BAG-Urteil: Betriebsvereinbarungen dürfen Tarifverträge nicht aushebeln
19.11.2025 - 12:51:12Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Grenzen betrieblicher Regelungen neu abgesteckt. Ein Grundsatzurteil vom Mai dieses Jahres macht klar: Betriebsvereinbarungen dürfen nicht in Bereiche eingreifen, die durch Tarifverträge geregelt sind oder üblicherweise durch sie geregelt werden.
Die Entscheidung (Az. 1 AZR 120/24) sorgt weiterhin für Diskussionen unter Arbeitsrechtlern. Im Kern geht es um die Frage, wie weit Mitbestimmungsrechte reichen – und wo der sogenannte “Tarifvorbehalt” nach § 77 Abs. 3 BetrVG seine Grenze zieht. Was bedeutet das konkret für Arbeitgeber und Betriebsräte?
Der Fall spielte sich bei einem kommunalen Verkehrsbetrieb ab. Jahrelang hatten Beschäftigte in der Werkstatt eine bezahlte 15-minütige Frühstückspause genossen – durch betriebliche Übung zu einem festen Bestandteil der Arbeitsbedingungen geworden. Im September 2018 schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Umstrukturierung. Darin: eine Klausel, die diese Pause mit sofortiger Wirkung strich.
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Ein Werkstattmeister wehrte sich gegen diese Regelung. Seine Argumentation: Da sein Arbeitsverhältnis tarifgebunden sei, verstoße die Betriebsvereinbarung gegen den Tarifvorbehalt. Die Klausel sei nichtig. Nach Durchlaufen der Vorinstanzen landete der Fall schließlich beim BAG.
Gericht stärkt Position der Tarifverträge
Das BAG gab dem Arbeitnehmer in allen Punkten recht. Die Richter erklärten die Klausel für unwirksam – und stützten sich dabei auf zwei zentrale Argumente.
Erstens: Die Betriebsvereinbarung verstößt gegen den Tarifvorbehalt. Vergütungsfragen – und dazu zählen auch bezahlte Arbeitspausen – sind typischerweise Sache der Tarifvertragsparteien. Eine Betriebsvereinbarung darf solche Leistungen nicht einfach streichen, wenn das Unternehmen tarifgebunden ist. Es sei denn, der Tarifvertrag lässt ausdrücklich ergänzende Regelungen zu.
Zweitens: Der Betriebsrat hatte bei der Abschaffung der bezahlten Pause kein zwingendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG. Zwar kann der Betriebsrat bei Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie bei Pausenregelungen mitbestimmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Doch das Streichen einer bezahlten Pause fällt nicht darunter. Hier geht es um Vergütungsgrundsätze – und die anzutasten, steht dem Betriebsrat nicht zu.
Was das Urteil für die Praxis bedeutet
Die Botschaft des BAG ist eindeutig: Betriebsvereinbarungen taugen nicht dazu, tarifliche Verpflichtungen oder durch betriebliche Übung entstandene Rechte zu umgehen. Für Betriebsräte schafft das Urteil Klarheit über die Grenzen ihrer Mitbestimmung. Sie haben zwar erheblichen Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsalltags – aber eben nicht das Recht, Vergütungsstrukturen zu verschlechtern, die auf höherer Ebene festgelegt sind.
Arbeitsrechtler sehen in der Entscheidung eine Stärkung der Tarifautonomie. Sie unterstreicht die zentrale Rolle der Gewerkschaften bei der Aushandlung grundlegender Arbeitsbedingungen. Die Trennlinie ist klar gezogen: Betriebsvereinbarungen gestalten betriebliche Abläufe – ändern aber nicht die Kernbedingungen, die der kollektiven Verhandlung vorbehalten sind.
Vorsicht bei künftigen Vereinbarungen
Das Urteil zwingt beide Seiten zu größerer Sorgfalt. Wer künftig Betriebsvereinbarungen aushandelt, muss genau prüfen: Greift die geplante Regelung in Bereiche ein, die tariflich geregelt sind oder üblicherweise sein könnten? Eine gründliche rechtliche Prüfung wird unverzichtbar.
Der Fall ging zurück ans Landesarbeitsgericht Niedersachsen. Dort wird nun geklärt, ob die bezahlte Pause tatsächlich durch betriebliche Übung zum verbindlichen Recht geworden war. Die Vorgaben des BAG zur Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung sind dabei bindend. Experten erwarten, dass künftige Verhandlungen vorsichtiger ablaufen werden – mit stärkerem Augenmerk darauf, betriebliche Regelungen mit dem tariflichen Rahmen in Einklang zu bringen.
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