BAG-Urteil, Kirchen-Teilzeitkräfte

BAG-Urteil: Kirchen-Teilzeitkräfte haben Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge

01.12.2025 - 00:09:12

Die katholische und evangelische Kirche als Arbeitgeber stehen vor einem grundlegenden Umbruch: Das Bundesarbeitsgericht hat vergangene Woche entschieden, dass Teilzeitbeschäftigte bei Caritas und Diakonie künftig bereits ab der ersten Überstunde Zuschläge erhalten müssen. Zeitgleich konstituieren sich die neuen Mitarbeitervertretungen für die kommenden vier Jahre – in einer Branche, die mit 1,3 Millionen Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern Deutschlands zählt.

Das Urteil vom 26. November 2025 könnte teuer werden. Allein bei Caritas und Diakonie arbeiten Hunderttausende in Teilzeit – vor allem Frauen in Pflege und Sozialarbeit. Bislang erhielten sie Überstundenzuschläge erst, wenn sie die reguläre Vollzeitarbeitszeit von 39 oder 40 Wochenstunden überschritten. Damit ist nun Schluss.

Die Erfurter Richter machten in der Entscheidung 5 AZR 118/23 unmissverständlich klar: Wer seine individuell vereinbarte Arbeitszeit überschreitet, hat Anspruch auf entsprechende Vergütung – unabhängig davon, ob in Vollzeit oder Teilzeit gearbeitet wird. Die bisherige Praxis verstoße gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG).

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“Diese Entscheidung ist ein Paukenschlag für den kirchlichen Sektor”, kommentiert Arbeitsrechtlerin Dr. Hannah Weber. “Die Mitarbeitervertretungen im ganzen Land müssen jetzt dafür sorgen, dass Dienstvereinbarungen und kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien sofort angepasst werden.”

Was bedeutet das konkret? Eine Pflegekraft mit 30-Stunden-Vertrag erhält künftig bereits ab der 31. Wochenstunde Mehrarbeitszuschläge – nicht erst ab Stunde 40. Die finanziellen Folgen für die kirchlichen Träger dürften erheblich sein.

KODA-Wahlen: Starke Mandate in schwierigen Zeiten

Während auf Einrichtungsebene die Wahlen zu den Mitarbeitervertretungen (MAV) bereits zwischen März und Juni 2025 abgeschlossen wurden, formieren sich derzeit die diözesanen Kommissionen für die nächsten vier Jahre. Ein Beispiel: Die Kommission zur Ordnung des diözesanen Arbeitsvertragsrechts (KODA) im Bistum Trier tritt am kommenden Dienstag, 3. Dezember 2025, zur konstituierenden Sitzung zusammen.

Kerstin Kleinschmidt ging mit beeindruckenden 1.566 Stimmen als klare Siegerin aus der Wahl in der Berufsgruppe 6 (Sozial- und Erziehungsdienst) hervor – die höchste individuelle Stimmenzahl überhaupt. Ihr deutliches Mandat signalisiert: Die Belegschaft fordert Kontinuität und selbstbewusstes Auftreten in den anstehenden Verhandlungen.

Neben ihr ziehen Laura Maria Leinweber (939 Stimmen) und Manfred Kochems (328 Stimmen) in die Kommission ein. Diese Gremien sind das Herzstück des kirchlichen “Dritten Wegs” – einer deutschen Besonderheit, bei der nicht gestreikt wird, sondern paritätisch besetzte Kommissionen über Löhne und Arbeitsbedingungen verhandeln.

Pflegemindestlohn steigt – Refinanzierung ungeklärt

Parallel zu den internen Kirchenwahlen beschloss die Pflegekommission am 26. November 2025 einstimmig eine schrittweise Anhebung des Pflegemindestlohns bis 2027. Die Bundesregierung wird die Empfehlung voraussichtlich per Verordnung umsetzen.

Für Caritas und Diakonie, die zusammen über 800.000 Menschen beschäftigen – überwiegend in Gesundheit und Sozialarbeit –, bilden diese gesetzlichen Mindestlöhne die Untergrenze. Die kirchlichen Tarife (Arbeitsvertragsrichtlinien, AVR) müssen darüber liegen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

“Die einstimmige Entscheidung schafft eine verlässliche Basis für Verhandlungen”, erklärte ein Sprecher der Diakonie-Arbeitgeber. “Die Herausforderung bleibt jedoch die Refinanzierung über die Pflegeversicherung – ein Thema, das die neu gewählten MAVs und KODA-Vertreter intensiv beschäftigen wird.”

Kein Wunder also, dass die Personalkosten im kirchlichen Sektor zum zentralen Streitpunkt werden dürften. Die Frage ist nicht ob, sondern wie schnell die Pflegekassen die höheren Löhne refinanzieren.

Politischer Rückenwind – juristischer Gegenwind

Die MAV- und KODA-Wahlen 2025 fanden in einem politisch stabilen Umfeld statt. Nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 regiert eine Koalition aus CDU (164 Sitze) und SPD (120 Sitze), die an den arbeitsrechtlichen Privilegien der Kirchen bislang nicht rüttelt.

Doch die Gerichte denken anders. Während das Bundesverfassungsgericht im September 2025 bestimmte Aspekte der kirchlichen Selbstbestimmung bestätigte, zeigt die europäische und bundesweite Rechtsprechung – wie das aktuelle BAG-Urteil – eine klare Tendenz: Kirchenbeschäftigte sollen weltlichen Arbeitnehmern gleichgestellt werden.

Die neu gewählten Arbeitnehmervertreter stehen vor einer komplexen vierjährigen Amtszeit. Sie müssen die neuen Überstundenzuschläge durchsetzen, die Integration der Pflegemindestlöhne in die kirchlichen Vergütungssysteme vorantreiben und die zunehmende Konsolidierung kirchlicher Einrichtungen begleiten.

Was 2026 zu erwarten ist

Mit dem Start der neuen KODA-Amtszeiten im Dezember verschiebt sich der Fokus auf die praktische Umsetzung. Entscheidend werden:

Nachzahlungen für Teilzeitkräfte: Die MAVs dürften umgehend rückwirkende Überprüfungen von Überstundenabrechnungen fordern. Hier geht es potenziell um Millionenbeträge.

Refinanzierungsverhandlungen: Mit den neuen Pflegemindestlöhnen ab 2026 werden die kirchlichen Arbeitgeber massiven Druck auf die Bundesregierung ausüben, um bessere Finanzierungsmechanismen im Pflegesektor durchzusetzen.

Strategische Weichenstellungen: Die konstituierende Sitzung in Trier am 3. Dezember und ähnliche Treffen bundesweit werden die Prioritäten des “Dritten Wegs” festlegen – möglicherweise mit aggressiveren internen Verhandlungsstrategien zu Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz.

Für die 1,3 Millionen Beschäftigten im kirchlichen Sektor ist die Botschaft aus den Wahlen 2025 und den jüngsten Gerichtsurteilen eindeutig: Der “Dritte Weg” existiert weiterhin, muss sich aber rasant an moderne Rechtsstandards und die wirtschaftlichen Realitäten der Pflegebranche anpassen. Ob die Kirchen als Arbeitgeber diesen Spagat schaffen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

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