BAG-Urteil, Teilzeitkräfte

BAG-Urteil verschärft Überstundenpflicht für Teilzeitkräfte

01.12.2025 - 12:50:12

Deutsche Arbeitgeber stehen vor einem Dilemma: Während das Bundesarbeitsgericht die Rechte von Teilzeitbeschäftigten beim Überstundenzuschlag deutlich stärkt, treibt die Bundesregierung gleichzeitig eine umstrittene Reform des Arbeitszeitgesetzes voran. Was bedeutet diese Doppelbelastung für Unternehmen?

Die Gerichte verschärfen die Dokumentationspflichten, die Koalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz verspricht mehr Flexibilität – ein Konflikt, der sich an den Schreibtischen der Personalabteilungen entlädt. Gewerkschaften warnen bereits vor einem gefährlichen Spagat zwischen Fairness und Überarbeitung.

Das Bundesarbeitsgericht hat am 26. November 2025 (Az. 5 AZR 118/23) ein wegweisendes Urteil gefällt: Tarifverträge, die Überstundenzuschläge erst ab Überschreiten der Vollzeit-Arbeitsstundenschwelle vorsehen, sind diskriminierend.

Die bisherige Praxis war für Teilzeitbeschäftigte faktisch eine Benachteiligung. Wer nur 30 Stunden vereinbart hatte, musste zehn zusätzliche Stunden zum Normaltarif arbeiten, bevor überhaupt ein Zuschlag fällig wurde. Vollzeitbeschäftigte erhielten den Bonus dagegen bereits ab der ersten Mehrarbeitsstunde.

Diese Ungleichbehandlung ist nun Geschichte. “Eine Regelung, die Zuschläge ausschließlich an die Vollzeitschwelle knüpft, benachteiligt Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund”, stellten die Erfurter Richter unmissverständlich fest.

Sofortmaßnahmen für Arbeitgeber erforderlich

Die Auswirkungen des Urteils sind erheblich – und verlangen rasches Handeln:

  • Lohnabrechnungen überarbeiten: Teilzeitkräfte haben Anspruch auf Zuschläge, sobald sie ihre individuell vereinbarten Arbeitsstunden überschreiten – sofern Vollzeitbeschäftigte diese Vergünstigungen ebenfalls erhalten.
  • Nachzahlungen drohen: Rechtsexperten warnen vor rückwirkenden Forderungen für nicht ausgezahlte Zuschläge der vergangenen drei Jahre.
  • Zeiterfassungssysteme anpassen: Automatisierte Lohnbuchhaltungsprogramme müssen möglicherweise neu konfiguriert werden, um “anteilige” Überstundenschwellen für jeden Teilzeitvertrag zu berechnen.

Können sich Unternehmen überhaupt noch auf ihre Abrechnungssysteme verlassen?

Regierung plant “Wochenhöchstgrenze” statt Tageslimit

Während die Gerichte faire Bezahlung durchsetzen, fokussiert sich die Politik auf “Flexibilisierung”. Laut Berichten vom 28. November 2025 treibt die Koalition aus CDU/CSU und SPD ein zentrales Versprechen aus dem Koalitionsvertrag vom Mai 2025 voran: den Wechsel von einer täglichen zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit.

Die geplante Reform will die starre Acht-Stunden-Grenze pro Tag (erweiterbar auf zehn Stunden) durch eine durchschnittliche Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden ersetzen. Dadurch würden Arbeitstage von bis zu zwölf Stunden rechtlich möglich – sofern der Wochendurchschnitt eingehalten wird.

“Wir müssen unsere Gesetze an die Realität der projektbasierten Wirtschaft anpassen”, zitierte man Ende vergangener Woche einen Regierungssprecher. “Wenn ein Team dienstags zwölf Stunden arbeiten will, um ein Projekt abzuschließen, und dafür am Freitag frei nimmt, sollte das Gesetz nicht im Weg stehen.”

Gewerkschaften laufen Sturm

Der Deutsche Gewerkschaftsbund reagierte am Wochenende scharf auf die Pläne. Kritiker argumentieren, dass die Ausweitung der täglichen Höchstgrenze den Gesundheitsschutz untergräbt und exzessiven Arbeitsbelastungen Tür und Tor öffnet.

“Flexibilität darf nicht zum Codewort für Selbstausbeutung werden”, erklärte ein DGB-Vertreter am Samstag. Die Gewerkschaften befürchten, dass Arbeitnehmer faktisch unter Druck gesetzt werden, regelmäßig Zwölf-Stunden-Tage zu leisten.

Aufzeichnungspflicht bleibt strikt

Inmitten der Debatte über das Wann der Arbeitszeit bleibt die Frage nach dem Wie der Erfassung geklärt – und rigoros. Experten betonen: Die Flexibilisierungspläne der Regierung heben nicht die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf, die durch das “Stechuhr-Urteil” des BAG 2022 und des EuGH 2019 zementiert wurde.

Tatsächlich macht das neue BAG-Urteil zu Teilzeitzuschlägen die präzise Zeiterfassung noch kritischer. “Um anteilige Überstundenzuschläge korrekt zu berechnen, brauchen Sie exakte Anfangs- und Endzeiten”, erklärt Arbeitsrechtsspezialist Dr. Thomas Müller. “Vertrauensarbeitszeit kann weitergehen, aber sie kann nicht ‘keine Dokumentation’ bedeuten. Der Arbeitgeber bleibt verantwortlich dafür, dass die Daten erfasst werden – auch wenn der Beschäftigte das selbst tut.”

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Die kommende Reform dürfte die elektronische Erfassungspflicht kodifizieren und damit die “Stift-und-Papier”-Ausnahme bis auf kleinste Kleinstbetriebe beenden.

Personalabteilungen in der Zwickmühle

HR-Abteilungen befinden sich derzeit in einer schwierigen Position. Auf der einen Seite verlangt die Rechtsprechung (EuGH und BAG) mehr Rigidität, Präzision und Dokumentation zum Schutz von Fairness und Gesundheit. Auf der anderen Seite verspricht die Politik Deregulierung und Flexibilität, die zwar attraktiv klingt, die Compliance aber erheblich erschwert.

Das Zusammentreffen des neuen BAG-Urteils mit der laufenden Gesetzesreform schafft ein Paradox: Unternehmen könnten bald das Recht haben, Zwölf-Stunden-Tage zu fordern – aber der administrative Aufwand, jede Minute dieser Tage zu erfassen und komplexe Zuschläge dafür zu zahlen, wird höher sein als je zuvor.

Können mittelständische Betriebe diesen Spagat überhaupt noch stemmen?

Was kommt auf Unternehmen zu?

Der Entwurf für das neue Arbeitszeitgesetz soll Anfang 2026 dem Bundestag vorgelegt werden. Bis dahin gilt die aktuelle strenge Auslegung des BAG:

  1. Alle Stunden erfassen: Beginn, Ende und Dauer müssen dokumentiert werden.
  2. Fair bezahlen: Teilzeitbeschäftigte müssen Überstundenzuschläge sofort auf anteiliger Basis erhalten.
  3. Auf Flexibilität warten: Die Acht-Stunden-Tagesgrenze bleibt geltendes Recht, bis die Reform offiziell verabschiedet ist – voraussichtlich nicht vor Mitte 2026.

Arbeitgebern wird dringend geraten, ihre Teilzeitverträge und Zeiterfassungssysteme noch vor Jahresende zu überprüfen, um Prozessrisiken durch das Urteil vom 26. November zu minimieren. Wer jetzt nicht handelt, riskiert teure Nachzahlungen und arbeitsgerichtliche Auseinandersetzungen.

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