BAG-Urteil sichert Langzeitkranken Urlaubsansprüche
29.12.2025 - 08:03:12Ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts stellt klar, dass günstige Klauseln im Arbeitsvertrag den gesetzlichen Verfall von Urlaubstagen Langzeiterkrankter aussetzen können.
Ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verändert die Regeln für Urlaubsansprüche dauerhaft erkrankter Arbeitnehmer grundlegend. Günstige Klauseln im Arbeitsvertrag können den gesetzlichen Verfall der Tage nun komplett aussetzen.
Vertragsklauseln brechen die 15-Monats-Frist
Bislang galt in Deutschland eine klare Regel: Der gesetzliche Mindesturlaub für dauerhaft erkrankte Beschäftigte verfällt 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres. Diese vom BAG und Europäischen Gerichtshof bestätigte Frist sollte eine unbegrenzte Anhäufung von Urlaubstagen verhindern. Urlaub aus dem Jahr 2024 wäre demnach am 31. März 2026 erloschen.
Doch ein Urteil des BAG vom Juli 2025 (Az. 9 AZR 198/24) durchbricht diese Logik. Das Gericht entschied: Enthält der individuelle Arbeitsvertrag eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung als das Gesetz – und erwähnt diese ausdrücklich nicht die 15-Monats-Frist – verfallen die Urlaubstage nicht. Das Günstigkeitsprinzip setzt sich durch. Vertragliche Vereinbarungen können den gesetzlichen Verfallmechanismus außer Kraft setzen.
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Der Präzedenzfall: Eine Krankenschwester erstreitet 16.900 Euro
Der konkrete Fall, der die Wende brachte, betraf eine Krankenschwester eines Diakonie-Trägers. Sie war seit Juli 2015 durchgehend erkrankt und forderte nach Ende ihres Arbeitsverhältnis im Juni 2023 Abgeltung für 144 Urlaubstage aus den Jahren 2016 bis 2021.
Der Arbeitgeber berief sich auf den gesetzlichen Verfall. Das BAG sah das anders: Der individuelle Arbeitsvertrag von 2009 enthielt eine Regelung, die den Verfall ausschloss. Die Vertragsparteien hatten einen Text vereinbart, der die strengen Verfallfristen des kirchlichen Manteltarifvertrags (AVR-DD) für diesen Fall gerade nicht übernahm. Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung von rund 16.900 Euro Urlaubsabgeltung.
Rechtsexperten werten dies als Klarstellung der Normenhierarchie: Individuelle, für den Arbeitnehmer günstigere Vertragsklauseln gehen Kollektivregeln oder gesetzlichen Limits vor – es sei denn, dies wird explizit anders vereinbart.
Alte Verträge werden zur Kostenfalle für Arbeitgeber
Die Veröffentlichung der vollständigen Urteilsbegründung und Expertisen Ende 2025 setzt Personalabteilungen unter Druck. Kurz vor dem Stichtag 31. Dezember für reguläre Urlaubsabrechnungen ist die Unterscheidung zwischen „gesetzlichem Verfall“ und „vertraglicher Erhaltung“ entscheidend.
Branchenkenner vermuten, dass viele ältere Arbeitsverträge unpräzise Formulierungen zur Urlaubserhaltung enthalten. Diese waren oft nicht für jahrelange Erkrankungen gedacht, werden nun aber zugunsten der Arbeitnehmer ausgelegt. Für Unternehmen entstehen so versteckte Verbindlichkeiten in der Bilanz. Angesammelte Urlaubstage Langzeitkranker sind möglicherweise nicht – wie bisher angenommen – nach 15 Monaten „vom Tisch“.
Für langzeiterkrankte Beschäftigte bietet das Urteil eine finanzielle Perspektive. Bei günstigen Vertragsklauseln können sie bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Abgeltung für viele Jahre ungenutzten Urlaubs erhalten, nicht nur für die letzten 15 Monate. Rechtsberater raten Betroffenen zur Überprüfung ihres konkreten Vertragswortlauts.
Auch kirchliches Recht muss weichen
Eine besondere Nuance des Urteils betrifft das Verhältnis von kirchlichem Arbeitsrecht (wie dem AVR der Diakonie) zu zivilrechtlichen Arbeitsverträgen. Das BAG stellte klar: Selbst wenn ein kirchlicher Arbeitgeber kollektive Regelungen mit Verfallsfrist einhalten will, bindet ihn ein individueller Vertrag, der davon abweicht und bessere Konditionen bietet – auch wenn dies unbeabsichtigt geschah. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche rechtfertige es nicht, einen explizit günstigeren Individualvertrag zu umgehen.
Dieser Aspekt ist besonders für den Sozial- und Gesundheitssektor relevant, wo Standardverträge oft auf Manteltarifverträge verweisen. Das Urteil warnt: Verweise auf Kollektivregeln müssen präzise sein. Jede spezifische Zusatzklausel wird streng geprüft.
Vertragsüberarbeitung wird 2026 zur Pflicht
Rechtsexperten prognostizieren für 2026 eine Welle von Vertragsprüfungen. Arbeitgeber werden ihre Standardverträge voraussichtlich überarbeiten, um die 15-Monats-Frist für Langzeiterkrankungen explizit zu verankern und diese Lücke zu schließen. Für bestehende Verträge bleibt das Günstigkeitsprinzip jedoch eine hohe Hürde für rückwirkende Änderungen.
Zum aktuellen Stichtag, dem 29. Dezember 2025, drängen Rechtsportale und HR-Dienste Unternehmen dazu, ihre offenen Urlaubsverbindlichkeiten vor dem Jahresabschluss 2025 zu überprüfen. Die Klarstellung des BAG bedeutet: Der „automatische“ Verfall von Urlaub ist nicht mehr garantiert, wenn der Vertrag etwas anderes sagt. Der genaue Wortlaut jedes Arbeitsvertrags entscheidet.
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