Befristete Verträge: Urteil stärkt Rechte von Zeitarbeitern massiv
14.11.2025 - 16:40:12Diskriminierung bei befristet Beschäftigten hat ab sofort direkte finanzielle Folgen für deutsche Unternehmen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden: Wer als Zeitarbeiter benachteiligt wird, kann sofortige Gleichbehandlung einklagen – ohne Übergangsfrist für Arbeitgeber oder Gewerkschaften.
Das am Donnerstag, 13. November verkündete Urteil (Az. 6 AZR 131/25) beseitigt eine zentrale Hürde für betroffene Arbeitnehmer. Bislang gab es in vergleichbaren Fällen häufig eine Karenzzeit, in der Tarifparteien diskriminierende Klauseln überarbeiten konnten. Diese Schonfrist entfällt nun komplett, wenn die Diskriminierung gegen EU-Recht verstößt. Die Folge: Unternehmen müssen ihre Tarifverträge umgehend auf den Prüfstand stellen – oder mit einer Klagewelle rechnen.
Geklagt hatte ein Postbote, der zunächst befristet beschäftigt war, bevor er einen unbefristeten Vertrag erhielt. Während seiner befristeten Anstellung trat ein neuer Tarifvertrag in Kraft, der die Zeiträume für Gehaltssteigerungen innerhalb der Lohnstufen verlängerte – allerdings nur für Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis nach einem bestimmten Stichtag begann.
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Das Problem: Der Kläger arbeitete zwar schon vor dem Stichtag im Unternehmen, erhielt seinen unbefristeten Vertrag aber erst danach. Damit galt für ihn die längere, ungünstigere Regelung – während Kollegen mit durchgehend unbefristetem Vertrag schneller aufsteigen konnten. Eine klassische Benachteiligung aufgrund des Vertragsstatus.
Das BAG sah darin einen klaren Verstoß gegen § 4 Abs. 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG), das die Diskriminierung befristet Beschäftigter verbietet. Die diskriminierende Klausel wurde für nichtig erklärt – der Arbeitnehmer hat Anspruch auf die günstigere Regelung.
Keine Gnade mehr: EU-Recht schlägt Tarifautonomie
Der eigentliche Paukenschlag des Urteils liegt in der Durchsetzung. Das BAG stellte unmissverständlich klar: Wenn eine Anti-Diskriminierungsregel „unionsrechtlich überformt” ist – also direkt auf EU-Recht basiert –, gibt es keine Schonfrist für Tarifpartner zur Nachbesserung.
Dies ist ein fundamentaler Unterschied zu Fällen, die sich nur auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) stützen. Dort hatten Gerichte bisher Gewerkschaften und Arbeitgebern Zeit zur Korrektur eingeräumt. Doch die Anti-Diskriminierungsvorschriften im TzBfG setzen eine EU-Richtlinie um und haben laut BAG eine Abschreckungsfunktion. Eine Korrekturfrist würde diese Wirkung untergraben.
In der Praxis bedeutet das: Diskriminierte Arbeitnehmer können sofort klagen und erhalten direkt die besseren Konditionen – eine „Aufwärtsangleichung”, wie ein Gerichtssprecher es formulierte. Keine Wartezeit, keine langwierigen Neuverhandlungen.
Was Unternehmen jetzt tun müssen
Die Botschaft an deutsche Arbeitgeber ist glasklar: Diskriminierung befristet Beschäftigter zieht sofortige rechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich. Unternehmen stehen unter Zugzwang, sämtliche Tarifverträge und internen Richtlinien zu prüfen. Jede Klausel, die zwischen befristeten und unbefristeten Mitarbeitern unterscheidet – sei es bei Gehalt, Boni, Aufstiegschancen oder anderen Benefits –, muss auf ihre objektive Rechtfertigung hin untersucht werden.
Rechtsexperten warnen: Einfach auf die Befristung zu verweisen, reicht nicht aus. Die Gründe für eine Ungleichbehandlung müssen konkret und unabhängig vom Beschäftigungsstatus sein. Wer diese neue Rechtslage ignoriert, riskiert empfindliche Haftungsansprüche durch Einzel- und Sammelklagen auf Gleichbehandlung und Nachzahlungen.
EU-Recht setzt neue Maßstäbe
Das Urteil unterstreicht den wachsenden Einfluss europäischen Rechts auf die deutsche Arbeitspraxis. Indem das BAG seine Begründung auf die dem TzBfG zugrunde liegende EU-Richtlinie stützt, etabliert es eine arbeitnehmerfreundliche Auslegung des Anti-Diskriminierungsrechts. Das individuelle Recht auf Gleichbehandlung wiegt schwerer als die Tarifautonomie – zumindest wenn letztere diskriminiert.
Diese Entwicklung fügt sich in einen europaweiten Trend ein: Prekäre Arbeitsverhältnisse sollen reduziert werden, flexible Beschäftigungsformen dürfen nicht zu einer Zwei-Klassen-Belegschaft mit weniger Rechten und niedrigerem Lohn führen.
Ausblick: Die Klagewelle rollt an
Nach dem eindeutigen Erfurter Urteil rechnen Beobachter mit einem deutlichen Anstieg von Klagen befristet Beschäftigter. Arbeitnehmer, die ihre Ansprüche bisher als zu schwierig oder zeitaufwendig empfanden, haben nun einen klaren und direkten Rechtsweg. Das Präzedenzurteil dürfte auch auf andere Vergütungsbestandteile übertragen werden – etwa Sonderzahlungen, Zulagen oder Weiterbildungszugang.
Für Arbeitgeber und Gewerkschaften ist die Botschaft eindeutig: Künftige Tarifverträge müssen mit deutlich mehr Augenmerk auf Gleichbehandlung gestaltet werden. Die Ära, in der diskriminierende Klauseln zunächst geduldet und später korrigiert wurden, ist vorbei. Eine neue Ära unmittelbarer Verantwortlichkeit und Fairness für befristet Beschäftigte hat begonnen.
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