BAG-Urteil: Weitreichende Betriebsrats-Rechte auch nach Tarifende?
25.11.2025 - 04:10:12Der Erste Senat des BAG entscheidet, ob erweiterte Mitbestimmungsrechte aus Tarifverträgen nach deren Auslaufen weiter gelten. Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für Personalabteilungen.
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt verhandelt heute einen Fall, der die Machtverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten in Deutschland grundlegend verändern könnte. Im Kern geht es um die Frage: Können durch Tarifverträge erweiterte Mitbestimmungsrechte auch nach deren Auslaufen weitergelten – und Unternehmen damit dauerhaft binden?
Der Erste Senat des BAG prüft unter dem Aktenzeichen 1 ABR 38/24, ob Tarifvertragsparteien die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Versetzungen wirksam erweitern dürfen. Noch brisanter: Behalten solche Regelungen ihre Gültigkeit, selbst wenn der zugrundeliegende Tarifvertrag längst ausgelaufen ist? Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen für Personalabteilungen bundesweit haben.
Der Streitfall: Wenn Versetzungen zum Rechtsstreit werden
Ein Betriebsrat will die Aufhebung einer Versetzung erzwingen. Seine Begründung: Der Arbeitgeber habe erweiterte Mitbestimmungsrechte verletzt, die ihm ein Tarifvertrag eingeräumt hatte – Rechte, die über das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hinausgehen. Das Unternehmen hingegen argumentiert: Diese erweiterten Befugnisse besitzen keine sogenannte “Nachwirkung”. Sie seien mit dem Ende des Tarifvertrags erloschen.
Was nach juristischer Detailfrage klingt, hat explosive Praxisrelevanz. Denn die Antwort entscheidet darüber, ob Arbeitgeber nach Ablauf eines Tarifvertrags wieder zur gesetzlichen Mindestbeteiligung zurückkehren können – oder ob einmal gewährte Rechte quasi unumkehrbar werden.
Viele Arbeitgeber gehen davon aus, dass mit dem Ende eines Tarifvertrags automatisch wieder das gesetzliche Minimum gilt. Gerade bei erweiterten Mitbestimmungsrechten kann das trügen – und dann drohen Rückabwicklungen nach § 101 BetrVG und kostspielige Betriebsstörungen. Unser kostenloses E‑Book erklärt praxisnah, welche Klauseln im Betriebsverfassungsrecht auch nach Vertragsende relevant sein können und wie Sie Risiken für Personal- und Rechtsabteilungen systematisch prüfen. Jetzt kostenlosen BetrVG‑Leitfaden herunterladen
Gesetzliche Grundlage: Was steht dem Betriebsrat zu?
Nach § 99 BetrVG hat der Betriebsrat bei personellen Einzelmaßnahmen mitzubestimmen – etwa bei Einstellungen, Eingruppierungen oder Versetzungen. Der Arbeitgeber muss informieren und die Zustimmung einholen. Die Gründe, aus denen der Betriebsrat widersprechen darf, sind jedoch gesetzlich abschließend definiert und begrenzt.
Können Tarifvertragsparteien diese Widerspruchsgründe einfach erweitern? Dürfen sie den Begriff “Versetzung” selbst neu definieren und dem Betriebsrat damit faktisch mehr Macht geben als das Gesetz vorsieht? Und falls ja: Überdauern diese betriebsverfassungsrechtlichen Normen das Ende des Tarifvertrags kraft Nachwirkung – bleiben also bindend, bis ein neuer Vertrag sie ablöst?
Rechtsexperten sind sich einig: Bejaht der Erste Senat die Nachwirkung solcher erweiterten Mitbestimmungsrechte, stärkt das Betriebsräte massiv während Verhandlungspausen oder tariffreier Zeiten. Eine Verneinung hingegen würde klarstellen: Erweiterte Rechte sind fragile Privilegien, die mit dem Tarifvertrag fallen.
Was auf dem Spiel steht: Verhandlungsmacht und Betriebsfrieden
Personalabteilungen und Gewerkschaften verfolgen die Verhandlung mit Hochspannung. Für Arbeitgeber könnte ein Urteil zugunsten des Betriebsrats bedeuten: “Temporäre” Zugeständnisse bei Beteiligungsrechten werden zu quasi-permanenten Hürden. Selbst nach Kündigung eines Tarifvertrags blieben sie bestehen – schwer rückgängig zu machen.
„Die Frage der Nachwirkung bei betriebsverfassungsrechtlichen Normen ist technisch komplex, aber praktisch explosiv”, heißt es in Branchenanalysen. „Überleben erweiterte Beteiligungsrechte das Tarifvertragsende, verlieren Arbeitgeber einen zentralen Verhandlungshebel – nämlich die Rückkehr zum gesetzlichen Minimum.”
Der Fall berührt zudem die Aufhebung von Versetzungen nach § 101 BetrVG. Stellt das Gericht fest, dass erweiterte Rechte galten und verletzt wurden, muss der Arbeitgeber bereits umgesetzte Personalmaßnahmen rückgängig machen. Das kann betriebliche Abläufe empfindlich stören.
Wie es weitergeht
Die mündliche Verhandlung fand heute Vormittag statt. Eine Urteilsverkündung noch am selben Tag ist möglich, die ausführliche schriftliche Begründung folgt jedoch meist erst Wochen später.
Entscheidet das BAG zugunsten einer weitreichenden Nachwirkung, müssen Unternehmen umgehend ihre ausgelaufenen oder in Verhandlung befindlichen Tarifverträge durchforsten. Welche Mitbestimmungsklauseln gelten womöglich noch immer, obwohl man sie für erloschen hielt? Rechtsabteilungen bundesweit sollten das Ergebnis von 1 ABR 38/24 genau im Blick behalten – es dürfte Präzedenzcharakter für den Umgang mit “freiwilligen” Erweiterungen von Betriebsratsrechten haben.
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