anpassung über einen repräsentativen Zeitraum gescheitert ist.

Parallel dazu befasst sich das BAG im November 2025 mit Fällen zu Diskriminierung und Tarifnormen (etwa 6 AZR 131/25 vom 13. November). Die Verzahnung von Behindertenrechten, BEM und Tarifverträgen wird komplexer. HR-Abteilungen sollten ihre BEM-Prozesse gegen aktuelle Checklisten abgleichen und auf lückenlose Dokumentation setzen – sonst drohen teure Fehlurteile.

Die Quintessenz zum 20. November 2025: Das BEM ist der Dreh- und Angelpunkt des Kündigungsschutzes. Ohne penibel durchgeführtes Verfahren und echte Umsetzungsbemühungen bleibt eine Krankheitskündigung chancenlos.

Hinweis: Dieser Artikel liefert allgemeine Informationen auf Basis der Rechtslage vom 20. November 2025. Er ersetzt keine Rechtsberatung. Bei konkreten Fällen wenden Sie sich bitte an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht.

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