BAG-Urteil: Befristete Arbeitnehmer können Gleichbehandlung sofort einklagen
14.11.2025 - 21:42:12Bundesarbeitsgericht erklärt diskriminierende Tarifklauseln für sofort unwirksam. Europäisches Antidiskriminierungsrecht setzt deutscher Tarifautonomie klare Grenzen und betrifft Millionen Arbeitnehmer.
Die Tarifautonomie hat ihre Grenzen – zumindest wenn sie gegen europäisches Recht verstößt. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat mit einer wegweisenden Entscheidung klargestellt: Wer als befristet Beschäftigter schlechter behandelt wird als unbefristete Kollegen, muss das nicht hinnehmen. Und zwar sofort, ohne dass Gewerkschaften oder Arbeitgeber Zeit zur Nachbesserung bekommen.
Das Urteil vom 13. November 2025 (Az. 6 AZR 131/25) könnte Millionen Arbeitnehmer in Deutschland betreffen. Denn wenn Tarifverträge gegen das Diskriminierungsverbot des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) verstoßen, sind die entsprechenden Klauseln nichtig. Die Folge: Betroffene haben unmittelbar Anspruch auf Gleichstellung mit ihren dauerhaft angestellten Kollegen.
Längere Wartezeiten nur für Wiedereingestellte
Im Mittelpunkt stand der Fall eines Zustellers bei einem bundesweiten Logistikunternehmen. Der Mann war ab Juni 2019 zunächst befristet beschäftigt, bevor er ein Jahr später unbefristet übernommen wurde. Das Problem: Ein geänderter Haustarifvertrag sah für alle nach dem 30. Juni 2019 neu begründeten Arbeitsverhältnisse längere Stufenlaufzeiten vor. Konkret bedeutete das: länger warten auf die nächste Gehaltserhöhung.
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Der Arbeitgeber argumentierte, die Regelung gelte auch für den Kläger, da sein unbefristetes Arbeitsverhältnis formal erst nach dem Stichtag begonnen habe. Das BAG sah darin eine klare Diskriminierung. Warum sollte jemand länger auf mehr Geld warten müssen, nur weil er zuvor befristet im gleichen Unternehmen gearbeitet hatte?
Europarecht schlägt deutsche Tarifautonomie
Die Erfurter Richter stellten unmissverständlich fest: § 4 Abs. 2 TzBfG verbietet die schlechtere Behandlung befristet Beschäftigter – es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen dies. Solche Gründe konnte das Unternehmen nicht nennen.
Entscheidend ist die rechtliche Begründung des Urteils. Das Diskriminierungsverbot im TzBfG beruht auf der EU-Richtlinie 97/81/EG. Und europäisches Recht, so das BAG, habe nicht nur Schutz-, sondern auch Abschreckungsfunktion. Eine Regelung, die den Tarifparteien Zeit zur “Reparatur” diskriminierender Klauseln einräumt, würde diese Abschreckung untergraben.
Das bedeutet konkret: Die diskriminierende Tarifnorm ist nach § 134 BGB nichtig. Kein Übergangszeitraum, keine Nachbesserungsfrist – die ungerechtfertigte Benachteiligung entfällt sofort.
Abgrenzung zu früherer Rechtsprechung
Damit schlägt das BAG einen deutlich anderen Weg ein als in Fällen, die nur den grundgesetzlichen Gleichheitssatz berühren. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht Gewerkschaften und Arbeitgebern teilweise Zeit gegeben, verfassungswidrige Regelungen zu korrigieren.
Bei EU-rechtlich verankerten Diskriminierungsverboten gilt das nicht mehr. Die Richter betonten: Eine wirksame Durchsetzung von Unionsrecht erfordere unmittelbare Konsequenzen. Die Praxis spricht von einer “Anpassung nach oben” – benachteiligte Arbeitnehmer werden so gestellt, als hätte die diskriminierende Regelung nie existiert.
Was bedeutet das für Unternehmen und Beschäftigte?
Für Personalabteilungen heißt das: dringender Überprüfungsbedarf. Gerade Tarifverträge mit Stichtags- oder Zugehörigkeitsregelungen bergen erhebliche Risiken. Unternehmen, die sich auf potenziell diskriminierende Klauseln verlassen, haften unmittelbar.
Betroffen sein könnten vor allem Regelungen zu:
– Entgeltstufenlaufzeiten bei Wiedereinstellung
– Sonderzahlungen mit Stichtagsklauseln
– Urlaubsansprüchen nach Statuswechsel
– Betriebsrentenzusagen für ehemals Befristete
Signalwirkung für die Tarifpolitik
Das Urteil ist mehr als eine Einzelfallentscheidung. Es markiert eine klare Rangfolge: Wo europäisches Antidiskriminierungsrecht greift, endet der Spielraum der Tarifautonomie. Die in Deutschland traditionell starke Stellung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden wird damit in einem sensiblen Bereich beschnitten.
Für die Tarifparteien bedeutet das: Sorgfalt vor Abschluss statt Korrekturen danach. Die Zeiten, in denen man auf eine stillschweigende Duldung rechtlich fragwürdiger Klauseln hoffen konnte, sind vorbei. Wer künftig Tarifverträge aushandelt, muss die Rechte befristet Beschäftigter von Anfang an mitdenken – oder riskiert, dass ganze Regelungskomplexe vor Gericht kassiert werden.
Bleibt die Frage: Werden andere Senate des BAG dieser Linie folgen? Die klare Argumentation und der Verweis auf zwingendes EU-Recht sprechen dafür. Befristet Beschäftigte dürften jedenfalls künftig selbstbewusster auftreten – und ihre Rechte konsequenter einfordern.
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