BAG stellt 2025 digitale Mitarbeiterüberwachung unter strenge Mitbestimmung
27.12.2025 - 13:52:11Das Bundesarbeitsgericht hat 2025 klare Grenzen für technische Systeme am Arbeitsplatz gezogen. Schon die Eignung zur Überwachung löst Mitbestimmungsrechte aus, auch Datenschutz kann nicht umgangen werden.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im ablaufenden Jahr die Rechte von Betriebsräten bei der Einführung technischer Systeme massiv gestärkt. Eine juristische Jahresbilanz zeigt: Das Direktionsrecht des Arbeitgebers tritt zurück, wo Überwachung möglich ist.
Ein Wendepunkt für die digitale Mitbestimmung
Das Jahr 2025 markiert eine Zäsur im deutschen Arbeitsrecht. Zu diesem Schluss kommt eine umfassende juristische Jahresbilanz, die am 25. Dezember bei Legal Tribune Online (LTO) veröffentlicht wurde. Demnach hat das BAG in Erfurt klare Grenzen für den Einsatz von Technik am Arbeitsplatz gezogen. Die Ära, in der Arbeitgeber unter dem Deckmantel ihres Direktionsrechts „stille“ Überwachungstools durchsetzen konnten, ist damit faktisch beendet.
Die Analyse der „zwölf wichtigsten Entscheidungen des Jahres“ zeigt einen klaren Trend: Wo technische Systeme Verhalten überwachen können, greift zwingend die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Entscheidend ist nicht mehr, ob tatsächlich aufgezeichnet wird. Schon die bloße Eignung zur Überwachung reicht aus, um den Betriebsrat an den Verhandlungen zu beteiligen.
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Das „Headset“-Urteil und seine Folgen
Grundlage für die Entwicklung ist das wegweisende Headset-Urteil des BAG (1 ABR 16/23), das auch 2025 weiterwirkte. Das Gericht bestätigte seine Linie: Ein System muss keine Daten speichern, um der Mitbestimmung zu unterliegen. Entscheidend ist die Möglichkeit der Kontrolle.
Im konkreten Fall von Headsets im Einzelhandel oder der Logistik reicht bereits die potenzielle Option aus, dass sich ein Vorgesetzter in ein Gespräch „einklinken“ kann. Dies erzeuge einen psychologischen Überwachungsdruck, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtige. Für Arbeitgeber bedeutet das eine hohe Hürde. Argumente wie „Prozessoptimierung“ oder „Kommunikationseffizienz“ gelten nicht mehr, wenn die Technik Echtzeit-Beobachtung ermöglicht. Unternehmen müssen ihre IT-Pläne für 2026 nun auf lange Verhandlungsphasen einstellen.
Betriebsvereinbarungen können Datenschutz nicht aushebeln
Eine der wichtigsten Klarstellungen des Jahres betrifft das Verhältnis von Betriebsvereinbarungen zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Das BAG urteilte, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über die Prinzipien des Datenschutzes hinwegsetzen können.
Selbst wenn ein Betriebsrat einer Überwachungsmaßnahme per Vereinbarung zustimmt, ist diese nichtig, sofern sie gegen die Grundsätze der Datensparsamkeit oder Erforderlichkeit aus DSGVO und Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verstößt. Diese „Point 9“-Entscheidung wirkt wie eine Notbremse für die Privatsphäre der Beschäftigten. Einzelne Mitarbeiter können Überwachungspraktiken nun auch dann anfechten, wenn ihre eigenen Interessenvertreter zugestimmt haben.
Neue Grenzen für Matrix-Strukturen und digitale Lohnabrechnung
Die Rechtsprechung 2025 zog auch bei strukturellen Fragen klare Linien. So urteilte das BAG (Az. 9 AZR 487/24), dass Arbeitgeber auf rein digitale Lohnabrechnung umstellen dürfen – vorausgesetzt, den Mitarbeitern steht im Betrieb ein Drucker zur Verfügung. Dies unterstreicht den Grundsatz der Zugänglichkeit bei Digitalisierungsprozessen.
Zudem stärkte das Gericht die Mitbestimmung in komplexen Matrix-Organisationen. Es bestätigte, dass der örtliche Betriebsrat am Standort des Mitarbeiters sein Mitbestimmungsrecht behält. Unternehmen können deutsche Mitbestimmungsgesetze somit nicht umgehen, indem sie Führungsaufgaben auf ausländische Gesellschaften verlagern.
Das Ende der „Schatten-IT“ in der Personalarbeit
Die kumulative Wirkung der Urteile ist ein faktisches Verbot von „Schatten-IT“ im Personalwesen. Früher ließen sich Kollaborationstools wie Microsoft Teams oder Zoom oft noch einseitig einführen, indem Überwachungsfunktionen per Richtlinie deaktiviert wurden. Diese Lücke ist nun geschlossen.
Der neue Maßstab der „Eignung zur Überwachung“ bedeutet, dass fast jede moderne Unternehmenssoftware – von CRM-Systemen bis zur Flotten-Telematik – zum Gegenstand der Mitbestimmung wird. Rechtsanwender sehen darin eine Angleichung an die strengen Standards des EU-KI-Gesetzes. Während Gewerkschaften die Urteile als Schutz vor digitalem Taylorismus feiern, warnen Wirtschaftsverbände vor verlängerten Einführungszeiten für Produktivitätstools.
Ausblick 2026: KI und Betriebsratswahlen im Fokus
Für das kommende Jahr zeichnen sich neue Konfliktfelder ab. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV wird zwar einige Schriftformerfordernisse lockern, doch die BAG-Rechtsprechung hält die digitale Überwachung in strengen Bahnen.
Der nächste große rechtliche Kampfplatz wird die KI-gestützte Personalanalyse sein. Experten rechnen mit ersten grundlegenden BAG-Verfahren zu „predictive workforce analytics“ bis Ende 2026 oder Anfang 2027. Zudem werden die digitalen Rechte der Beschäftigten ein zentrales Thema bei den Betriebsratswahlen im Frühjahr 2026 sein. Kandidaten können mit den starken Präzedenzfällen von 2025 im Rücken für eine wachsame Begleitung neuer Technik werben.
Die Botschaft der Jahresbilanz 2025 ist eindeutig: Der digitale Arbeitsplatz ist kein rechtsfreier Raum. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers endet dort, wo die technische Überwachung des Mitarbeiters beginnt.
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