BAG-Urteil, Rechte

BAG-Urteil stärkt Rechte befristeter Arbeitnehmer

14.11.2025 - 16:02:11

Das Bundesarbeitsgericht erklärt diskriminierende Tarifklauseln für rechtswidrig und ermöglicht betroffenen Arbeitnehmern sofortige Gleichbehandlungsklagen ohne Übergangsfristen.

Schluss mit der Benachteiligung: Deutschlands höchstes Arbeitsgericht hat eine wegweisende Entscheidung getroffen, die befristet Beschäftigte deutlich besser stellt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt urteilte am 13. November 2025, dass Tarifklauseln, die früher befristet Beschäftigte beim Übergang in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis schlechter stellen, diskriminierend und damit rechtswidrig sind. Die Brisanz des Urteils: Betroffene Arbeitnehmer können sofort Gleichbehandlung einklagen – ohne dass Gewerkschaften und Arbeitgeber erst neue Regelungen aushandeln müssen.

Das Urteil mit dem Aktenzeichen 6 AZR 131/25 markiert einen Wendepunkt im deutschen Arbeitsrecht. Es zeigt deutlich, wie EU-Antidiskriminierungsrecht nationale Tarifverträge aushebeln kann, wenn diese gegen fundamentale Gleichbehandlungsgrundsätze verstoßen. Grundlage der Entscheidung ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), das entsprechende EU-Richtlinien in deutsches Recht umsetzt.

Der Fall: Wenn Stichtage zur Diskriminierung werden

Geklagt hatte ein Postbote eines großen Logistikunternehmens. Seine Geschichte ist exemplarisch für ein Problem, das tausende Arbeitnehmer in Deutschland betrifft: Nach einer zunächst befristeten Anstellung erhielt er im Juni 2020 einen unbefristeten Vertrag. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte: Der für ihn geltende Haustarifvertrag hatte gerade neue Regelungen zur Gehaltsentwicklung eingeführt.

Diese sahen vor, dass alle Beschäftigten mit “neu begründeten” Arbeitsverhältnissen nach dem 30. Juni 2019 deutlich längere Wartezeiten für Gehaltssteigerungen hinnehmen mussten. Der Postbote argumentierte: Trotz seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit wurde er schlechter gestellt als Kollegen, die vor dem Stichtag bereits unbefristet beschäftigt waren – einzig weil sein unbefristeter Vertrag erst danach zustande kam. Die Vorinstanzen gaben ihm Recht, nun bestätigte auch das BAG diese Entscheidungen und wies die Revision des Arbeitgebers zurück.

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Klare Kante gegen EU-widriges Tarifrecht

Der Sechste Senat des BAG stellte unmissverständlich fest: Die Tarifklausel verstößt gegen geltendes Recht. Die rechtliche Grundlage findet sich in § 4 Absatz 2 TzBfG, der befristet Beschäftigte explizit vor Benachteiligung schützt. Eine schlechtere Behandlung im Vergleich zu unbefristet Beschäftigten ist nur zulässig, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen.

Solche Gründe konnte das Unternehmen nicht überzeugend darlegen. Die bloße Tatsache, dass der unbefristete Vertrag nach einem bestimmten Stichtag geschlossen wurde, reicht nicht aus, um die frühere Betriebszugehörigkeit in befristeter Form einfach zu ignorieren. Das Gericht sah darin eine klare Diskriminierung aufgrund der Beschäftigungsform – und erklärte die entsprechende Tarifklausel nach § 134 BGB für teilweise nichtig.

Sofortige Besserstellung statt Gnadenfrist

Doch was bedeutet das konkret für betroffene Arbeitnehmer? Hier liegt die eigentliche Sprengkraft des Urteils. Der Arbeitgeber hatte argumentiert, dass bei einer festgestellten Diskriminierung zunächst die Tarifvertragsparteien – also Unternehmen und Gewerkschaft – die Möglichkeit haben sollten, eine neue, rechtskonforme Regelung auszuhandeln. Eine Art Schonfrist sozusagen.

Das BAG erteilte dieser Vorstellung eine klare Absage. Die Richter unterschieden dabei präzise zwischen verschiedenen Formen der Diskriminierung: Während bei Verstößen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) möglicherweise eine Korrekturphase gewährt werden könnte, gilt dies nicht für EU-basierte Antidiskriminierungsgesetze.

Warum nicht? Das EU-Recht verfolgt eine starke Abschreckungsfunktion. Um wirksam zu sein, muss es dem Benachteiligten sofort helfen können. Kein Wunder also, dass das Gericht dem Postboten einen unmittelbaren Anspruch auf “Anpassung nach oben” zusprach – er muss so gestellt werden, als hätten von Anfang an die günstigeren Stufenlaufzeiten für ihn gegolten.

Tarifautonomie hat ihre Grenzen

Diese Entscheidung erschüttert ein Grundprinzip der deutschen Arbeitsbeziehungen. Die Tarifautonomie – das Recht von Arbeitgebern und Gewerkschaften, Arbeitsbedingungen eigenständig auszuhandeln – galt lange als nahezu unantastbar. Das BAG stellt nun unmissverständlich klar: Diese Autonomie endet dort, wo EU-Antidiskriminierungsrecht beginnt.

Rechtsexperten sehen bereits tausende bestehende Tarifverträge unter Prüfungsdruck. Besonders kritisch sind Regelungen, die mit Stichtagen arbeiten oder zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen unterscheiden und dabei indirekt früher befristet Beschäftigte benachteiligen könnten. Das Gericht macht deutlich: Solche Klauseln werden künftig inhaltlich voll überprüft – eine Vertrauensschutz für die Tarifparteien gibt es nicht.

Was jetzt zu tun ist

Für Unternehmen und Gewerkschaften beginnt nun die Inventur. Sie sollten proaktiv ihre Tarifwerke auf potenziell diskriminierende Klauseln durchforsten – nicht nur beim Gehalt, sondern auch bei Zusatzleistungen und anderen Arbeitsbedingungen. Das Urteil dürfte eine Klagewelle befristet Beschäftigter in ähnlichen Situationen auslösen, quer durch alle Branchen.

Die Botschaft des BAG ist unmissverständlich: Wenn es um die Diskriminierung befristeter Arbeitnehmer geht, muss die Abhilfe schnell, direkt und zugunsten der Gleichbehandlung erfolgen. Das Argument, eine benachteiligende Regelung sei eben Ergebnis eines Kompromisses zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft, zählt nicht mehr, wenn fundamentale EU-Schutzrechte verletzt werden. Steht Deutschland vor einer umfassenden Reform seiner Tariflandschaft?

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