BAG kippt Überstundenzuschläge: Teilzeitkräfte jetzt gleichgestellt
02.12.2025 - 19:49:12Ein wegweisendes Urteil aus Erfurt verändert die Spielregeln für Millionen Beschäftigte. Das Bundesarbeitsgericht hat die jahrzehntelange Praxis beendet, Überstundenzuschläge erst ab der 41. Wochenstunde zu zahlen – und damit Teilzeitkräfte systematisch benachteiligt. Ab sofort gilt: Wer über seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeitet, hat Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge. Was bedeutet das konkret für Arbeitgeber und Beschäftigte?
Der Fünfte Senat des BAG entschied am 26. November 2025, dass tarifvertragliche Regelungen, die Zuschläge erst ab Überschreitung der Vollzeit-Wochenarbeitszeit vorsehen, gegen das Diskriminierungsverbot des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (§ 4 Abs. 1 TzBfG) verstoßen. Die Richter machten damit Schluss mit einer gängigen Praxis vor allem im Einzelhandel und Großhandel, wo Tarifverträge Zuschläge häufig erst ab der 40. oder 41. Wochenstunde vorsahen.
Die zentrale Botschaft: Die besondere Belastung durch Mehrarbeit beginnt für Teilzeitbeschäftigte bereits in dem Moment, in dem sie ihre persönlich vereinbarte Arbeitszeit überschreiten – nicht erst bei Erreichen einer Vollzeit-Schwelle. Eine objektive Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung sah das Gericht nicht.
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Die Entscheidung (Az. 5 AZR 118/23 und 5 AZR 155/22) basiert auf zwei konkreten Klagen aus der Praxis. Im ersten Fall hatte ein Lagerarbeiter im bayerischen Groß- und Außenhandel geklagt, der vertraglich auf 30,8 Wochenstunden eingestellt war. Sein Tarifvertrag sah vor, dass Zuschläge erst „ab einschließlich der 41. Wochenstunde” gezahlt werden.
Das Pikante: Der Mann musste fast zehn Stunden zusätzlich zu seiner Vertragszeit leisten, bevor er überhaupt zuschlagsberechtigt war. Vollzeitbeschäftigte erhielten dagegen bereits nach der ersten Überstunde ihre Zuschläge. Kann das gerecht sein? Das BAG verneinte klar.
Die Regelung schaffe einen Anreiz für Arbeitgeber, Teilzeitkräfte für Mehrarbeit einzusetzen, statt Vollzeitstellen zu besetzen – und widerspreche damit den Zielen der EU-Teilzeit-Rahmenvereinbarung, so die Richter. Beide Verfahren gingen nun zurück an die Landesarbeitsgerichte, um die konkreten Nachzahlungsbeträge zu berechnen.
Ver.di spricht von Meilenstein
Die Gewerkschaft ver.di reagierte umgehend mit deutlichem Lob. „Das ist eine gute Nachricht für Millionen Teilzeitbeschäftigte”, erklärte Vorstandsmitglied Silke Zimmer. Das Urteil sei besonders wichtig für Frauen, die im Einzelhandel die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten stellen.
„Die Abwertung von Teilzeitarbeit muss ein Ende haben”, betonte Zimmer. Arbeitgeber könnten Teilzeitkräfte nicht länger als flexiblen, kostengünstigen Puffer nutzen, um Personalengpässe aufzufangen – ohne den angemessenen Preis dafür zu zahlen. Das Gericht habe ein klares Signal gesetzt.
Auch Rechtsexperten meldeten sich in den vergangenen Tagen zu Wort und rieten Unternehmen zu sofortigen Prüfungen ihrer Lohnabrechnungssysteme. Die „41-Stunden-Grenze” sei für Teilzeitkräfte nun faktisch hinfällig, hieß es in einer Analyse für Markt & Mittelstand. Wer sich weiter auf alte Tarifklauseln verlasse, riskiere Haftungsansprüche.
Finanzielle Folgen für Unternehmen
Die wirtschaftlichen Auswirkungen dürften erheblich sein – besonders in Branchen mit hohem Teilzeitanteil wie Einzelhandel, Logistik und Pflege. Rechtsberater warnen seit Anfang Dezember 2025 vor drei zentralen Risiken:
Rückwirkende Ansprüche: Beschäftigte können nicht gezahlte Zuschläge für die vergangenen drei Jahre geltend machen, soweit arbeitsvertragliche Ausschlussfristen das nicht verhindern. In vielen Fällen dürfte es keine wirksamen Fristen geben – die Beträge könnten sich summieren.
Systemumstellungen: Personalabteilungen müssen ihre Abrechnungssysteme anpassen und Zuschläge künftig ab der individuellen Vertragsstunde auslösen, nicht mehr ab einer pauschalen Vollzeit-Schwelle. Das erfordert technische und organisatorische Anpassungen.
Kostensteigerungen: Die tatsächlichen Kosten für Teilzeit-Mehrarbeit werden steigen. Das könnte Schichtplanung und Personaleinsatzstrategien grundlegend verändern – möglicherweise zugunsten fester Vollzeitstellen.
Angleichung an EU-Rechtsprechung
Mit seiner Entscheidung schließt das BAG an die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an, der wiederholt betont hat: Nationale Gesetze oder Tarifverträge dürfen Teilzeitbeschäftigte nicht ohne strenge sachliche Rechtfertigung benachteiligen. Die deutsche Praxis hinkte hier bislang hinterher.
Während das BAG das rechtliche Prinzip nun geklärt hat, wird sich die praktische Umsetzung in den kommenden Monaten vor den Landesarbeitsgerichten konkretisieren. Die zurückverwiesenen Fälle werden Präzedenzfälle schaffen – etwa bei der Berechnung anteiliger Zuschläge in komplexen Schichtmodellen.
Gewerkschaften setzen auf Tarifverhandlungen
Ver.di und andere Gewerkschaften werden das Urteil voraussichtlich als Hebel in den anstehenden Tarifverhandlungen 2026 nutzen. Die Forderung ist klar: Diskriminierende Klauseln müssen aus allen Branchentarifverträgen gestrichen werden – und zwar freiwillig, bevor es zu einer Klagewelle kommt.
Arbeitgebern wird geraten, ihre Überstundenregelungen proaktiv an das Urteil anzupassen. Wer jetzt handelt, vermeidet möglicherweise teure Einzelklagen und Nachzahlungen. Die Zeit des „günstigen” Teilzeit-Einsatzes bei Personalengpässen ist damit endgültig vorbei.
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